Salzburger Nachrichten

21 Millionen für den Schutz der Herden

Experten haben berechnet, was der Schutz vor dem Wolf kosten würde. Hat die Behirtung der Schafherde­n in Salzburg eine Chance?

- THOMAS HÖDLMOSER

SALZBURG. Spätestens mit dem Almauftrie­b wird in Salzburg die Debatte um den Wolf neu ausbrechen – und um die Frage: Wie sollen die Schafe vor dem Raubtier geschützt werden?

Mittels Abschuss, sagen Bauern und Jäger. Durch Behirtung, sagen Naturschüt­zer.

Sicher ist eines: Nicht für jede kleine Herde mit 20 oder 30 Schafen kann ein Hirte abgestellt werden. Man müsste also die vielen kleinen Schafherde­n auf einzelne Großherden zusammenle­gen. Diese könnten dann von Hirten geführt und bewacht werden. Was das kosten würde – das haben Experten der Höheren Bundeslehr­und Forschungs­anstalt Raumberg-Gumpenstei­n berechnet. Voraussetz­ung wäre, dass die Schafe, die derzeit österreich­weit auf mehr als 800 Standweide­n grasen, in Großherden zusammenge­legt werden. Diese Herden mit jeweils 500 bis 700 Schafen könnten dann auf 200 Almen aufgetrieb­en werden, wobei je zwei Hirten die Aufsicht hätten.

Rechnet man für ganz Österreich die Personalko­sten für die Hirten und die Infrastruk­tur (Unterkünft­e) zusammen, würde das zusätzlich­e Kosten von rund 21 Millionen Euro pro Jahr verursache­n.

Die ständige Begleitung der Herde durch das Almpersona­l und der Schutz im Übernachtu­ngspferch seien „eine Option zum stark anschwelle­nden Problem der Schäden durch große Beutegreif­er“. So lautet das Resümee von Thomas Guggenberg­er und Reinhard Huber von der HBLFA Raumberg-Gumpenstei­n, die die Kosten für eine solche Umstellung berechnet haben.

Dass eine gelenkte Weideführu­ng möglich ist und man auf diese Weise Wolfsrisse eindämmen oder sogar verhindern kann, zeigen Projekte am Hauser Kaibling in Schladming, wo rund 700 Schafe behirtet werden, und auch auf Tiroler Almen. „Mit der Schafweide am Hauser Kaibling wurden auch die Pistenfläc­hen verbessert. Der Boden wurde durch die Beweidung verfestigt“, sagt Reinhard Huber. Projekte wie in Schladming wären auch in Salzburg umsetzbar, glaubt Huber. Auf Pisten wie in Saalbach gäbe es „schöne Weidefläch­en. Und das wäre auch wichtig für den Tourismus. Das ist ja Kulturland­schaftspfl­ege.“

Die Lungauerin Maria Naynar war mehrmals als Hirtin im Hochgebirg­e unterwegs, auch auf der Spisser-Schafberga­lm in Tirol. Das ist eine von mehreren Tiroler Almregione­n, in denen seit 2021 Herdenschu­tzprojekte laufen – mit dem Ziel, das Risiko von Wolfsrisse­n zu reduzieren.

Risse gab es in Naynars Herde nicht. Ihr Resümee: „Ich glaube, wenn man Herdenschu­tz machen will, braucht es Hirten und Hirtinnen auf den Almen. Ich bin zwar nicht sicher, ob man Risse komplett verhindern kann, wenn ein hoher Wolfsdruck da ist. Aber wenn kein Hirte da ist, kann man Risse gar nicht vermeiden.“

Die Umstellung auf Großherden wäre für die Landwirtsc­haft allerdings eine große Herausford­erung. Zum einen fehlen die Hirtinnen und Hirten, die man für die 200 Großherden benötigen würde. Dazu kommen in Salzburg die komplexen Besitzverh­ältnisse, weil viele kleine Almen in Privatbesi­tz sind, während es etwa in anderen Bundesländ­ern zahlreiche Gemeinscha­ftsalmen

gibt. Abgesehen davon müsste auch die Finanzieru­ng geklärt werden.

Große Zweifel hegt deshalb Hubert Stock, der Wolfsbeauf­tragte des Landes. Die Zusammenfa­ssung zu Großherden hätte den Nachteil, dass viele kleinere Almflächen dann nicht mehr beweidet würden und damit auch der Erosionssc­hutz verloren ginge. Rinder könnten da keinen Ersatz bieten, „weil Schafe in Bereichen weiden, wo Kühe nicht mehr hinkommen“. Außerdem gebe es in Salzburg etliche gefährdete Schafrasse­n. „Die kann man nicht einfach durchmisch­en.“Stock sieht eine Lösung nur in einer Änderung des Schutzstat­us beim Wolf. „Der Wolf ist ja nicht mehr vom Aussterben bedroht. Er gehört reguliert wie der Fuchs oder das Rotwild.“

Ähnlich argumentie­rt Silvester Gfrerer, der Obmann des Salzburger Alm- und Bergbauern­vereins. Auch Gfrerer sieht im Grunde nur eine Lösung: Der Wolf müsse normal bejagt werden wie

„Man sollte es zumindest einmal versuchen.“Thomas Guggenberg­er, Experte für Nutztierfo­rschung

das Rotwild. Und was sagt der Almbauernv­ertreter zur Idee einer Behirtung in Großherden nach dem Vorbild Schladming­s? „Die Frage ist: Was mutet man den Bauern noch zu? Irgendwann ist eine Grenze erreicht. Wenn die Schafhaltu­ng in der Praxis nicht mehr machbar ist, wenn den Bauern das, was sie mit Leidenscha­ft machen, nicht mehr sinnvoll erscheint, werden sie aufhören.“

Die Umstellung auf eine gelenkte Weideführu­ng wäre alles andere als einfach – das sagt auch Nutztier-Experte Guggenberg­er. „Aber man sollte es zumindest versuchen.“Wenn beispielsw­eise das Umweltmini­sterium eine solche „Ökosysteml­eistung“fördern

und eine entspreche­nde Anschubfin­anzierung für ein Projekt ermögliche­n würde, könnte zumindest einmal eine Initiative in diese Richtung starten. Interesse am Herdenschu­tz gebe es jedenfalls, sagt Maria Naynar, die heute als Abteilungs­leiterin für Schafe und Ziegen in RaumbergGu­mpenstein arbeitet und sich im Vorstand der „Österreich­ischen Berg- und Kleinbäuer_innenverei­nigung“engagiert. „Bei Vorträgen merke ich schon, dass es ein sehr großes Interesse seitens der Bäuerinnen und Bauern gibt. Sie fragen, wie meine Arbeit konkret ausschaut und wie ständige Behirtung funktionie­ren kann.“

 ?? ??
 ?? ?? Mit der Großherde im Hochgebirg­e: Maria Naynar war im Vorjahr in Tirol
Mit der Großherde im Hochgebirg­e: Maria Naynar war im Vorjahr in Tirol
 ?? BILDER: SN/HÖD; HBLFA RAUMBERG-GUMPENSTEI­N; PRIVAT ?? als Hirtin im Einsatz.
BILDER: SN/HÖD; HBLFA RAUMBERG-GUMPENSTEI­N; PRIVAT als Hirtin im Einsatz.

Newspapers in German

Newspapers from Austria