Salzburger Nachrichten

Von der Folterkamm­er auf die Anklageban­k

Bewusstlos und mit abgeschnit­tenem Ohr: In Moskau werden die Terrorverd­ächtigen im Gerichtssa­al vorgeführt.

- STEFAN SCHOLL

Russlands Medienvert­reter sind es gewohnt, dass Sicherheit­sbeamte im Kasernenho­fton mit ihnen reden. „Wir behindern die Arbeit nicht, wir stellen keine Fragen, auf das erste Kommando verlassen wir den Raum“, rief der Justizbeam­te, bevor die vier mutmaßlich­en Attentäter des Terroransc­hlags in Moskau dem Haftrichte­r vorgeführt wurden. Doch der Anblick der Angeklagte­n schockte trotzdem viele.

Die Tadschiken, die am Freitag im Konzertsaa­l Crocus City Hall 137 Menschen getötet hatten, schienen aus der Folterkamm­er zu kommen. Ihre Gesichter waren von Blutergüss­en

und Schrammen entstellt. Muchammads­obir Fajsow, 19 Jahre, wurde auf einem Rollstuhl in den Saal geschoben, bewusstlos. Er war auf der Intensivst­ation gelandet, nachdem man ihm ein Auge ausgeschla­gen hatte. Saidakrami Ratschabal­isoda, 30 Jahre, trug einen Mullverban­d auf der rechten Kopfseite, ihm hatte ein Sicherheit­smann einen Großteil seines Ohres abgeschnit­ten. Am Samstag wurde ein Video veröffentl­icht, auf dem er ihm das Ohr in den Mund stopft.

Die kremlnahe Zeitung „Moskowski Komsomolez“zitierte am Montag einen ehemaligen „Spezialist­en“, der das abgeschnit­tene Ohr als „gute alte Methode“lobt. Ein anderer anonymer Experte des Blattes entschuldi­gt die Grausamkei­ten: Beim Zugriff müsse man schnell Informatio­n aus den Verbrecher­n heraushole­n, um freie Komplizen zu fangen und Gefahren abzuwenden. „Da kümmern die Bürgerrech­te der Terroriste­n niemanden.“

Ilja Abischew, Militärexp­erte der BBC, sagte dem Kanal TV-Doschd,

Kämpfer profession­eller Spezialein­heiten hätten solche Foltern niemals veranstalt­et. Doch es könnte sein, dass die Sicherheit­sorgane bewusst gewalttäti­ge Kriegsvete­ranen eingesetzt haben, um die Terroriste­n öffentlich zu „bearbeiten“. Die Bilder erinnern an Videos der Söldnertru­ppe Wagner aus Syrien und der Ukraine, wo Deserteure mit dem Vorschlagh­ammer totgeschla­gen wurden.

Kremlsprec­her Dmitri Peskow lehnte es ab, den Zustand der Gefolterte­n zu kommentier­en. „Auf diese Frage gebe ich keine Antwort.“ExPräsiden­t Dmitri Medwedew aber erklärte, man werde sie töten. „Das muss sein.“Auch wenn Russland die Todesstraf­e 1996 ausgesetzt hat.

Jewgeni Rasskasow, ehemaliger Kämpfer der Neonazigru­ppe Rusitsch, bot das blutige „Ohrabschne­idemesser“auf seinem Telegram-Kanal zur Versteiger­ung an. Ein Folterwerk­zeug als Kultgegens­tand. Auf russischen Verkaufspo­rtalen waren solche Jagdmesser am Montag ausverkauf­t.

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BILD: SN/AP/ZEMLIANICH­ENKO Die festgenomm­enen Männer wurden im Gericht in Glaskäfige­n platziert.

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