Wie naiv darf der Sozialstaat eigentlich sein?
Beispiel Bildungskarenz: Der Sozialstaat beruht auf einer hohen Meinung vom Menschen.
Die Parabel vom naiven Sozialstaat. – So ließe sich die Debatte über die Bildungskarenz umschreiben, die in diesen Tagen ausgebrochen ist. Nachdem man draufgekommen ist, dass die Kosten dieser Einrichtung binnen vier Jahren um 245 Prozent gestiegen sind, ohne dass die Klugheit der Bevölkerung dadurch merkbar gestiegen wäre, hat die Regierung nun etwas genauer hingesehen. Und ist draufgekommen, dass die an sich bestechende Idee einer der Bildung gewidmeten Karenzzeit von vielen einfach als staatlich geförderte Urlaubsverlängerung missbraucht wird.
Daher sollen nun – man höre und staune – erstmals Nachweise für den Besuch von Weiterbildungskursen während der Bildungskarenz verlangt werden. Als Steuerzahler, der die Bildungskarenz (und vieles andere) finanziert, reibt man sich die Augen und fragt sich: Was, und das wurde bisher nicht verlangt? Wie naiv darf der Sozialstaat eigentlich sein?
Aber man kann ja alles auch positiv sehen. Der Staat hat offensichtlich eine sehr hohe Meinung von seinen Bürgern: Alle Menschen sind sparsam, verantwortungsbewusst und nehmen staatliche Leistungen nur im geringstmöglichen Ausmaß in Anspruch. Daher soll die Reform der Bildungskarenz auch nicht zu weit gehen. Der Staat will künftig zwar den Nachweis verlangen, dass man wirklich Kurse besucht. Ob man sie auch abschließt, interessiert ihn aber weiterhin nicht.
Das erinnert an die Deutschkurse für Zuwanderer. Bisher ging man anscheinend davon aus, dass die Migranten diese Kurse mit Feuereifer besuchen, weil sie doch dringend die deutsche Sprache lernen wollen, um sich raschestmöglich integrieren zu können. Irgendetwas scheint diesen Idealismus nun getrübt zu haben. Denn die Regierung überlegt jetzt, nicht nur den Besuch, sondern auch das Absolvieren der Deutschkurse zu verlangen.
Idealismus und eine hohe Meinung vom Menschen liegen dem Sozialstaat insgesamt zugrunde. Konzipiert wurde er als Ausgleich von Ungleichheiten und als Überbrückungshilfe in Notlagen. Stattdessen wird er von vielen heute als dauerhafte Lebensgrundlage betrachtet, wie etwa der Umstand zeigt, dass von den Zuwanderern, die während der Migrationskrise 2015 nach Österreich kamen, die Hälfte immer noch keiner Arbeit nachgeht.
Von den Neos kam jüngst der Vorschlag, den Sozialstaat noch zu ergänzen, und zwar durch ein Geldgeschenk von 25.000 Euro an alle 18-Jährigen. Auch daraus spricht eine erfreulich hohe Meinung von den Bürgern. Die Neos gehen davon aus, dass alle beschenkten 18-Jährigen die Vorgabe erfüllen werden, das Geld nur für Zukunftsinvestitionen in Wohnraum und Bildung zu verwenden. Man darf ja hoffen.