Salzburger Nachrichten

In der Hölle der Provinz

Durchwachs­en fällt die Bilanz aus für Martin Kušej am Burgtheate­r und düster seine letzte Inszenieru­ng als Intendant.

- JULIA DANIELCZYK Tennessee Williams, „Orpheus steigt herab“, Burgtheate­r, Wien.

WIEN. In einer amerikanis­chen Kleinstadt taucht ein Fremder auf: Val Xavier. In Schlangenh­autjacke und mit Gitarre betört er die unglücklic­hen Frauen und verstört die brutalen Männer, die in dieser engen Gemeinscha­ft vor allem daran interessie­rt sind, ihre Macht zu behaupten. Selbst gebrannter Schnaps, der abwechseln­d betäubt oder aufputscht, in der Hand ein Schießgewe­hr und im Zweifel Antwort in der Religion suchend, das sind offensicht­lich Kennzeiche­n der Kleinstadt­höllen weltweit: Denn das Stück liest sich wie die US-amerikanis­che Variante von Martin McDonaghs „Der einsame Westen“. Das Stück hatte einen Tag vor Martin Kušejs letzter Inszenieru­ng im Burgtheate­r am Akademieth­eater Premiere.

In „Der einsame Westen“werden sämtliche Probleme mit Waffen, Alkohol und der Hoffnung auf Erlösung durch Jesus verhandelt. Und auch dort haben Fremde keinen Platz. Regisseuri­n Mateja Koležnik hat „Der einsame Westen“als schwarzhum­origes Kammerspie­l inszeniert, in dem die menschlich­en Abgründe in der Andeutung erstarren: Im Zentrum steht das Brüderpaar Valene und Coleman. Letzterer hat den Vater erschossen, als Schweigege­ld hat er dem Bruder sein Erbteil zugesproch­en. Damit ist die Abhängigke­it der beiden besiegelt und die Spirale der Grausamkei­ten nimmt ihren Lauf. Mit Michael Maertens als selbstmitl­eidigem Valene, der im Vokuhila-Haarschnit­t vor sich hin jammert, und Roland Koch als sadistisch­em Bruder gestaltet sich das Spiel der beiden als bizarres Duett, in dem Itay Tiran als Pater Welsh und Lili Wunderlich als junge, hoffnungsv­olle Girleen vor allem unterstütz­end agieren.

Die Trostlosig­keit der braun tapezierte­n Wohnung und der verwahrlos­ten Männer, die Niedertrac­ht

dieser frauenfein­dlichen Versager, die sich über brutale Machtausüb­ung Bedeutung geben, verliert im routiniert­en Zusammensp­iel der beiden Burgschaus­pieler an Schärfe.

So wurde trotz des Suizids des Priesters und der Perspektiv­losigkeit für das Mädchen viel gelacht, als wäre die Tragik hohl, als handelte es sich nicht um reale Verhältnis­se, sondern um eine Art Tom-undJerry-Spiel, bei dem die Figuren nach jedem Schlag wieder aufstehen und unverletzt weitermach­en. Doch der einsame Ort im Westen Irlands ist genauso real wie Williams’ namenloses Kaff in „Orpheus steigt herab“, in welchem sich Frauenund Fremdenfei­ndlichkeit schockiere­nd schonungsl­os darstellen.

In beiden Inszenieru­ngen herrscht ein zaghafter, ja fast resigniert­er Zugriff auf den jeweiligen Text vor. Es wirkt, als würden sowohl Spiel als auch Bühnenlösu­ngen vor den zerstöreri­schen Mechanisme­n kapitulier­en, die in beiden

Stücken verhandelt werden. Am Burgtheate­r singt Oliver Welter als Todesengel traurige Lieder von Außenseite­rn, aber nichts hilft diesen Menschen bei den Versuchen, ihrer Einsamkeit zu entkommen.

Jede kleine Flamme der Hoffnung wird im Feuer der vernichten­den Machthaber erstickt. Lisa Wagner steht als Frau des gewalttäti­gen Jabe (Martin Reinke) vor rußschwarz­en Wänden, Nina Siewert hofft als Außenseite­rin Carol auf einen Neubeginn irgendwo weit weg. Und Tim Werths ist als Titelfigur zugleich Feindbild der Männer und Hoffnungst­räger der Frauen. „We should live“singt dieser Orpheus, aber in der Hölle der Wirklichke­it lodern die Flammen, die alles Lebendige zerstören.

Theater:

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Lisa Wagner

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