Schöner kann Alt nicht sein
Secondhandware allererster Güte, Elektrogeräte sogar mit Garantie: Der „Tandler“der Wiener Magistratsabteilung 48 ist ein Supermarkt der Nachhaltigkeit.
Wenn etwas muffig riecht, dann heißt das auf gut Wienerisch: Es miachtlt. Staubig, feucht, dunkel. Dazu seltsame Gestalten, die in der Düsternis nach Brauchbarem wühlen. Es waren Eindrücke wie diese, die Josef Thon ins Grübeln brachten. Damals, als die 2000er- in die 2010er-Jahre übergingen. Zu diesem Zeitpunkt war er zwar schon einige Jahre Chef der Wiener Magistratsabteilung 48, wusste allerdings immer noch nicht so recht, wie er den Verkauf von Altwaren in neue Sphären heben könnte. In lichte, helle Sphären, wo Altes neu erstrahlt, geprüft und getestet, gereinigt und poliert. In solche Sphären, dass die Kunden Schlange stünden, wo sich selbst Prominenz gerne ablichten ließe. Weil sie erkannt hätte, dass sie sich an einem einzigartigen Ort befände. Tagträume waren das, nicht mehr, unscharfe Bilder von einer fantasierten Welt, in der gebrauchte Sachen in einem Tempel der Nachhaltigkeit zum Kauf angeboten werden.
Zeitsprung. Frühling 2024. Josef Thon, 63 Jahre alt, ist seit bald zwei Jahrzehnten Chef der Magistr..., nein, so sagt man schon lange nicht mehr zu seiner Abteilung. Es ist schlicht „die 48er“. Selbstbewusst, nicht mehr gebückt und verschämt zu Boden blickend tragen die Mitarbeiter heute die leuchtend orangefarbenen Overalls mit dem Emblem auf der Brust. Egal ob sie Straßen kehren oder am Mistplatz ihren Dienst versehen. Für seinen Job bei der 48er geniert sich schon längst niemand mehr. Ganz im Gegenteil. Dreckwegräumer war gestern. Eliteeinheit ist heute.
Aus Tagträumerei wurde Realität. In der Siebenbrunnenfeldgasse, im fünften Gemeindebezirk Margareten, da steht die Kathedrale der 48er, das Flaggschiff, da steht er nun: der Tempel der Nachhaltigkeit. „Tandler“wird er genannt, was auf Hochdeutsch so viel wie Trödler heißt und dennoch im Wienerischen viele blumige Facetten und Nebenbedeutungen haben kann. So gibt es unter anderem ja auch den Schmähtandler, eine Mischung
aus Spaßvogel und Lügenbold.
Die nackten Zahlen seit der Eröffnung im Jahr 2015: 2000 Tonnen Abfall vermieden, 6000 Tonnen CO2 eingespart, rund 1100 Kundinnen und Kunden pro Tag, bislang rund 200.000 Altwaren verkauft, Einnahmen in Höhe von einer Million Euro jährlich. Doch um das geht es eigentlich gar nicht. Es ist lediglich ein schöner Beweis für Josef Thon, dass er nicht falsch lag mit seiner Idee. „Ich hatte anfangs zwei Ängste: dass die Leute genug abgeben und dass auch genug kommen.“Beide Zweifel wurden schnell zerstreut. Derart zerstreut, dass 2022 der zweite Tandler aufsperrte, drüben in der Donaustadt, in der Percogasse. Wo einst das monumentale Rinterzelt stand und jetzt alles in neuem 48er-Glanz erstrahlt.
Während Thon die Kleiderabteilung inspiziert („Ich habe selbst zwei Anzüge von hier“), betritt ein
Mann mit zwei Bekannten den Tandler und sagt: „Da kommst dir vor wie in einem Supermarkt.“So daneben liegt er gar nicht. Einkaufswagen stehen in Reih und Glied, gegenüber der Kassa gibt es sogar einen Fanshop. Ganz hinten ist die Räderabteilung, ein Herzstück. „Wir haben allein letztes Jahr 2000 Stück verkauft“, sagt Thon. Ab 40 Euro ist man dabei. Kaffeemaschinen gibt’s um 10 bis 15 Euro, Flachbildschirme ab 25 Euro, Hosen ab 3 und Jacken ab 10 Euro. Umrahmt wird der riesige Verkaufsraum von alten Näh- und Schreibmaschinen. Singer, Adler, Rast & Gasser, Remington. Und von Dutzenden Radiogeräten. Hornyphon in allen Variationen. Die dürfen allerdings nur als Dekoration verkauft werden. „Sie entsprechen nicht mehr den heutigen Standards, sie haben keine Erdung. Das ist so, als würden wir Räder ohne Bremsen anbieten“, begründet Thon.
Alles andere funktioniert wie am Schnürl, wurde vorher auf Herz und Nieren getestet. Fitnessgeräte, Videorekorder, Tennisschläger, Wanderausrüstung, Mikrowellen, Dampfreiniger, Staubsauger. Und alles um den berühmten Pappenstiel.
Elektrogeräte sogar mit einem Jahr Garantie.
„Ausschließlich A-Ware“, bekräftigt 48er-Chef Josef Thon. Sie kommt von den Mistplätzen, wo man besonders gut erhaltene Stücke bei der Tandler-Box abstellen kann. Aber nicht nur von dort. Auch von Kellerräumungen. „Es ist unglaublich, was da alles stehen bleibt.“Drittes Standbein ist das Fundamt: Von 80.000 Gegenständen, die dort landen, werden nämlich nur rund 10.000 abgeholt.
Die Einnahmen werden großteils gespendet. „Dem Tierschutz. Darauf konnten sich alle einigen, da ist niemand beleidigt.“Sachspenden wie etwa Wintergewand gehen an die Gruft und andere Hilfsorganisationen, auch an der Ukraine-Hilfe habe man sich beteiligt.
Im Zentrum des Tandlers blitzt und gleißt ein roter Lloyd Alexander. Der winzige Oldtimer wurde von 48er-Lehrlingen auf Hochglanz gebracht. „Ich möchte irgendwann Dagmar Koller herbekommen“, sagt Thon. Immerhin war Heino schon da. Und auch Peter Kraus. Noch dazu war es „Dagis“erstes Auto. Es wäre ein Wiedersehen der besonderen Art. An einem besonderen Ort.
„Wir haben allein im Vorjahr 2000 Fahrräder verkauft.“Josef Thon, Leiter der MA 48