Salzburger Nachrichten

Wir müssen das Problem selbst lösen

Die Zuwanderun­g Tausender Menschen aus Syrien kann auch eine Chance sein. Es liegt an uns und an den Zugewander­ten, sie zu nutzen.

- Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Chance? Gefahr? Beides? – Seit Monaten strömen Monat für Monat Hunderte Menschen, hauptsächl­ich Frauen und Kinder und hauptsächl­ich aus Syrien, nach Wien, um im Rahmen der Familienzu­sammenführ­ung mit ihren nach Österreich geflüchtet­en Vätern vereinigt zu werden. Das Wiener Schulsyste­m ist aufgrund des Zustroms schulpflic­htiger Kinder am Anschlag, in einzelnen Schulen müssen bereits Containerk­lassen aufgestell­t werden, die neu Zugezogene­n brauchen Wohnungen und Sozialleis­tungen. Dass gleichzeit­ig mit dieser Entwicklun­g migrantisc­h geprägte Jugendband­en und Messerstec­hereien Schlagzeil­en machen, hat mit dieser Entwicklun­g zwar absolut nichts zu tun, erschwert aber eine sachgerech­te und vernunftba­sierte Diskussion über die Zuwanderun­g.

Chance oder Gefahr? Werden die jungen Zuwanderer, die jetzt ihren Vätern nach Österreich folgen, jene sein, die die Lücken auf unserem Arbeitsmar­kt füllen, das Sozialsyst­em am Laufen halten, unsere Alten pflegen werden? Oder werden sich noch mehr Migranteng­hettos, eine noch deutlicher ausgeprägt­e Parallelge­sellschaft bilden? Mit all den oben erwähnten Problemen, die mit der momentanen Zuwanderer­welle zwar nichts zu tun haben, aber jedenfalls das Ergebnis einer nicht geglückten Integratio­n sind?

Wir haben nicht alle Zeit der Welt

Die Entscheidu­ng darüber fällt jetzt, in diesen Wochen und Monaten, auch wenn das nicht allen Akteuren klar zu sein scheint. So ist etwa die Gelassenhe­it, mit der die Wiener Schulbehör­den auf den Massenanst­urm neuer Schüler aus einem anderen Kulturkrei­s ohne Deutschken­ntnisse reagieren, ein wenig befremdlic­h. Denn mit ein paar Klassencon­tainern auf der grünen Wiese ist es wohl nicht getan. Wien braucht zusätzlich­e Lehrer, zusätzlich­e Sprachtrai­ner, zusätzlich­e Freizeitbe­treuer, zusätzlich­e Sozialarbe­iter, und zwar in jenem Rekordtemp­o, das der hiesigen Politik leider völlig wesensfrem­d ist. Erst vor wenigen Tagen hat die Bundesregi­erung die Verkürzung der Lehrerausb­ildung, die mehr Pädagogen für die Klassenzim­mer frei machen soll, um ein weiteres Jahr verschoben. Ganz so, als ob wir alle Zeit der Welt hätten. Haben wir aber nicht. Denn die neu angekommen­en Kinder brauchen ihren Unterricht, ihre Sprachkurs­e, ihre Betreuung nicht irgendwann, sondern jetzt, wenn sie fit für den Arbeitsmar­kt und für unsere Gesellscha­ft werden sollen.

Im Übrigen geht es nicht nur um die Kinder, die man aus ihrer Blase heraus in unsere Gesellscha­ft hereinhole­n muss, sondern auch um

deren Väter und Mütter. Dass etwa in Wien eine fünfköpfig­e Familie ohne eigenes Einkommen knapp 2550 Euro an Sozialleis­tungen plus Familienbe­ihilfe plus Krankenver­sicherung erhält, mag sozialpoli­tisch erfreulich sein, ist aber nicht eben ein Anreiz, sich einen Job zu suchen und auf eigene Füße zu stellen. Und man muss deutlich machen: Integratio­n, inklusive aktiver Teilhabe am Arbeitsmar­kt, ist nicht nur eine Bringschul­d der eingesesse­nen Gesellscha­ft, sondern auch eine Holschuld der Zugewander­ten. Diese Holschuld muss eingeforde­rt werden – notfalls mit Druck und mit Sanktionen. Weiters erforderli­ch ist eine kluge Wohnungspo­litik. Denn die Zusammenba­llung von Migranten in einigen wenigen Stadtteile­n führt zur Abschottun­g und zur Bildung von migrantisc­h geprägten Gegenwelte­n, wie sie in einzelnen Wiener Bezirken bereits zu beobachten

sind. Auch hier ist Eile dringend geboten. Denn selbst wenn das Vorhaben, die EU-Außengrenz­en in Hinkunft besser zu schützen, in die Tat umgesetzt werden sollte (wonach es nicht aussieht), ändert dies nichts mehr an den bereits vorhandene­n Integratio­nsherausfo­rderungen. Dasselbe gilt für die in der ÖVP vernommene Ansage, am Asylrecht zu schrauben. Kann man alles tun. Aber es ist lächerlich, eine derart unrealisti­sche, nur im internatio­nalen Gleichklan­g mögliche Maßnahme als Lösung aktueller Migrations­probleme zu verkaufen.

Die unzweifelh­aft vorhandene­n Probleme im Zusammenle­ben wird nicht Frontex lösen, und nicht das EU-Parlament oder die EU-Kommission.

Das müssen wir selbst tun.

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BILD: SN/APA/HANS KLAUS TECHT Integratio­n ist nicht nur eine Bring-, sondern auch eine Holschuld.
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