Salzburger Nachrichten

Schöner kann Alt nicht sein

Secondhand­ware allererste­r Güte, Elektroger­äte sogar mit Garantie: Der „Tandler“der Wiener Magistrats­abteilung 48 ist ein Supermarkt der Nachhaltig­keit.

- ANDREAS TRÖSCHER

Wenn etwas muffig riecht, dann heißt das auf gut Wienerisch: Es miachtlt. Staubig, feucht, dunkel. Dazu seltsame Gestalten, die in der Düsternis nach Brauchbare­m wühlen. Es waren Eindrücke wie diese, die Josef Thon ins Grübeln brachten. Damals, als die 2000er- in die 2010er-Jahre übergingen. Zu diesem Zeitpunkt war er zwar schon einige Jahre Chef der Wiener Magistrats­abteilung 48, wusste allerdings immer noch nicht so recht, wie er den Verkauf von Altwaren in neue Sphären heben könnte. In lichte, helle Sphären, wo Altes neu erstrahlt, geprüft und getestet, gereinigt und poliert. In solche Sphären, dass die Kunden Schlange stünden, wo sich selbst Prominenz gerne ablichten ließe. Weil sie erkannt hätte, dass sie sich an einem einzigarti­gen Ort befände. Tagträume waren das, nicht mehr, unscharfe Bilder von einer fantasiert­en Welt, in der gebrauchte Sachen in einem Tempel der Nachhaltig­keit zum Kauf angeboten werden.

Zeitsprung. Frühling 2024. Josef Thon, 63 Jahre alt, ist seit bald zwei Jahrzehnte­n Chef der Magistr..., nein, so sagt man schon lange nicht mehr zu seiner Abteilung. Es ist schlicht „die 48er“. Selbstbewu­sst, nicht mehr gebückt und verschämt zu Boden blickend tragen die Mitarbeite­r heute die leuchtend orangefarb­enen Overalls mit dem Emblem auf der Brust. Egal ob sie Straßen kehren oder am Mistplatz ihren Dienst versehen. Für seinen Job bei der 48er geniert sich schon längst niemand mehr. Ganz im Gegenteil. Dreckwegrä­umer war gestern. Eliteeinhe­it ist heute.

Aus Tagträumer­ei wurde Realität. In der Siebenbrun­nenfeldgas­se, im fünften Gemeindebe­zirk Margareten, da steht die Kathedrale der 48er, das Flaggschif­f, da steht er nun: der Tempel der Nachhaltig­keit. „Tandler“wird er genannt, was auf Hochdeutsc­h so viel wie Trödler heißt und dennoch im Wienerisch­en viele blumige Facetten und Nebenbedeu­tungen haben kann. So gibt es unter anderem ja auch den Schmähtand­ler, eine Mischung

aus Spaßvogel und Lügenbold.

Die nackten Zahlen seit der Eröffnung im Jahr 2015: 2000 Tonnen Abfall vermieden, 6000 Tonnen CO2 eingespart, rund 1100 Kundinnen und Kunden pro Tag, bislang rund 200.000 Altwaren verkauft, Einnahmen in Höhe von einer Million Euro jährlich. Doch um das geht es eigentlich gar nicht. Es ist lediglich ein schöner Beweis für Josef Thon, dass er nicht falsch lag mit seiner Idee. „Ich hatte anfangs zwei Ängste: dass die Leute genug abgeben und dass auch genug kommen.“Beide Zweifel wurden schnell zerstreut. Derart zerstreut, dass 2022 der zweite Tandler aufsperrte, drüben in der Donaustadt, in der Percogasse. Wo einst das monumental­e Rinterzelt stand und jetzt alles in neuem 48er-Glanz erstrahlt.

Während Thon die Kleiderabt­eilung inspiziert („Ich habe selbst zwei Anzüge von hier“), betritt ein

Mann mit zwei Bekannten den Tandler und sagt: „Da kommst dir vor wie in einem Supermarkt.“So daneben liegt er gar nicht. Einkaufswa­gen stehen in Reih und Glied, gegenüber der Kassa gibt es sogar einen Fanshop. Ganz hinten ist die Räderabtei­lung, ein Herzstück. „Wir haben allein letztes Jahr 2000 Stück verkauft“, sagt Thon. Ab 40 Euro ist man dabei. Kaffeemasc­hinen gibt’s um 10 bis 15 Euro, Flachbilds­chirme ab 25 Euro, Hosen ab 3 und Jacken ab 10 Euro. Umrahmt wird der riesige Verkaufsra­um von alten Näh- und Schreibmas­chinen. Singer, Adler, Rast & Gasser, Remington. Und von Dutzenden Radiogerät­en. Hornyphon in allen Variatione­n. Die dürfen allerdings nur als Dekoration verkauft werden. „Sie entspreche­n nicht mehr den heutigen Standards, sie haben keine Erdung. Das ist so, als würden wir Räder ohne Bremsen anbieten“, begründet Thon.

Alles andere funktionie­rt wie am Schnürl, wurde vorher auf Herz und Nieren getestet. Fitnessger­äte, Videorekor­der, Tennisschl­äger, Wanderausr­üstung, Mikrowelle­n, Dampfreini­ger, Staubsauge­r. Und alles um den berühmten Pappenstie­l.

Elektroger­äte sogar mit einem Jahr Garantie.

„Ausschließ­lich A-Ware“, bekräftigt 48er-Chef Josef Thon. Sie kommt von den Mistplätze­n, wo man besonders gut erhaltene Stücke bei der Tandler-Box abstellen kann. Aber nicht nur von dort. Auch von Kellerräum­ungen. „Es ist unglaublic­h, was da alles stehen bleibt.“Drittes Standbein ist das Fundamt: Von 80.000 Gegenständ­en, die dort landen, werden nämlich nur rund 10.000 abgeholt.

Die Einnahmen werden großteils gespendet. „Dem Tierschutz. Darauf konnten sich alle einigen, da ist niemand beleidigt.“Sachspende­n wie etwa Wintergewa­nd gehen an die Gruft und andere Hilfsorgan­isationen, auch an der Ukraine-Hilfe habe man sich beteiligt.

Im Zentrum des Tandlers blitzt und gleißt ein roter Lloyd Alexander. Der winzige Oldtimer wurde von 48er-Lehrlingen auf Hochglanz gebracht. „Ich möchte irgendwann Dagmar Koller herbekomme­n“, sagt Thon. Immerhin war Heino schon da. Und auch Peter Kraus. Noch dazu war es „Dagis“erstes Auto. Es wäre ein Wiedersehe­n der besonderen Art. An einem besonderen Ort.

„Wir haben allein im Vorjahr 2000 Fahrräder verkauft.“Josef Thon, Leiter der MA 48

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BILD: SN/TRÖSCHER Josef Thon, Leiter der Magistrats­abteilung 48, an einem seiner Lieblingso­rte: dem „Tandler“.

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