Die Fußstütze verrät Max Reinhardt
Seit 100 Jahren bewährt sich, was Max Reinhardt im Josefstädter Theater geschaffen hat. Das weckt Erinnerung und Verehrung.
Wer unterm Schreibtisch seine Füße etwas höher als Bodenniveau abstellen mag, wird üblicherweise einen Schemel benutzen. Nicht so Max Reinhardt: Der Regisseur und Theaterintendant besorgte sich ein abgeschrägtes, mit Holzintarsien überzogenes Podest. Der Chic wird zur Eleganz, indem es auf einer ebenso aufwendig gefertigten Unterlage liegt, die noch dazu mit den Maßen der Tischplatte korrespondiert. Zudem sind die Stofftapeten im gleichen feierlichen Rot und die Kristalllampen an den Wänden im gleichen Stil wie in den Foyers und im Zuschauerraum jenes Hauses, in dem dieses Max-ReinhardtZimmer gehegt wird: des Theaters in der Josefstadt in Wien.
Dieses ist am 1. April vor 100 Jahren so eröffnet worden, wie es Max Reinhardt mit seiner Ehefrau Helene Thimig gestaltet hatte. Freilich ist diese Spielstätte noch geschichtsträchtiger: Das ab 1788 hier genutzte Theater, wegen seine Winzigkeit Schnupftüchl genannt, wurde 1822 ausgebaut, sodass auch Johann Nestroy hier durchs Bühnentürl gegangen ist. Die zweite Erweiterung und Umgestaltung übernahm Max Reinhardt, nachdem er 1923 dieses Theater dank dem öster
Theater in der Josefstadt
reichisch-italienischen Industriellen Camillo Castiglioni übernommen hatte. „Das war eine unglaublich glückliche Fügung“, erzählt Alexander Götz, Kaufmännischer Direktor und infolge der von ihm 2006/07 betreuten Generalsanierung ein Kenner von Haus und Geschichte des Josefstädter Theaters. Zunächst habe Castiglioni mit Reinhardt vereinbart, er beschaffe ihm ein Theater, das er sich aussuchen könne und dann zumindest zehn Jahre leiten müsse. „Max Reinhardt hat sich die Josefstadt ausgesucht“– unter der Bedingung, dass sie neu hergerichtet wird. Castiglioni habe dem zugestimmt und alles gezahlt.
Ähnlich wie im Salzburger Schloss Leopoldskron hat Max Reinhardt so klug und feinsinnig modernisiert und ergänzt sowie Altes bewahrt oder hinzugefügt, dass der Zustand des Hauses vom 1. April 1924 für die Sanierung 2006/07 der denkmalschützerische Maßstab war. Apropos Leopoldskron: Ein in Venedig für ein Josefstädter Foyer besorgtes Deckengemälde, das Flora als Göttin des frohen Genusses zeigt, ist dem Kunsthistoriker Robert Stalla zufolge („Theater in der Josefstadt“, Hirmer, 2021) mit Kopien von Leopoldskroner Rokokostuck eingefasst.
Max Reinhardt habe an mehreren Orten im deutschen Sprachraum großartige künstlerische und bauliche Spuren hinterlassen, berichtet Alexander Götz. Nach Berlin und Salzburg kam dies dem Josefstädter Theater in Wien zugute.
Vorbild für seine Umgestaltung des Kornhäuseltheaters war das Opernhaus La Fenice in Venedig. Viele heute noch erhaltene Gemälde sowie zwei Sandsteinfiguren der Commedia dell’arte wurden in Italien, vor allem in Venedig, besorgt – teils von Max Reinhardt und Helene Thimig, teils von dem mit dem Umbau betrauten Architekten Carl Witzmann. Fast wäre sogar ein – schließlich zu teures – Deckengemälde Giovanni Battista Tiepolos nach Wien versetzt worden.
Dass Max Reinhardt sogar für die Leuchten über den Ausgängen des Zuschauersaals filigrane Kugeln aus Muranoglas hat anfertigen lassen, sollte den Kaufmännischen Direktor bei der Sanierung 2006/07 in eine Zwickmühle bringen: Die Veranstaltungsbehörde habe insistiert, dass Notausgänge laut EU-Recht grün zu markieren seien, auf den Lampen aus 1924 sei aber dafür ein roter Strich gewesen, berichtet Alexander Götz. Als man versucht habe, den roten Strich abzuschleifen, sei eine Kugel gesprungen, worauf das Denkmalamt jedes weitere Schleifen untersagt habe. Bei einer Besprechung seien beide Behörden unerbittlich gewesen. Da habe er Herbert Föttinger zur Unterstützung geholt. Was solle er sagen, habe ihn Föttinger gefragt. „Sag gar nichts, schrei einfach“, habe er ihm geraten. Also sei Herbert Föttinger, nicht nur Theaterdirektor, sondern auch Schauspieler und Regisseur, zur Besprechung gegangen und habe alle angebrüllt. „Dann hat er sich umgedreht und ist gegangen.“Die Vertreter der Behörden seien „fix und fertig“gewesen. Dies habe einen Kompromiss ermöglicht: Die Kugeln seien geblieben, wenn möglich ohne roten Strich; dahinter seien EU-konforme grünen Schilder montiert worden. Max Reinhardts Erbe war ebenso gerettet wie die Brandschutzregeln eingehalten.
Zweite Änderung im Sinne Max Reinhardts war die Erweiterung der Foyers: Zum einen wurde zur Straße hin die Trias von Vestibül, Garderobe
und Kassenraum geschaffen. Zum anderen wurden die benachbarten, derweil als Lager missbrauchten Sträußelsäle luxuriös renoviert, zu den Theaterfoyers hin und somit für Publikum geöffnet, auch für Empfänge, Bälle, Feste und – wie heute noch – Premierenfeiern. Max Reinhardt habe sich auch um Gastronomie gekümmert, denn „Theater ist ein Gesamterlebnis“für Publikum und Künstler, schildert Alexander Götz. Ebenfalls als Aufenthaltsort fürs Publikum gestaltete Carl Witzmann nach Max Reinhardts Vorgaben einen Roten Salon und einen Gelben Salon – beide mit Gemälden aus Italien.
Auch Wienerisches wurde einbezogen – etwa der mit dem „Canaletto-Blick“vom Oberen Belvedere dekorierte eiserne Vorhang, der riesige LobmeyerLuster, der sich vor dem Öffnen des Vorhangs sechs Meter in die Höhe enthebt, oder Porträts von Nestroy, Grillparzer und Beethoven in einem Korridor.
Freilich hat Max Reinhardt auch die Josefstädter Bühne vergrößert und mit Schnürboden und Scheinwerfern die technische Infrastruktur erneuert. Er habe den – von ihm erfundenen – Rundhorizont in die Josefstadt gebracht, erzählt Alexander Götz. Allerdings: Eine Drehbühne, ebenfalls eine Erfindung Max Reinhardts in Berlin, sollte sein Wiener Lieblingstheater erst 1936 bekommen.
„Das war eine glückliche Fügung.“Alexander Götz,