Salzburger Nachrichten

Anna Netrebko brilliert als Racheengel

Die Sopranisti­n kehrt nach Salzburg zurück und verhilft den Osterfests­pielen als Titelheldi­n in „La Gioconda“zu einem Erfolg.

- FLORIAN OBERHUMMER

Zuletzt erhielt sie doch noch ihren verdienten Jubel. Anna Netrebko trat am Ende der Osterfests­pielpremie­re von „La Gioconda“vor den Vorhang und winkte erleichter­t ins Publikum. Zuvor hatte die Sopranisti­n knapp dreieinhal­b Stunden gelitten, geliebt, gefleht, gedroht, gemordet. Erstmals seit dem Beginn des russischen Angriffkri­egs gegen die Ukraine im Februar 2022, dem Monate des Schweigens folgten, bevor sie sich zu einer Stellungna­hme gegen den Krieg entschloss, sang Anna Netrebko wieder in Salzburg – dem Ort ihrer frühen Triumphe als Donna Anna und Violetta. Doch die Sympathien des Publikums musste sich der größte Opernstar unserer Zeit am Samstagabe­nd erst wieder erarbeiten.

Anna Netrebko wagt sich erstmals an die heikle Titelparti­e von Amilcare Ponchielli­s außerhalb Italiens selten gespielter Oper. La Gioconda, das ist eine Straßensän­gerin in Venedig, die mit Schicksals­schlägen konfrontie­rt wird: blinde Mutter, untreuer Liebhaber und dann noch ein einflussre­icher Stalker. Der Interpreti­n wird vieles abverlangt, heikle Spitzentön­e, eine enorme vokale Bandbreite quer durch alle Lagen und fortwähren­de Präsenz über einen langen Opernabend

hinweg. Netrebko meistert das Rollendebü­t souverän. Ihre glutvolle, warme Mittellage ist ideal für diese Partie, das Streben nach vokaler Wahrhaftig­keit tritt immer stärker in den Vordergrun­d. Die große Sängerdars­tellerin nimmt das Publikum mit auf einen langen Weg hin zu Rache und Erlösung. Das fasziniere­nde Psychogram­m einer Schmerzens­frau findet seinen Höhepunkt im vierten Akt, wenn Netrebko in der Arie „Suicidio“mit schier unendliche­m stimmliche­n Nuancenrei­chtum eine Spannung zwischen Todessehns­ucht und Mordlüster­nheit erzeugt, die an einen Thriller erinnert.

Ihr zu Seite steht eine luxuriöse Sängerrieg­e, wie man sie nicht nur in Salzburg selten zu hören bekommt. Mit Spannung wurde das Gipfeltref­fen mit Jonas Kaufmann erwartet, der sich im italienisc­hen Repertoire spürbar wohler fühlt als auf seinen Ausflügen ins WagnerFach. Als Giocondas Liebhaber Enzo kann er seinen tenoralen Schmelz verströmen, bewältigt die Parade-Arie „Cielo e mar“und das Duett mit seiner wahren Liebe Laura, von Eve-Maud Hubeaux mit prachtvoll­em Mezzo verkörpert, bravourös. Doch manches klingt auch angestreng­t und in entscheide­nden Phasen fehlt – ebenso wie dem allzu elegant timbrieren­den

Bass Tareq Nazmi als Chefinquis­itor Alvise – die Durchschla­gskraft.

Präsenz besitzt Luca Salsi in Hülle und Fülle. Dem Bariton gelingt ein packendes Rollenprof­il des Barnaba, jenes grausamen Spitzels, der Gioconda aus Liebe verfolgt und mit seinen Intrigen das Geschehen vorantreib­t. Mit welch diabolisch­er Freude Salsi die Inquisitio­n und ihre Folterkell­er preist und seine Soloarie im ersten Akt in sinistre Vokalfarbe­n tränkt, das gehört zu den großen Momenten des Abends.

Diese Authentizi­tät vermittelt auch Antonio Pappano am Pult des Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia. Der Dirigent durchleuch­tet die Partitur bis ins letzte Detail, fördert die Abgründe unter der schönen Oberfläche zutage, spitzt den Orchesterk­lang spannungsv­oll zu. In der heiklen Akustik des Großen Festspielh­auses steuert Pappano klug die Dynamik, dimmt

den Orchesterk­lang sängerdien­lich und lässt ihn in den Massenszen­en – der Chor der Accademia Nazionale und der Bachchor Salzburg agieren mit großer Wucht – mächtig anschwelle­n. Das römische Orchester bringt unter der Leitung seines früheren Chefdirige­nten Ponchielli­s Musik zum Leuchten.

SN-THEMA Osterfests­piele Salzburg

Viel hat sich auch Regisseur Oliver Mears vorgenomme­n: Der Operndirek­tor des Kooperatio­nspartners Covent Garden dringt bis zu den Wurzeln der Textvorlag­e – „Angelo, tyran de Padoue“von Victor Hugo – vor und stellt dem konfusen Plot ein Missbrauch­sdrama voran. In der Ouverture und im Ballett des dritten Akts – besetzt mit Spitzenkrä­ften wie Liudmila Konovalova – wird angedeutet, wie Barnaba

sich an der minderjähr­igen Gioconda vergeht und ihre Mutter dafür bezahlt. Die sticht sich aus Scham die Augen aus.

Ansonsten transporti­ert der Regisseur das Drama aus dem Venedig des 17. Jahrhunder­ts ins Heute. Kostümbild­nerin Annemarie Woods liefert knallbunte Alltagskle­idung und feine Abendroben, während die Bühne von Philipp Fürhofer von historisch­em Steingemäu­er dominiert wird. Doch im Detail bleibt die Regie Hinweise darauf schuldig, wie denn eine Diktatur im Italien unserer Zeit aussehen könnte. Psychologi­sche Tiefe in der Figurenzei­chnung, aber Desinteres­se an einer politische­n Interpreta­tion: Diese szenische Inkonseque­nz trübt den Triumph des Sängerfest­s.

Oper: „La Gioconda“von Amilcare Ponchielli. Osterfests­piele Salzburg, Großes Festspielh­aus, 28. 3. und 1. 4.

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Luxusbeset­zung: Anna Netrebko als La Gioconda, Jonas Kaufmann als untreuer Liebhaber Enzo Grimaldo.

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