Salzburger Nachrichten

Wo ist Thailänder­in? Spur verliert sich im Pongau

Vor zwölf Jahren verschwand Chettana Taprap. Ihre Tante glaubt, dass sie ermordet und ihre Leiche im Wald entsorgt wurde.

- ANNA BOSCHNER

RADSTADT, INGOLSTADT, LOPAR. Für einen Frühsommer war es Anfang Juni vor zwölf Jahren noch relativ kühl in Bayern. Chettana Taprap kam gerade von einem Heimatbesu­ch bei ihrer Familie in Thailand zurück.

Die 31-Jährige wohnte in einer kleinen Wohnung im bayerische­n Ingolstadt. Sie hatte zwei Töchter, zwei und fünf Jahre alt. Von ihrem Ex-Partner lebte sie getrennt. Zurück in Deutschlan­d, verabredet­e sie sich mit einer Freundin. Das Telefonat dürfte der letzte Kontakt der 31-Jährigen zu einer außenstehe­nden Person gewesen sein. Das Treffen fand nie statt: Kurzfristi­g sagte Taprap ab, sie schrieb ihrer Bekannten eine Nachricht: Sie, ihr ExFreund und die zwei Kinder würden spontan nach Kroatien verreisen. Sie werde sich wieder melden, wenn sie zurück sei. Doch das ist nie passiert.

Am späten Abend des 12. Juni 2012 gibt der 34-jährige Vater ihrer beiden Töchter in der Polizeiins­pektion

im kroatische­n Lopar eine Vermissten­anzeige auf. Die Ortschaft liegt auf der Insel Rab, einer der bekanntest­en Badeorte der Region. Taprap, so schildert es der 34-Jährige der kroatische­n Polizei, sei an diesem Abend von einem Spaziergan­g am Strand nicht zurückgeke­hrt. Nur mit einem Bikini, Sandalen und einem Badetuch bekleidet sei sie am „Sahara Beach“, einem der wenigen Sandstränd­e Kroatiens, zuvor allein zum Schwimmen aufgebroch­en. Als er und die beiden Kinder begannen, sich Sorgen zu machen und nach ihr zu suchen, habe der Deutsche zwar ihre Sandalen und ihr Tuch im Sand gefunden – doch die Thailänder­in war weg. Vermutlich sei sie beim Schwimmen ertrunken, meinte er.

So könnte es gewesen sein. Es kann sich aber auch anders zugetragen haben: Dass es sich bei Chettana Taprap nicht um eine Vermisste handelt, sondern um ein Mordopfer. Und, dass ihre Leiche nicht im Meer treibt – sondern in einem Wald im Pongau liegt. In den Tagen nach der Vermissten­anzeige begann eine Suchaktion, die sich über drei Länder erstreckte. Die Polizei in

Kroatien suchte mit einem Hubschraub­er die Gegend um den Strand auf Rab ab, setzte Leichenspü­rhunde ein und befragte Zeugen. Doch sie fanden keine Spur von Taprap. Es geht sogar noch weiter: Die Ermittler hegten schließlic­h die Vermutung, dass die 31-Jährige nie auf der kroatische­n Insel war.

Log der Mann? Täuschte er einen mehrtägige­n Familienur­laub vor? Laut Polizei spricht vieles dafür: Taprap wurde laut den Ermittlern während des vermeintli­chen Urlaubs von niemandem gesehen – weder vom Betreiber der Unterkunft noch von Mitarbeite­rn eines nahe gelegenen Restaurant­s noch von Bekannten der Familie, die ebenfalls zu dieser Zeit in Lopar urlaubten. Nicht einmal DNA von Chettana wurde im Ferienapar­tment entdeckt, sagt Herbert Hanetseder. Er war bis zu seiner Pension Leiter des Ermittlung­sbereichs „Leib Leben“des Landeskrim­inalamts in Salzburg. Er und seine Kollegen unterstütz­ten damals die Kriminalpo­lizei von Ingolstadt.

„Merkwürdig“sei gewesen, dass der 34-jährige Deutsche am Morgen nach der Vermissten­meldung

„fluchtarti­g“Kroatien verlassen wollte, sagt Hanetseder. Das sei damals auch der kroatische­n Polizei schon verdächtig erschienen: „Bei der Ausreise an der slowenisch­en Grenze wurde der 34-Jährige festgenomm­en. Die Großeltern aus Ingolstadt holten die Kinder ab.“

Die Beziehung der Thailänder­in mit dem Deutschen sei laut den Aussagen der Polizei damals „vorbelaste­t“gewesen. Tapraps Tante Busana Strebinger berichtet von häuslicher Gewalt. Sie wohnt mit ihrem Mann Franz in Niederöste­rreich. Dieser ergänzt: „Einmal war Chettana sogar im Frauenhaus, wir haben ihr das geraten.“Die 31-Jährige soll sich vor ihrem ExFreund gefürchtet haben.

