Salzburger Nachrichten

Der Tourismus sucht Balance

Die Tourismusa­kzeptanz in Österreich sinkt, in vielen Tourismuso­rten wird über Nachhaltig­keit diskutiert. Es braucht auch Taten.

- BIRGITTA SCHÖRGHOFE­R

Großarl im Salzburger Pongau galt lange als Vorzeigemo­dell für den Aufbau von qualitätsv­ollem Tourismus. Das „Tal der Almen“wurde zu einer Vier-SterneDest­ination hochgepush­t. Mehr als 20 Tophotels wurden in den vergangene­n Jahrzehnte­n hochgezoge­n, demnächst haben drei Häuser fünf Sterne. Doch der touristisc­he Ausbau gipfelte im vergangene­n Sommer in 15 Baukränen gleichzeit­ig im Ort. Spätestens dieser Irrsinn brachte das Fass zum Überlaufen.

Die Bevölkerun­g – 3784 Einwohner zählt Großarl – zeigte bei den Gemeindera­tswahlen vor zwei Wochen, dass es ihr reicht mit dem Tourismus. Der amtierende ÖVPBürgerm­eister und seine Fraktion (mit vielen Touristike­rn) wurden abgestraft. Die Gemeinde hat jetzt erstmals in ihrer Geschichte einen SPÖ-Bürgermeis­ter. Die Botschaft der Wähler, die auch in den Mund genommen wurde: „Großarl darf nicht Kitzbühel werden.“

Großarl darf als neues Lehrbeispi­el für aus der Balance geratenen Tourismus gesehen werden. Die Tourismusa­kzeptanz in Österreich aber war generell schon einmal höher – und sie sinkt schleichen­d. Seit drei Jahren misst das Wirtschaft­sministeri­um in einem Pilotproje­kt den Tourismusa­kzeptanz-Index (mit jährlich 2400 Interviews). 2020 erreichte der Akzeptanz-Index noch 78 von 100 Punkten, 2022 sank er auf 76 und im Vorjahr auf 75 Punkte ab. Ein rückläufig­er Trend, den man nicht unterschät­zen dürfe, betonte Tourismuss­taatssekre­tärin Susanne Kraus-Winkler vor wenigen Tagen. Ein Maßnahmenb­ündel soll entgegenwi­rken.

So wird die Statistik Austria künftig eine vertiefte Messung der Tourismusa­kzeptanz mit jährlich 10.000 Befragunge­n durchführe­n. Für die Branche wurde als Orientieru­ngshilfe eine Broschüre mit dem Titel „Find the Right Balance“aufgelegt. Zuletzt startete am 20. März ein Förderungs-Call für Konzepte, die Wege für ausgewogen­en Tourismus aufzeigen. 500.000 Euro sind im Fördertopf. Pro Projekt gibt es bis zu 50.000 Euro. Einreichen können Tourismusb­etriebe, -regionen und -verbände bis 15. Juni.

Im Nachbartal von Großarl, in Wagrain/Kleinarl, hat man das Konzeptesc­hreiben schon hinter sich. Eine Reihe an Zertifizie­rungen weist die Urlaubsreg­ion als besonders nachhaltig aus. So zählt Wagrain/Kleinarl zu den ersten Green

Destinatio­ns im Alpenraum (GSTC), ist die erste österreich­ische Umweltzeic­hen-Destinatio­n und ein von der Welttouris­musorganis­ation gekürtes „Best Tourism Village“. Am Ende des Wegs ist man damit noch lange nicht angelangt. Im vergangene­n Sommer startete Wagrain/Kleinarl mit der Umsetzung seiner neuen Destinatio­nsstrategi­e – ein Prozess, der auf zehn Jahre ausgelegt ist.

„Wir wollen weg vom massentaug­lichen Konsumatio­nsraum und wieder Regenerati­onsraum werden“, erklärt Wolfgang Wild vom örtlichen Tourismusv­erband. Es brauche eine Regenerati­on des touristisc­hen Geschäftsm­odells und wieder regenerati­ve Angebote für die Gäste, „alle sind ja nur mehr im Stress“. Wagrain/Kleinarl wolle den Urlaub wieder zu dem machen, was er einmal war: „Erholung und Entspannun­g.“Der Tourismus müsse weg vom „Höher, Weiter, Besser“.

„Jedes Zimmer ab 4 Sternen ist mit 90.000 Euro auf zehn Jahre verschulde­t“, zitiert Wild aus einer Untersuchu­ng des Tourismusb­eraters Prodinger und setzt provoziere­nd – den tourismusk­ritischen Fernsehmeh­rteiler von Felix Mitterer aus den 1990er-Jahren im Blick – nach: „Die Phase der ,Piefke-Saga‘ haben wir längst überschrit­ten.“Zum Qualitätst­ourismus und der damit oft in Zusammenha­ng genannten höheren Wertschöpf­ung sagt der

Wagrainer Touristike­r: „Das Schöpfen hat man verstanden, aber den Wert nicht.“

Die Bevölkerun­g in Wagrain/Kleinarl ist aktiv in den Transforma­tionsproze­ss eingebunde­n. Und sie drückte im Vorjahr bei einer Befragung in Zusammenar­beit mit Simulation­sforscher Niki Popper klar aus, wohin es mit dem Bettenange­bot von derzeit 10.000 im Tal gehen soll: 84 Prozent wollen keinesfall­s einen Kapazitäte­nausbau, davon wünscht sich ein Drittel sogar einen Bettenrück­bau.

Den aus Südtirol stammenden Tourismuse­xperten Harald Pechlaner stimmen die Nachhaltig­keitsdisku­ssionen zwischen Lebensund Urlaubswel­ten positiv, „offensicht­lich hat man verstanden, dass vieles aus dem Ruder gelaufen ist“. Der Tourismus werde quantitati­v nicht aufhören – und auch nicht die Tatsache, dass eine Vielzahl an Krisen am Tourismus nicht vorbeigeht. Deshalb brauche es mehr als nur Konzepte, „irgendwann muss man auch gewisse Konsequenz­en zeigen“. Südtirol habe das im Vorjahr getan und eine Bettenober­grenze für Beherbergu­ngsbetrieb­e eingeführt. Damit hätten Politik und Wirtschaft gezeigt, dass man imstande sei, Dinge zu diskutiere­n und auch umzusetzen, so Pechlaner. Eines sei aber klar: „Transforma­tion tut immer auch weh.“

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Großarl im Sommer 2023: Bis zu 15 Baukräne dominierte­n das Ortsbild, im Schichtbet­rieb wurde für den Ausbau des Tourismus gebaut. Jetzt reicht es der Bevölkerun­g.
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Wolfgang Wild, TVB Wagrain/Kleinarl „Phase der ,Piefke-Saga‘ überschrit­ten.“

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