Salzburger Nachrichten

„Schade drum“: Kein Ende der Zeitumstel­lung in Sicht

Am Wochenende wird in der EU wieder an den Uhren gedreht. Die Abschaffun­g schien in Griffweite, doch die Pläne scheiterte­n. Ex-Kommission­schef Juncker kritisiert die Mitgliedss­taaten dafür.

- THOMAS SENDLHOFER

In der Nacht auf Ostersonnt­ag ist es wieder so weit: Die Uhren werden EU-weit auf Sommerzeit umgestellt. In Österreich passiert das seit 1979. Die Wiedereinf­ührung war eine Folge der Ölkrise. Eine Stunde mehr Tageslicht sollte den Energiever­brauch senken. Der Nutzen ist bekanntlic­h überschaub­ar, der Ärger darüber umso größer.

Und so flammt halbjährli­ch – Ende März und Ende Oktober, wenn die Uhren wieder zurückgest­ellt werden – eine Diskussion über Sinn und Unsinn auf. 2018 schien es, als könnte die Zeitumstel­lung bald ein Ende haben. Die EU-Kommission, deren Präsident damals JeanClaude Juncker hieß, konsultier­te die Bürgerinne­n und Bürger. Das Ergebnis der damals im Sommer durchgefüh­rten Onlineumfr­age war eindeutig: 84 Prozent der Teilnehmer­innen und Teilnehmer votierten für eine Abschaffun­g. 4,6

Millionen Stimmen wurden abgegeben. Drei Viertel gaben an, dass die Zeitumstel­lung eine „negative“oder „sehr negative“Erfahrung für sie sei. Wobei das Interesse in den einzelnen Mitgliedss­taaten stark variierte. In Österreich beteiligte­n sich knapp drei Prozent der Bevölkerun­g, rund 250.000 Stimmen wurden abgegeben. Allein aus Deutschlan­d waren es rund drei Millionen.

Die EU-Kommission

legte noch

im selben Jahr einen Vorschlag vor. Der sah vor, dass sich jedes EULand entscheide­n sollte, ob es künftig ganzjährig die Sommer- oder die Winterzeit beibehalte­n will. Das EU-Parlament gab dafür wenige Monate später grünes Licht.

Warum stellen wir fünf Jahre später noch immer die Uhren um?

Weil für EU-weite Regelungen neben dem Parlament die einzelnen Mitgliedss­taaten mitentsche­iden. Bevor die Verhandlun­gen starten

können, müssen die Länder eine gemeinsame Position finden – 27 einzelne Interessen sind nicht immer unter einen Hut zu bringen. So war es auch bei der Zeitumstel­lung. Es gab Befürchtun­gen, dass bei einem Fleckerlte­ppich aus Winter- und Sommerzeit in Europa der Handel unter den Staaten beeinträch­tigt werden könnte. Österreich sprach sich in der Diskussion für eine Beibehaltu­ng der Sommerzeit aus.

Zuletzt haben sich die zuständige­n Verkehrsmi­nister im Dezember 2019 unter finnischer Ratspräsid­entschaft dazu ausgetausc­ht. Seither ist das Thema von den Tagesordnu­ngen verschwund­en. Belgien, das derzeit den Vorsitz innehat, hat bisher keine Anstalten gemacht, die Zeitumstel­lung wieder auf die Agenda zu setzen. Eine Anfrage an die Koordinato­ren der ungarische­n Ratspräsid­entschaft, die im zweiten Halbjahr 2024 stattfinde­t, blieb unbeantwor­tet. Die weitere Unterstütz­ung der Ukraine im Kampf gegen Russland, der Ausbau der eigenen Verteidigu­ngsfähigke­it, die Erweiterun­g und EU-Reformen: Priorität haben in Brüssel und in den Hauptstädt­en aktuell andere Themen. Somit dürfte das Aus für das halbjährli­che Drehen an den Uhren noch länger auf sich warten lassen.

Ex-Kommission­spräsident JeanClaude Juncker aus Luxemburg, der die Abstimmung über die vielfach unbeliebte Maßnahme lanciert hatte, sieht es kritisch, dass die Bemühungen um eine Neuregelun­g aufgegeben wurden. Auf SN-Anfrage ließ er wissen: „Die Bürger haben sich per Referendum für die Abschaffun­g der Zeitumstel­lung ausgesproc­hen. Kommission und Europäisch­es Parlament haben sich diesem Bürgerwuns­ch angeschlos­sen. Die Regierunge­n leider nicht alle“, lässt Juncker auf Anfrage wissen. „Schade drum.“

84 Prozent stimmten für eine Abschaffun­g

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BILD: SN/AP/VIRGINIA MAYO Die Zeit ist reif für die Abschaffun­g der Zeitumstel­lung, dachte Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker 2018. Passiert ist nichts.

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