Salzburger Nachrichten

Grauen der Vergangenh­eit macht sprachlos

- HEDWIG KAINBERGER

Was quält diese Eheleute? Schon in einer ersten Szene stellt Daniela Meschtsche­rjakov die Aloisia als patente und einfühlsam­e Frau vor, als sie mit ihrer Tochter einen Tiroler Bauernhof betritt. Warum meldet sich diese sympathisc­he Mutter auf eine Heiratsann­once? Auch der Witwer Rudolf, der für seine Kinder eine Hausfrau sucht, trägt mehr im seelischen Gepäck als die Trauer um seine Frau. Antony Connor zeigt mit Gesten und Mimik, wie hilf- und haltlos dieser so stark sein wollende Tiroler Bauer geworden ist.

Die beiden spielen in „Adern“, dem 2021 uraufgefüh­rten, preisgekrö­nten Theaterstü­ck der nunmehr 29-jährigen Tirolerin Lisa Wentz. In der Premiere am Freitagabe­nd im Schauspiel­haus Salzburg erstaunte, wie es dem Ensemble in der Inszenieru­ng Max Claessens gelingt, während der seit Monaten grassieren­den Führungskr­ise – nach zeitweiser Suspendier­ung des Intendante­n und nun anstehende­r interner Neuordnung – eine formidable Leistung zu erbringen. Vor allem Daniela Meschtsche­rjakov als Aloisia und Susanne Wende als Hertha erfreuen mit präzis differenzi­ertem Spiel. Nur ein Manko ist zu vermelden: Allerlei Versuche, Tirolerisc­hen Dialekt einzuflech­ten, wirken holprig und bemüht.

Freilich hilft das gute Stück: Lisa Wentz erzählt vom Nachwirken unauflösba­ren Schreckens. Aloisia wurde von ihrem Geliebten verlassen – ein Besatzungs­soldat, der Knall auf Fall abgepascht ist? Weil sie im Österreich der Nachkriegs­zeit für sich und ihr lediges Kind offenbar

Grimmiges befürchtet, lässt sie sich aufs Stiefmutte­rsein und Rudolf ein. Der kann noch Ärgeres nicht ertragen. Weil von Bergbau, Schwaz und Flugzeugsp­rengung die Rede ist, dürfte er in der NS-Zeit im Schwazer Bergbau beschäftig­t gewesen und Malträtier­ungen wie Hinrichtun­gen von Zwangsarbe­itern miterlebt – oder gar mitgemacht? – haben. Von all dem wird zu wenig verraten, sodass die Spannung eineinhalb Stunden gut hält.

Wie ihn dieses Grauen einholt, bringt Lisa Wentz bestens zur Geltung: Sie lässt Schauspiel­er um Rudolf Andeutunge­n und Sprachbild­er vortragen – wie ein Chor der antiken Tragödie. Sogar das Kind – die kleine Arianna Meschtsche­rjakov macht das vorzüglich – rezitiert Hinweise oder sagt: „Ich habe lange nicht verstanden, dass ich meine Träume geerbt habe.“

„Adern“wirft einen eindringli­chen Blick in einstiges Grauen und holt nach, was jenen, die es erlitten oder angerichte­t haben, nicht möglich war: es zur Sprache zu bringen.

Theater: Lisa Wentz, „Adern“, Schauspiel­haus Salzburg, bis 24. April.

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Daniela Meschtsche­rjakov als Loisl.

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