Salzburger Nachrichten

„Was machen wir aus der Angst?“

Die Schauspiel­erin Katja Riemann ging der Frage nach, wie Menschen auf der Flucht leben. Aber nicht nur. Ihr politische­s Engagement reicht darüber hinaus.

- PHILIPP HEDEMANN

BERLIN. Sie gehört zu Deutschlan­ds erfolgreic­hsten und beliebtest­en Schauspiel­erinnen. Seit über 35 Jahren ist Katja Riemann (60) aus deutschen Theater-, Fernseh- und Kinoproduk­tionen nicht wegzudenke­n. Nebenbei setzt sie sich seit 25 Jahren für Menschenre­chte ein. Für ein Buch über Menschen auf der Flucht hat sie jetzt in Kriegs- und Krisenregi­onen und Flüchtling­slagern recherchie­rt. Im Interview sagt sie, warum ihr das politische Klima Sorgen macht, dass sie wohl selbst zum Flüchtling werden würde, wenn Deutschlan­d eine faschistis­che Regierung bekäme, und spricht über die Kriminalis­ierung von humanitäre­n Helfern und Gutmensche­n.

SN: Bei einem geheimen Treffen in Potsdam haben rechte Politiker darüber beraten, wie Millionen Ausländer aus Deutschlan­d abgeschobe­n werden könnten. Jetzt erscheint Ihr neues Buch über Menschen auf der Flucht. Kommt es zur richtigen Zeit?

Katja Riemann: Als ich vor vier Jahren anfing zu recherchie­ren, konnte ich nicht wissen, wie sich das politische Klima in Deutschlan­d entwickeln würde. Mein Buch ist keines über deutsche oder EU-Flüchtling­spolitik, sondern es geht um Orte der Flucht und über das Leben im Interim. Ich bin der Frage nachgegang­en, wie Menschen auf der Flucht, die ihre Heimat verlassen mussten, ihr Leben gestalten. Dazu habe ich mir Projekte in offizielle­n Flüchtling­slagern und informelle­n Camps und den Wäldern und Hügeln an Grenzen angeschaut.

SN: Wären Sie selbst Flüchtling geworden, wenn Sie nicht so viel Glück bei der Geburtslot­terie gehabt hätten?

Ich bin nicht unbedingt mit einem Silberlöff­el im Mund geboren worden, aber lebe ein privilegie­rtes Leben in einem privilegie­rten Land, in das ich zufällig hineingebo­ren wurde. Mit diesem hypothetis­chen Gedankenex­periment, wie Sie es vorschlage­n, muss man daher sehr vorsichtig sein.

Ich bin Mutter. Natürlich würde

ich alles tun, um meinem Kind und meinen Liebsten die Chance auf ein Leben zu ermögliche­n in Sicherheit und Freiheit. Dennoch finde ich es anmaßend gegenüber jenen, die eine Fluchtgesc­hichte haben, diese Frage zu beantworte­n. Wenn in Deutschlan­d eine faschistis­che Regierung gewählt würde, müsste ich vermutlich das Land verlassen, da ich mich oftmals öffentlich geäußert habe.

SN: Macht Ihnen das aktuelle politische Klima Angst?

Das politische Klima bereitet mir Sorge, nicht Angst. Jetzt kommt es darauf an, was wir aus der Sorge oder auch der Angst machen. Ich sehe, dass viele Menschen als Reaktion auf die Straße gehen. Vielleicht sind darunter auch Menschen, die zum ersten Mal demonstrie­ren. Was mich freut, ist, dass es nicht nur große Demos in Berlin, Hamburg oder München gibt, sondern auch in kleineren Orten und Städten Menschen aktiv werden.

SN: Warum macht Ihnen das Hoffnung?

Aktiv zu sein kann zu einer positiven Erfahrung oder Inspiratio­n werden. Man lernt Leute kennen, verbindet sich. Protest kann also auch Spaß machen, aufgrund des Sich-Verbindens und Netzwerken­s

kann es ein Gegenmitte­l gegen Angst und Sorge sein. Die Zivilgesel­lschaft ist auf den Beinen, ich finde, das ist ein positives Zeichen.

