„Was machen wir aus der Angst?“
Die Schauspielerin Katja Riemann ging der Frage nach, wie Menschen auf der Flucht leben. Aber nicht nur. Ihr politisches Engagement reicht darüber hinaus.
BERLIN. Sie gehört zu Deutschlands erfolgreichsten und beliebtesten Schauspielerinnen. Seit über 35 Jahren ist Katja Riemann (60) aus deutschen Theater-, Fernseh- und Kinoproduktionen nicht wegzudenken. Nebenbei setzt sie sich seit 25 Jahren für Menschenrechte ein. Für ein Buch über Menschen auf der Flucht hat sie jetzt in Kriegs- und Krisenregionen und Flüchtlingslagern recherchiert. Im Interview sagt sie, warum ihr das politische Klima Sorgen macht, dass sie wohl selbst zum Flüchtling werden würde, wenn Deutschland eine faschistische Regierung bekäme, und spricht über die Kriminalisierung von humanitären Helfern und Gutmenschen.
SN: Bei einem geheimen Treffen in Potsdam haben rechte Politiker darüber beraten, wie Millionen Ausländer aus Deutschland abgeschoben werden könnten. Jetzt erscheint Ihr neues Buch über Menschen auf der Flucht. Kommt es zur richtigen Zeit?
Katja Riemann: Als ich vor vier Jahren anfing zu recherchieren, konnte ich nicht wissen, wie sich das politische Klima in Deutschland entwickeln würde. Mein Buch ist keines über deutsche oder EU-Flüchtlingspolitik, sondern es geht um Orte der Flucht und über das Leben im Interim. Ich bin der Frage nachgegangen, wie Menschen auf der Flucht, die ihre Heimat verlassen mussten, ihr Leben gestalten. Dazu habe ich mir Projekte in offiziellen Flüchtlingslagern und informellen Camps und den Wäldern und Hügeln an Grenzen angeschaut.
SN: Wären Sie selbst Flüchtling geworden, wenn Sie nicht so viel Glück bei der Geburtslotterie gehabt hätten?
Ich bin nicht unbedingt mit einem Silberlöffel im Mund geboren worden, aber lebe ein privilegiertes Leben in einem privilegierten Land, in das ich zufällig hineingeboren wurde. Mit diesem hypothetischen Gedankenexperiment, wie Sie es vorschlagen, muss man daher sehr vorsichtig sein.
Ich bin Mutter. Natürlich würde
ich alles tun, um meinem Kind und meinen Liebsten die Chance auf ein Leben zu ermöglichen in Sicherheit und Freiheit. Dennoch finde ich es anmaßend gegenüber jenen, die eine Fluchtgeschichte haben, diese Frage zu beantworten. Wenn in Deutschland eine faschistische Regierung gewählt würde, müsste ich vermutlich das Land verlassen, da ich mich oftmals öffentlich geäußert habe.
SN: Macht Ihnen das aktuelle politische Klima Angst?
Das politische Klima bereitet mir Sorge, nicht Angst. Jetzt kommt es darauf an, was wir aus der Sorge oder auch der Angst machen. Ich sehe, dass viele Menschen als Reaktion auf die Straße gehen. Vielleicht sind darunter auch Menschen, die zum ersten Mal demonstrieren. Was mich freut, ist, dass es nicht nur große Demos in Berlin, Hamburg oder München gibt, sondern auch in kleineren Orten und Städten Menschen aktiv werden.
SN: Warum macht Ihnen das Hoffnung?
Aktiv zu sein kann zu einer positiven Erfahrung oder Inspiration werden. Man lernt Leute kennen, verbindet sich. Protest kann also auch Spaß machen, aufgrund des Sich-Verbindens und Netzwerkens
kann es ein Gegenmittel gegen Angst und Sorge sein. Die Zivilgesellschaft ist auf den Beinen, ich finde, das ist ein positives Zeichen.
SN: Sie engagieren sich seit fast 25 Jahren für Menschenrechte. Wie fing alles an?
Tostan, eine senegalesische Partnerorganisation von Unicef, entwickelte Ende der Neunzigerjahre ein auf den Menschenrechten basierendes Bildungsprogramm, um Menschen in den Communitys über ihre Rechte aufzuklären. Um für seine Rechte wie das Recht auf Wahl, Landbesitz oder körperliche Unversehrtheit eintreten zu können, muss man sie erst mal kennen.
SN: Und was haben Sie damit zu tun?
Im Jahr 2000 suchte Unicef eine bekannte Person, die für eine TVSpendengala die Gründerin von Tostan begleitet, um das Projekt in der Show vorzustellen. Molly Melching ist bis heute meine Freundin. Sie hat mir viel über humanitäre Arbeit beigebracht. So begann ich mit Unicef Projektreisen zu unternehmen und habe darüber mein erstes Buch geschrieben.
SN: Welche Helferinnen und Helfer haben Sie besonders beeindruckt?
Ich habe bei den Recherchen zu meinem neuen Buch viele beeindruckende Menschen kennengelernt. Unter ihnen sind Ärzte, Traumatologen, Theater- und Filmschaffende, Künstlerinnen und Künstler, Köche, Buddhisten und Jesuiten. Und viele mehr. Fliehende und ehemalige Flüchtlinge.
Stellvertretend für sie könnte ich die Geschichte von zwei jungen deutschen Ärzten und einem Sanitäter erzählen, mit denen ich nachts an der bosnisch-kroatischen Grenze unterwegs war.
SN: Was haben Sie nachts mit Ärzten an der EU-Außengrenze gemacht?
Die Ärzte versorgten dort unter anderem einen 18 Jahre alten pakistanischen Flüchtling, der überfallen und von einem Messerstich in die Lunge schwer verletzt worden war. Ich stand daneben, als sie ihm das Leben retteten.
SN: Humanitäre Helfer, vor allem Seenotretter, werden oft kriminalisiert. Wie finden Sie das?
Ich finde es vor allem unverständlich, weil dabei versucht wird, eine Tat zu verdrehen, und beispielsweise aus Menschenrettung Menschenschmuggel gemacht wird. Das widerspricht nicht nur allen Gesetzen
– schließlich gibt es den Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung – und der Flüchtlingskonvention, sondern auch dem Anstand. Dass humanitäre Helfer und Lebensretter kriminalisiert werden, spiegelt auch eine Haltung in demokratischen Gesellschaften Europas. Staaten klagen und kämpfen gegen ihre eigene Zivilbevölkerung.
SN: Helfer werden nicht nur kriminalisiert, sondern auch als Gutmenschen verspottet.
Gutmensch war übrigens das Unwort des Jahres 2015.
SN: Würden Sie sich selbst als Gutmenschen bezeichnen?
Ich habe kein Bedürfnis, Menschen in eine Kiste zu stecken und diese mit einer Bezeichnung zu versehen.
Zur Person:
Katja Hannchen Leni Riemann wurde in Kirchweyhe in Niedersachsen geboren und lebt heute in Berlin. Ihren Durchbruch hatte sie 1987 mit dem sechsteiligen Fernsehspiel „Sommer in Lesmona“. Ihre Tochter Paula Romy ist Autorin und Regisseurin.
Das Buch: „Zeit der Zäune. Orte der Flucht“, S.-FischerVerlag.