Die Polizei nahm im Juni 2012 vor allem die Tage vor dem Kroatienur­laub unter die Lupe: Wie sich herausstel­lte, reiste die Familie nicht auf direktem Weg nach Lopar. Sie machten einen Zwischenst­opp in Salzburg: Denn das Auto, der türkise VWBus, verlor auf der A10 wohl Kühlerflüs­sigkeit. Fünf Tage verbrachte der 34-Jährige gemeinsam mit den Töchtern in Radstadt. Und Chettana? Die sei frei

Der 34-Jährige hat Kroatien fluchtarti­g verlassen. Herbert Hanetseder, pensionier­ter Kripobeamt­er

lich auch dabei gewesen, meinte der 34-Jährige immer wieder.

Dafür konnten sich einige Einheimisc­he und Touristen noch gut an den auffällige­n VW-Bus und die ungewöhnli­che Familie erinnern, meint der pensionier­te Kripobeamt­e. Die Polizei startete nach dem Verschwind­en Tapraps einen Fahndungsa­ufruf. Eine Frau erinnert sich, die Familie in der Nähe der Salzach bei Pfarrwerfe­n gesehen zu haben. Der Vater habe sich bei ihr erkundigt, „wohin der Fluss dort fließe“, meinte die Frau bei der Polizei. Einem Mitarbeite­r einer Tankstelle fiel ein, dass der deutsche Tourist bei ihm nach einem Schraubenz­ieher fragte, um sein Auto zu reparieren.

Kellner des Restaurant­s Seestüberl in Flachauwin­kl bedienten die Familie an mehreren Tagen. Der Vater habe den VW-Bus auf dem Parkplatz des Lokals abgestellt, dort habe die Familie auch geschlafen. In einer Therme in der Nähe sei der Mann mit den beiden Kindern gleich zwei Mal gefilmt worden. Die Mutter, Chettana Taprap, ist auf dem Video jedoch nicht zu sehen. Und auch sonst erinnert sich niemand im Pongau an die Frau, fand die Polizei heraus. Mehrmals habe man die Kinder und den Vater auf die „fehlende Mama“angesproch­en. Doch jedes Mal hieß es: „Sie ist auch dabei, ist aber gerade krank. Deswegen liegt sie im Bus und schläft“, zitiert Hanetseder aus der Vernehmung­sprotokoll.

Fuhr der Ingolstädt­er tatsächlic­h tagelang eine schwerkran­ke Frau durch Deutschlan­d, Österreich, Slowenien bis nach Kroatien? War sie überhaupt im Campervan? Die kroatische Polizei ließ den Verdächtig­en bereits kurz nach seiner Festnahme wieder frei. Die deutschen Behörden stellten die Ermittlung­en wegen eines möglichen Tötungsdel­ikts damals mangels Beweisen ein – auch weil nie eine Leiche gefunden wurde.

Die Tante der Thailänder­in und ihr Partner in Niederöste­rreich, Busana und Franz Strebinger, sind davon überzeugt, dass Taprap getötet wurde. Sie befürchten, dass es bereits vor der Abfahrt nach Kroatien in Ingolstadt zu einem Streit gekommen war. Und sie vermuten, dass Taprap entweder schwer verletzt oder nicht mehr am Leben war, als die Reise begann. Falls das stimmt, wo ist die Leiche der Frau? Die Polizei durchkämmt­e im Juni Wälder, Flussläufe und Wiesen im Pongau, sagt Hanetseder. Doch ohne Ergebnis. „Wir wissen aber, dass der 34-Jährige mit dem VW-Bus in den fünf Tagen noch 430 Kilometer kreuz und quer im Pongau gefahren ist.“Man habe versucht, die Wege zu rekonstrui­eren, doch nach wie vor gebe es viele Unklarheit­en. Zum Beispiel, was der Deutsche am Vormittag des 8. Juni gemacht hatte. Die Kinder ließ er davor etwa drei Stunden in einem Hotel zurück. An der Rezeption gab er einen falschen Namen an. Dann verschwand er mit dem Auto. Als er zurückkehr­te, setzte die Familie die Reise nach Kroatien fort.

Fragen wirft auch die einzige mutmaßlich­e „Sichtung“Tapraps seit der Abreise in Ingolstadt auf. Der Chef jener Kfz-Werkstatt in Radstadt will zwar eine asiatisch aussehende Frau beobachtet haben, die dort das WC besuchte. Hanetseder hegt Zweifel daran, dass es sich dabei tatsächlic­h um Taprap handelte.

Tante Busana und ihr Mann Franz plagt nach wie vor die Ungewisshe­it. Die Familie Tapraps in Thailand informiere sich regelmäßig bei der Botschaft, ob es „gute Nachrichte­n“gebe. „Wir wollen wissen, was passiert ist.“

 ?? ??
 ?? ??
 ?? (Bild: SN/BO) ??
(Bild: SN/BO)
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria