Die Mehrheit gehört den Nichtwählern
47 Prozent beteiligten sich an der Bürgermeister-Stichwahl in Salzburg. Warum pfeifen so viele auf ihr Wahlrecht? Warum haben sie das Gefühl, dass Wählen nichts (mehr) bringt? Und was ist mit jenen, die gar nicht wählen dürfen?
Die Salzburg-Wahl ist geschlagen. SPÖ-Mann Bernhard Auinger wird neuer Bürgermeister, Kay-Michael Dankl sein (kommunistischer) Vize. Trotzdem ist die Geschichte der Salzburger Gemeinderatswahl damit nicht vollständig erzählt. Denn die beiden Kontrahenten wurden auch diesen Sonntag von einer „Partei“in den Schatten gestellt, die bei Wahlen – ob auf Landes-, Bundes- oder EU-Ebene – sehr oft die eigentliche Nummer eins ist: die Nichtwähler.
Am Sonntag blieb mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten daheim. Mit 47 Prozent lag die Wahlbeteiligung deutlich unter den 55 Prozent vor zwei Wochen. Vor zehn Jahren nahmen an der Stichwahl zwischen Heinz Schaden und Harald Preuner gar nur 31 Prozent teil – die niedrigste Beteiligung, die es je bei einer Stichwahl in Österreich gab. Es sei nachvollziehbar, dass Stichwahlen weniger Wähler mobilisierten, weil nur noch zwei Kandidatinnen oder Kandidaten zur Wahl stünden, sagt der Salzburger Politologe Armin Mühlböck. Das sei auch bei acht von zehn Stichwahlen in Österreich der Fall. Nur wenn das Duell spannend und umkämpft sei – wie zwischen Auinger und Dankl –, falle die Wahlbeteiligung weniger stark ab. Dazu kommt, dass in der Stadt Salzburg die Wahlbeteiligung traditionell niedrig ist, auch im Vergleich etwa zu Linz oder Innsbruck.
Man müsse zwischen den einzelnen Ebenen unterscheiden, sagt auch Wahlforscherin Martina Zandonella von Foresight (vormals Sora) im SN-Gespräch. Bei Nationalratswahlen sei die Beteiligung „natürlich ungleich höher“. 2019 etwa lag sie bei der Nationalratswahl bei 75,6 Prozent. Dass eine Richtungsentscheidung Menschen verstärkt zu den Wahlurnen treibt, hat sich auch bei der Stichwahl zwischen Alexander Van der Bellen und Norbert
Martina Zandonella,
Hofer im Rennen um die Hofburg im Dezember 2016 gezeigt: Die starke Polarisierung führte dazu, dass ebenfalls drei Viertel aller Wahlberechtigten mitstimmten.
Aber wer sind jene, die nicht von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen? Warum verweigern sie sich? Auch wenn es sich um keine homogene Gruppe handelt und die Motive sehr unterschiedlich sind, lässt sich laut Zandonella festhalten: „Leute, die nicht wählen gehen, haben weniger formale Bildung, sind eher in der Stadt zu Hause als am Land und sind eher jünger.“Ältere Semester würden das Wählen viel stärker als ihre Bürgerpflicht ansehen.
Belegt ist auch ein OstWest-Gefälle: Während im Burgenland traditionell die bravsten Wählerinnen und Wähler zu Hause sind, nimmt die Begeisterung fürs Wählen ab, je weiter man in Richtung Salzburg, Tirol und Vorarlberg vordringt. Ein Grund: „Westösterreich war dem Staat und der Regierung in Wien gegenüber immer schon kritischer eingestellt.“
Und noch eine Tendenz gibt es: „Das unterste ökonomische Drittel geht weniger häufig wählen“, sagt die Expertin. Diese demokratische Schieflage zeige sich auch in Österreich, obwohl die Wahlbeteiligung im internationalen Vergleich hoch sei und es keinen generellen Trend nach unten gebe. Aber von dem knappen Viertel jener Wahlberechtigten, die 2019 nicht wählten, waren 41 Prozent dem untersten Einkommensdrittel zuzurechnen, 22 dem mittleren und 17 dem obersten.
Auch die Zufriedenheit mit dem politischen System fällt bei jenen, die weniger verdienen und damit oft in weniger anerkannten Branchen arbeiten, geringer aus: Laut Sora-Demokratiemonitor 2023 sind jede Zweite und jeder Zweite, die dem obersten Einkommensdrittel zugerechnet werden, mit dem Politsystem sehr bis ziemlich zufrieden, bei jenen im untersten Drittel ist es nicht einmal jeder Vierte. Während 82 Prozent der obersten Einkommensbezieher ihre Anliegen von einer Partei vertreten sehen, sind es bei den untersten Einkommen nur 47 Prozent.
Zu einem Problem für die Demokratie werde es, wenn diese Schieflage „überdimensional“werde, sagt Zandonella. „Wir nennen das die Zweidritteldemokratie,
wenn ein Drittel in einem
Land denkt: Meine Stimme zählt nicht, wählen gehen zahlt sich für mich eh nicht aus und ich werde als Mensch zweiter Klasse wahrgenommen.“
Wichtig ist eine weitere Unterscheidung: Da sind die verfestigten Nichtwähler, die so gut wie nicht mehr erreichbar sind oder noch nie gewählt haben. Deutlich größer dagegen ist die Zahl jener, die je nach Situation einmal wählen gehen und dann wieder nicht. Politologe Mühlböck spricht von Menschen, die demokratiepolitisch „auf Urlaub“seien. Zandonella sieht in dieser Gruppe einen nicht zu unterschätzenden politischen Faktor. Im Buhlen um diese Stimmen hätten neue Parteien und Bewegungen wesentlich bessere Karten als etablierte Parteien: Dominik Wlazny etwa von der Bierpartei. Oder zuletzt in Salzburg Kay-Michael Dankl von der KPÖ plus, der auffallend viele Nichtwählerinnen und Nichtwähler motivieren konnte. Auch Sebastian Kurz konnte mit der neu in Türkis eingefärbten ÖVP unter anderem im
Teich der Nichtwählerinnen und Nichtwähler fischen. Auf der anderen Seite: Im Herbst 2019, als im Gefolge der Ibiza-Affäre gewählt wurde, blieben wiederum vor allem enttäuschte FPÖ-Wähler zu Hause. Laut Wählerstromanalysen waren es 235.000. Die Wahlbeteiligung, die 2017 noch 80 Prozent betragen hatte, sank deutlich.
Zandonella verweist noch auf ein ganz anderes Problem: Den hohen
Anteil jener Menschen, die in Österreich leben und teilweise schon hier geboren sind, aber (noch) keine Staatsbürgerschaft haben. Unter anderem deshalb, weil die finanziellen Hürden in Österreichs vergleichsweise rigidem System sehr hoch sind. Das führt dazu, dass beispielsweise in Wien ein Drittel der Einwohner über 16 nicht wählen gehen darf. „Bei den 16- bis 25-Jährigen in Wien, dürfen sogar 40 Prozent nicht bei der Nationalratswahl im Herbst wählen“, sagt sie.
Parteien würden dann auch überlegen, wohin sie ihre Ressourcen kanalisierten, sagt Zandonella. „Dann gehe ich als Partei vielleicht eher nicht nach Favoriten, weil dort die Hälfte der Leute eh nicht wählen darf.“Und da stelle sich auch die Frage nach der politischen Bildung, bei der Zandonella großen Aufholbedarf sieht. „Wie begeistert man denn Schülerinnen und Schüler, wenn drei Viertel jener, die in der Klasse sitzen, wissen, dass sie ohnehin nicht wählen dürfen?“