In der Hölle der Provinz
Durchwachsen fällt die Bilanz aus für Martin Kušej am Burgtheater und düster seine letzte Inszenierung als Intendant.
WIEN. In einer amerikanischen Kleinstadt taucht ein Fremder auf: Val Xavier. In Schlangenhautjacke und mit Gitarre betört er die unglücklichen Frauen und verstört die brutalen Männer, die in dieser engen Gemeinschaft vor allem daran interessiert sind, ihre Macht zu behaupten. Selbst gebrannter Schnaps, der abwechselnd betäubt oder aufputscht, in der Hand ein Schießgewehr und im Zweifel Antwort in der Religion suchend, das sind offensichtlich Kennzeichen der Kleinstadthöllen weltweit: Denn das Stück liest sich wie die US-amerikanische Variante von Martin McDonaghs „Der einsame Westen“. Das Stück hatte einen Tag vor Martin Kušejs letzter Inszenierung im Burgtheater am Akademietheater Premiere.
In „Der einsame Westen“werden sämtliche Probleme mit Waffen, Alkohol und der Hoffnung auf Erlösung durch Jesus verhandelt. Und auch dort haben Fremde keinen Platz. Regisseurin Mateja Koležnik hat „Der einsame Westen“als schwarzhumoriges Kammerspiel inszeniert, in dem die menschlichen Abgründe in der Andeutung erstarren: Im Zentrum steht das Brüderpaar Valene und Coleman. Letzterer hat den Vater erschossen, als Schweigegeld hat er dem Bruder sein Erbteil zugesprochen. Damit ist die Abhängigkeit der beiden besiegelt und die Spirale der Grausamkeiten nimmt ihren Lauf. Mit Michael Maertens als selbstmitleidigem Valene, der im Vokuhila-Haarschnitt vor sich hin jammert, und Roland Koch als sadistischem Bruder gestaltet sich das Spiel der beiden als bizarres Duett, in dem Itay Tiran als Pater Welsh und Lili Wunderlich als junge, hoffnungsvolle Girleen vor allem unterstützend agieren.
Die Trostlosigkeit der braun tapezierten Wohnung und der verwahrlosten Männer, die Niedertracht
dieser frauenfeindlichen Versager, die sich über brutale Machtausübung Bedeutung geben, verliert im routinierten Zusammenspiel der beiden Burgschauspieler an Schärfe.
So wurde trotz des Suizids des Priesters und der Perspektivlosigkeit für das Mädchen viel gelacht, als wäre die Tragik hohl, als handelte es sich nicht um reale Verhältnisse, sondern um eine Art Tom-undJerry-Spiel, bei dem die Figuren nach jedem Schlag wieder aufstehen und unverletzt weitermachen. Doch der einsame Ort im Westen Irlands ist genauso real wie Williams’ namenloses Kaff in „Orpheus steigt herab“, in welchem sich Frauenund Fremdenfeindlichkeit schockierend schonungslos darstellen.
In beiden Inszenierungen herrscht ein zaghafter, ja fast resignierter Zugriff auf den jeweiligen Text vor. Es wirkt, als würden sowohl Spiel als auch Bühnenlösungen vor den zerstörerischen Mechanismen kapitulieren, die in beiden
Stücken verhandelt werden. Am Burgtheater singt Oliver Welter als Todesengel traurige Lieder von Außenseitern, aber nichts hilft diesen Menschen bei den Versuchen, ihrer Einsamkeit zu entkommen.
Jede kleine Flamme der Hoffnung wird im Feuer der vernichtenden Machthaber erstickt. Lisa Wagner steht als Frau des gewalttätigen Jabe (Martin Reinke) vor rußschwarzen Wänden, Nina Siewert hofft als Außenseiterin Carol auf einen Neubeginn irgendwo weit weg. Und Tim Werths ist als Titelfigur zugleich Feindbild der Männer und Hoffnungsträger der Frauen. „We should live“singt dieser Orpheus, aber in der Hölle der Wirklichkeit lodern die Flammen, die alles Lebendige zerstören.
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