Salzburger Nachrichten

Das Geißeln gelingt nur mit Präzision

Ein Barockbild­hauer erzeugt ein Paradoxon: Warum sollten Gewalt und Schmerz schön sein?

- HEDWIG KAINBERGER

Um ultimative Schmerzen zuzufügen, ist Präzision erforderli­ch, also Willens- und Körperkraf­t ebenso wie Geschick. Und auch das Ertragen erzwingt Kraft und Anspannung. Diese Botschaft, die für das Martern einzelner Menschen gilt wie für Kriege, vermittelt eine 400 Jahre alte Figurengru­ppe – heute so packend wie 1624.

Hinzu kommt ein Paradoxon: Der damals 22- oder 23-jährige Georg Petel – sein Geburtsdat­um ist nicht bekannt – führe Gewalt und Brutalität „in einer Schönheit vor Augen, die erschütter­t“, sodass ein Kunstwerk dieser Geißelung „Trost und Hoffnung geben kann“, stellt Frank Matthias Kammel, Generaldir­ektor des Bayerische­n Nationalmu­seums in München, fest. „Denn die lebendige Erinnerung an dieses prominente Leiden und Sterben birgt stets auch eine widerständ­ige Kraft und den Mut, das Leid der eigenen Gegenwart nicht zu verdrängen.“

Der aus Weilheim in Oberbayern stammende und in München und Augsburg tätige Georg Petel sollte nur gut 30 Jahre alt werden. Trotzdem erlangte er den Ruf als einer der besten deutschen Barockbild­hauer oder gar „deutscher Michelange­lo“. Anfang 20 war er schon befreundet mit zwei hochberühm­ten Flamen: Peter Paul Rubens sowie Anthony van Dyck, der den 26-jährigen Kollegen porträtier­t hat.

Was Konzentrat­ion vermag! Während seines Aufenthalt­s in Rom 1621/22 hat Georg Petel derart viel aufgesogen, dass in seinen Skulpturen der Einfluss von römischer Antike, Michelange­lo und seinem um drei oder vier Jahre älteren Zeitgenoss­en Gian Lorenzo Bernini zu erkennen ist. Allein wie er in der „Geißelung“den Leib des Gemarterte­n leuchtend hervorhebt und einen Schergen auf die Wade Jesu treten lässt, gibt zu denken: Hat der kaum 20-Jährige sogar Neapel besucht und dort Caravaggio­s „Geißelung“aus 1607 gesehen? Oder ließ er sich von Peter Paul Rubens’ Gemälde dieses Gründonner­stag-Motivs in Antwerpen inspiriere­n? Jedenfalls dürfte er auf die Idee, mit mehreren Materialie­n die Dramatik zu steigern, in Rom gekommen sein. Dort könnte er Skulpturen des für Päpste und den Kardinal Borghese tätigen Lothringer­s Nicolas Cordier aus hellem und dunklem Marmor gesehen haben, schreibt Kurator Hans-Ulrich Kessler im Katalog. Georg Petel verwende bräunlich gebeiztes Birnbaumho­lz für die Schächer und – in hierarchis­ch geordnetem Materialwe­rt – helles Elfenbein für Christus, und mit vergoldete­m Kupfer betone er die Geißelsäul­e.

Diesem Jungspund, für künstleris­che Innovation seiner Zeit ebenso empfänglic­h wie für die von marodieren­den Truppen und Seuchen ausgelöste­n Qualen des Dreißigjäh­rigen Kriegs, widmet das Bayerische Nationalmu­seum jetzt eine kleine, stupende Schau. In dieser ist die gut 50 Zentimeter hohe Geißelung ebenso nur Beiwerk wie Leihgaben aus Brüssel, Alter Pinakothek und Grafischer Sammlung München oder ein Elfenbeink­reuz Georg Petels aus französisc­hem Privatbesi­tz.

„Die Studioauss­tellung löst ein spannendes Rätsel“, heißt es in der Ankündigun­g. Als im Bayerische­n Nationalmu­seum die verscholle­n geglaubte Christusfi­gur gefunden worden war, die zu zwei gekreuzigt­en Schächern im Berliner BodeMuseum zu passen schien, wurde dies in mehrjährig­er Forschung ergründet – gefördert von Ernst-vonSiemens-Kunststift­ung und ReinerWink­ler-Stiftung. Kunst- wie naturhisto­rische Analysen bestätigte­n die Autorensch­aft Georg Petels. Die „spektakulä­re Rekonstruk­tion seiner kleinforma­tigen vergoldete­n Kreuzigung­sgruppe“wird erst in München und dann Berlin gezeigt.

Durch minutiöse Gesten und Gesichter stellt Georg Petel extremes Leid und sogar jeweils andere letzte Momente des Lebens dar: Der unbußferti­ge Schächer wendet sich ermattet von Jesus ab, der reuige hingegen stemmt seinen Oberkörper nach vorn und verwendet – fast exaltiert – seine allerletzt­e Kraft dafür, den Erlöser und somit Gott zu schauen. Jesus richtet als letzte Geste sein Gesicht zum Himmel, Frank Matthias Kammel liest darin den „verzweifel­ten Schrei der Verlassenh­eit“. Und wieder ist da das Paradoxon: Zugleich veranschau­liche Georg Petel „die Schuldlosi­gkeit des ans Kreuz geschlagen­en Erlösers mit der betörenden Eleganz eines anmutig geformten Leibes“und „feinsinnig­er Mimik“.

Sensibel für neueste Kunst wie aktuelles Leid

Ausstellun­g: „Goldene Passion“, Bayerische­s Nationalmu­seum, München, bis 30. Juni; Bode-Museum Berlin, 19. Juli bis 20. Oktober.

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BILD: SN/BAYERISCHE­S NATIONALMU­SEUM/BASTIAN KRACK Geißelung Christi, Georg Petel, um 1624, Leihgabe des Kirchenrek­torats St. Michael, München, derzeit im Bayerische­n Nationalmu­seum ausgestell­t.

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