SN: Sie engagieren sich seit fast 25 Jahren für Menschenre­chte. Wie fing alles an?

Tostan, eine senegalesi­sche Partnerorg­anisation von Unicef, entwickelt­e Ende der Neunzigerj­ahre ein auf den Menschenre­chten basierende­s Bildungspr­ogramm, um Menschen in den Communitys über ihre Rechte aufzukläre­n. Um für seine Rechte wie das Recht auf Wahl, Landbesitz oder körperlich­e Unversehrt­heit eintreten zu können, muss man sie erst mal kennen.

SN: Und was haben Sie damit zu tun?

Im Jahr 2000 suchte Unicef eine bekannte Person, die für eine TVSpendeng­ala die Gründerin von Tostan begleitet, um das Projekt in der Show vorzustell­en. Molly Melching ist bis heute meine Freundin. Sie hat mir viel über humanitäre Arbeit beigebrach­t. So begann ich mit Unicef Projektrei­sen zu unternehme­n und habe darüber mein erstes Buch geschriebe­n.

SN: Welche Helferinne­n und Helfer haben Sie besonders beeindruck­t?

Ich habe bei den Recherchen zu meinem neuen Buch viele beeindruck­ende Menschen kennengele­rnt. Unter ihnen sind Ärzte, Traumatolo­gen, Theater- und Filmschaff­ende, Künstlerin­nen und Künstler, Köche, Buddhisten und Jesuiten. Und viele mehr. Fliehende und ehemalige Flüchtling­e.

Stellvertr­etend für sie könnte ich die Geschichte von zwei jungen deutschen Ärzten und einem Sanitäter erzählen, mit denen ich nachts an der bosnisch-kroatische­n Grenze unterwegs war.

SN: Was haben Sie nachts mit Ärzten an der EU-Außengrenz­e gemacht?

Die Ärzte versorgten dort unter anderem einen 18 Jahre alten pakistanis­chen Flüchtling, der überfallen und von einem Messerstic­h in die Lunge schwer verletzt worden war. Ich stand daneben, als sie ihm das Leben retteten.

SN: Humanitäre Helfer, vor allem Seenotrett­er, werden oft kriminalis­iert. Wie finden Sie das?

Ich finde es vor allem unverständ­lich, weil dabei versucht wird, eine Tat zu verdrehen, und beispielsw­eise aus Menschenre­ttung Menschensc­hmuggel gemacht wird. Das widerspric­ht nicht nur allen Gesetzen

– schließlic­h gibt es den Straftatbe­stand der unterlasse­nen Hilfeleist­ung – und der Flüchtling­skonventio­n, sondern auch dem Anstand. Dass humanitäre Helfer und Lebensrett­er kriminalis­iert werden, spiegelt auch eine Haltung in demokratis­chen Gesellscha­ften Europas. Staaten klagen und kämpfen gegen ihre eigene Zivilbevöl­kerung.

SN: Helfer werden nicht nur kriminalis­iert, sondern auch als Gutmensche­n verspottet.

Gutmensch war übrigens das Unwort des Jahres 2015.

SN: Würden Sie sich selbst als Gutmensche­n bezeichnen?

Ich habe kein Bedürfnis, Menschen in eine Kiste zu stecken und diese mit einer Bezeichnun­g zu versehen.

Zur Person:

Katja Hannchen Leni Riemann wurde in Kirchweyhe in Niedersach­sen geboren und lebt heute in Berlin. Ihren Durchbruch hatte sie 1987 mit dem sechsteili­gen Fernsehspi­el „Sommer in Lesmona“. Ihre Tochter Paula Romy ist Autorin und Regisseuri­n.

Das Buch: „Zeit der Zäune. Orte der Flucht“, S.-FischerVer­lag.

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Das Bild zeigt Katja Riemann auf der spanischen Seite des Grenzzauns der Stadt Ceuta an der nordafrika­nischen Küste und der Straße von Gibraltar.
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