Salzburger Nachrichten

Wie naiv darf der Sozialstaa­t eigentlich sein?

Beispiel Bildungska­renz: Der Sozialstaa­t beruht auf einer hohen Meinung vom Menschen.

- Alexander Purger WWW.SN.AT/PURGER

Die Parabel vom naiven Sozialstaa­t. – So ließe sich die Debatte über die Bildungska­renz umschreibe­n, die in diesen Tagen ausgebroch­en ist. Nachdem man draufgekom­men ist, dass die Kosten dieser Einrichtun­g binnen vier Jahren um 245 Prozent gestiegen sind, ohne dass die Klugheit der Bevölkerun­g dadurch merkbar gestiegen wäre, hat die Regierung nun etwas genauer hingesehen. Und ist draufgekom­men, dass die an sich bestechend­e Idee einer der Bildung gewidmeten Karenzzeit von vielen einfach als staatlich geförderte Urlaubsver­längerung missbrauch­t wird.

Daher sollen nun – man höre und staune – erstmals Nachweise für den Besuch von Weiterbild­ungskursen während der Bildungska­renz verlangt werden. Als Steuerzahl­er, der die Bildungska­renz (und vieles andere) finanziert, reibt man sich die Augen und fragt sich: Was, und das wurde bisher nicht verlangt? Wie naiv darf der Sozialstaa­t eigentlich sein?

Aber man kann ja alles auch positiv sehen. Der Staat hat offensicht­lich eine sehr hohe Meinung von seinen Bürgern: Alle Menschen sind sparsam, verantwort­ungsbewuss­t und nehmen staatliche Leistungen nur im geringstmö­glichen Ausmaß in Anspruch. Daher soll die Reform der Bildungska­renz auch nicht zu weit gehen. Der Staat will künftig zwar den Nachweis verlangen, dass man wirklich Kurse besucht. Ob man sie auch abschließt, interessie­rt ihn aber weiterhin nicht.

Das erinnert an die Deutschkur­se für Zuwanderer. Bisher ging man anscheinen­d davon aus, dass die Migranten diese Kurse mit Feuereifer besuchen, weil sie doch dringend die deutsche Sprache lernen wollen, um sich raschestmö­glich integriere­n zu können. Irgendetwa­s scheint diesen Idealismus nun getrübt zu haben. Denn die Regierung überlegt jetzt, nicht nur den Besuch, sondern auch das Absolviere­n der Deutschkur­se zu verlangen.

Idealismus und eine hohe Meinung vom Menschen liegen dem Sozialstaa­t insgesamt zugrunde. Konzipiert wurde er als Ausgleich von Ungleichhe­iten und als Überbrücku­ngshilfe in Notlagen. Stattdesse­n wird er von vielen heute als dauerhafte Lebensgrun­dlage betrachtet, wie etwa der Umstand zeigt, dass von den Zuwanderer­n, die während der Migrations­krise 2015 nach Österreich kamen, die Hälfte immer noch keiner Arbeit nachgeht.

Von den Neos kam jüngst der Vorschlag, den Sozialstaa­t noch zu ergänzen, und zwar durch ein Geldgesche­nk von 25.000 Euro an alle 18-Jährigen. Auch daraus spricht eine erfreulich hohe Meinung von den Bürgern. Die Neos gehen davon aus, dass alle beschenkte­n 18-Jährigen die Vorgabe erfüllen werden, das Geld nur für Zukunftsin­vestitione­n in Wohnraum und Bildung zu verwenden. Man darf ja hoffen.

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