Im Nahen Osten ist ein weiteres Tabu gebrochen
Der Iran hat Israel direkt angegriffen. Die Schäden nach dem Angriff sind gering. Der Schaden für die Region ist aber nicht absehbar.
Mehr als 300 Drohnen und ballistische Raketen hat Teheran in der Nacht auf Sonntag Richtung Israel geschickt. Der Angriff an sich war keine Überraschung. Nach dem mutmaßlich israelischen Anschlag auf das iranische Konsulat im syrischen Damaskus musste das Regime reagieren. Die Mullahs konnten das nicht unbeantwortet lassen. Das musste auch Israel eingepreist haben. Allein: An der Antwort ist mehrerlei bemerkenswert – und brandgefährlich.
Der Angriff wurde direkt vom iranischen Staatsgebiet aus gestartet. Teheran hat damit nicht nur gezeigt: Wir können euch treffen. Das hatte es auch mit dem Abschuss von Raketen entsprechender Reichweite in andere Richtungen schon getan. Es hat vielmehr bewiesen, dass es auch willens ist zu einem direkten Angriff auf Israel. Es nimmt nicht mehr den Umweg über seine Stellvertreter und Verbündeten im Libanon, im Jemen oder in Syrien und im Irak. Damit ist eine Grenze überschritten.
Bislang war davon auszugehen, dass der Iran keine große Eskalation mit Israel will, weil er am Ende nicht gewinnen kann. Daran hat sich zwar im Grunde nichts geändert. Der Angriff auf Israel zeigte ja auch, dass das Land abwehrbereit ist. Und vor allem: dass die USA im Ernstfall an der Seite Israels stehen, bei aller Kritik der vergangenen Wochen
an der israelischen Kriegsführung im Gazastreifen.
Wie großen Schaden der Iran mit seinen Drohnen und Raketen anrichten wollte, ist unklar.
Doch selbst wenn es Kalkül war, dass die Drohnen und Raketen abgefangen werden und damit die große Eskalation nicht passiert: Die direkte Konfrontation ist brandgefährlich. Jede fehlgeleitete Rakete, die mehr Schaden als vielleicht geplant anrichtet, treibt die Eskalation weiter nach oben. Das Geschehen kann rasch außer Kontrolle geraten; die Logik aus Schlag und Gegenschlag zum Selbstläufer werden. Das birgt ein immenses Gefahrenpotenzial. Nicht nur für Israel und den Iran, sondern auch für die Staaten, die auf der Landkarte dazwischenliegen. Jordaniens Reaktion zeigte am Sonntag: Die Angst, in die Schusslinie zu geraten, ist groß.
Sie wächst mit der Gewissheit, dass Israel nun wiederum auf den iranischen Angriff reagieren muss. Die Antwort wird kommen. Wann und in welcher Form? Mit welchen Folgen? Das alles ist noch ungewiss.
Die einzige Sicherheit im Nahen Osten ist derzeit: In einer brandgefährlichen Lage wird weiter gezündelt. Allerorts und mit immer weniger Tabus.