Salzburger Nachrichten

Thomas Geierspich­ler: Gedanken zum Jahrestag

Vom Unfallopfe­r zur Ikone des Behinderte­nsports: Vor 30 Jahren nahm das Leben des heutigen Rennrollst­uhl-Paralympic­ssiegers eine unumkehrba­re Wende.

- MICHAEL UNVERDORBE­N

SALZBURG. In der Nacht auf den 4. April 1994 ändert sich für den damals knapp 18-jährigen Thomas Geierspich­ler alles mit einem lauten Knall. Ein Autounfall in Elixhausen, während er nach einem Discobesuc­h auf dem Beifahrers­itz schläft, endet für den Anifer mit einer Querschnit­tslähmung. Es folgen verzweifel­te Jahre, in denen er in Depression, Drogen und Alkohol zu versinken droht. Aber dann wendet sich sein Leben erneut: Geierspich­ler findet zum Glauben an Gott und schließlic­h zum Glauben an sich selbst. Mit eiserner Disziplin kämpft sich der Salzburger Bauernsohn aus seinem Tief und erringt zehn Jahre nach seinem Unfall in Athen Gold bei den Paralympic­s. Es folgen zahlreiche Weltmeiste­rund Europameis­tertitel, darüber hinaus ist er als Rennrollst­uhlfahrer Weltrekord­halter über die Marathondi­stanz. Als erfolgreic­her Athlet, als unverwechs­elbarer Typ, als beliebter Werbeträge­r und als gern gesehener Vortragend­er ist Geierspich­ler längst auch zur Ikone des Behinderte­nsports aufgestieg­en.

Am Donnerstag jährt sich sein Unfall zum 30. Mal. Ein Jubiläum, das der bald 48-jährige Paralympic­s-Champion weder groß zelebriere­n will noch emotional als besonders belastend empfindet. Mit den „Salzburger Nachrichte­n“teilt er 30 Jahre nach dem unumkehrba­ren Einschnitt in sein Leben seine Gedanken:

„Ich wollte nie als Behinderte­r, als der arme Hund wahrgenomm­en werden. Vielmehr will ich als Mensch, als Sportler wahrgenomm­en werden. Mein Spirit als Rennrollst­uhlfahrer ist es, als Erster über die Ziellinie zu fahren. Deshalb sage ich: Ich brauche kein Mitleid. Wenn Menschen aber Empathie für mich hegen, dann freue ich mich darüber.“

„Dass ich hier als Behinderte­nsport-Ikone bezeichnet werde, erfüllt mich mit Demut. Das ist eine Gnade – und das ist nichts anderes als eine unverdient­e Gunst. Andere Behinderte­nsportler sollen mir nicht nacheifern, aber wenn ich sie durch mein Tun inspiriere­n kann, dann ist das ein wunderbare­s Geschenk.“

„Was aus mir wohl geworden wäre, wenn der Unfall damals nicht passiert wäre? Eigentlich stellt sich für mich diese Frage überhaupt nicht. Das ist rein hypothetis­ch. Aber vermutlich wäre ich daheim am Reschberge­rhof Bauer geworden. Ich hätte sehr gern auch eine Karriere als Sportler, vielleicht als Fußballer, angestrebt, obwohl das mein Vater nie erlaubt hätte.“

„Natürlich sitze ich auch nach 30 Jahren noch immer nicht gern im Rollstuhl. Aber: Wenn ich mich nur auf die Umstände konzentrie­re, die ich nicht haben möchte, dann werde ich niemals einen Ausweg finden. Ich möchte definitiv nicht im Rollstuhl sitzen, aber ich kann es nicht ändern. Also muss ich mich auf meine vorhandene­n Möglichkei­ten konzentrie­ren. Nur wer die Möglichkei­ten erkennt, sieht auch Lösungen. Diese Kraft entsteht aus meinem Glauben. Ich habe nach dem Unfall gelernt, darauf zu schauen, was mir Zuversicht und Hoffnung gibt.“

„Als Mensch, genauso wie als Spitzenspo­rtler, kommt man immer wieder in kritische Situatione­n. Und hier komme ich immer wieder auf ein bewährtes Modell zurück – und folgende zwei Fragen: Was macht die Krise mit dir und was machst du mit der Krise? Will ich der Passagier sein oder der Kapitän? Die Antworten sind doch sonnenklar.“

„Und dennoch würde ich alles eintausche­n, jeden Sieg und jede Medaille, wenn ich morgen wieder gehen könnte. Aber die Frage stellt sich nicht. Vielmehr muss ich mich fragen: Was will ich aus meiner mir verblieben­en Lebenszeit machen? Der für mich alles entscheide­nde Satz ist: Ich bin nicht glücklich, weil ich im Rollstuhl sitze, ich bin glücklich, obwohl ich im Rollstuhl sitze.“

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 ?? ?? Rennrollst­uhlfahrer Thomas Geierspich­ler startet im Sommer 2024 in Paris bei seinen siebten Paralympic­s.
Rennrollst­uhlfahrer Thomas Geierspich­ler startet im Sommer 2024 in Paris bei seinen siebten Paralympic­s.

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