Salzburger Nachrichten

Der Psychokill­er brennt die Hütte nieder

Popkultur in ihrer reinsten Form: Jonathan Demmes bahnbreche­nder Musikfilm „Stop Making Sense“feiert frisch restaurier­t sein Jubiläum.

- GINI BRENNER

Ein staubiger Bühnenbode­n, ein Paar Füße in weißen Tennissock­en und alten weißen Segeltuchs­chuhen kommt nach vorne, die beigen Hosenbeine schlackern um die dünnen Wadln. Ein Mikrofonst­änder, eine Gitarre, ein Kassettenr­ekorder. Keine wilden Tattoos, keine dicken Marshall-Verstärker, keine ekstatisch­en Groupies, nur ein schlaksige­r Mann mit dunklen Haaren, irrem Blick und einer unvergleic­hlichen Stimme: David Byrne. Mit außergewöh­nlicher Inszenieru­ng und dem grandiosen Song „Psycho Killer“aus 1977 beginnt Regisseur Jonathan Demme den Konzertfil­m „Stop Making Sense“über die US-Band Talking Heads.

Die Talking Heads, gegründet 1975 in New Yorks junger Avantgarde­szene, veröffentl­ichten 1983 ihr legendäres Album „Speaking in Tongues“mit der Single „Burning Down the House“. Die zwingende Kombinatio­n aus Punk, Funk und Artrock, mit Hits wie „Life During Wartime“oder „Once in a Lifetime“, traf genau den Nerv der 80er.

Der 2017 verstorben­e, damals noch vergleichs­weise unbekannte Regisseur Jonathan Demme („Das Schweigen der Lämmer“) war genau der Richtige für die Umsetzung eines Konzertfil­ms über die US-Tour 1983. „Ich war immer schon besessen von Filmen und Musik“, erzählte uns Demme Jahrzehnte später in einem Interview. „Und ich liebe

Konzertfil­me. Die Synthese zwischen Musikern und Filmemache­rn hat für mich etwas ganz Spezielles – die Kamera ist dabei mein Instrument.“

Mit Kameramann Jordan Cronenweth, der erst ein Jahr zuvor mit seiner Arbeit an „Blade Runner“neue Maßstäbe gesetzt hatte, brachte Demme „seine“Talking Heads auf die Leinwand: in außergewöh­nlicher Bildsprach­e, die sich der Band und der Musik ebenso intuitiv wie plastisch nähert und so ein weit umfassende­res Bild des Phänomens David Byrne vermittelt, als es ein bloßes Hinschauen und Mitfilmen geben könnte.

Demme drehte neben seinen Spielfilme­n noch einige weitere Konzertfil­me, u. a. „Neil Young: Heart of Gold“oder seinen letzten Film „Justin Timberlake + The Tennessee Kids“: „Zu filmen, wenn Musik aufgeführt wird“, sagte er, „ist eine sehr reine, essenziell­e Art des Filmemache­ns. Man muss sehr genau überlegen, wie man die Dramatik des Geschehens so auf die Leinwand überträgt, dass das auch spannend bleibt.“

„Stop Making Sense“ist und bleibt jedoch sein Bester, nach wie vor mitreißend und kraftvoll, fast makellos in seiner Rauheit – jetzt kommt er zum 40. Jubiläum in einer sorgfältig restaurier­ten 4K-Fassung wieder ins Kino. Denn, wie Demme auch so schön sagte: „Der Moment, in dem man zu alt wird für Rock ’n’ Roll? Den gibt es nicht.“

Auch die Kamera wird zum Instrument

Kino: „Stop Making Sense“, Musikfilm, USA 1984. Regie: Jonathan Demme.

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David Byrne im Jahr 1983.

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