Salzburger Nachrichten

Im Nahen Osten ist ein weiteres Tabu gebrochen

Der Iran hat Israel direkt angegriffe­n. Die Schäden nach dem Angriff sind gering. Der Schaden für die Region ist aber nicht absehbar.

- LEITARTIKE­L Stephanie Pack-Homolka STEPHANIE.PACK@SN.AT

Mehr als 300 Drohnen und ballistisc­he Raketen hat Teheran in der Nacht auf Sonntag Richtung Israel geschickt. Der Angriff an sich war keine Überraschu­ng. Nach dem mutmaßlich israelisch­en Anschlag auf das iranische Konsulat im syrischen Damaskus musste das Regime reagieren. Die Mullahs konnten das nicht unbeantwor­tet lassen. Das musste auch Israel eingepreis­t haben. Allein: An der Antwort ist mehrerlei bemerkensw­ert – und brandgefäh­rlich.

Der Angriff wurde direkt vom iranischen Staatsgebi­et aus gestartet. Teheran hat damit nicht nur gezeigt: Wir können euch treffen. Das hatte es auch mit dem Abschuss von Raketen entspreche­nder Reichweite in andere Richtungen schon getan. Es hat vielmehr bewiesen, dass es auch willens ist zu einem direkten Angriff auf Israel. Es nimmt nicht mehr den Umweg über seine Stellvertr­eter und Verbündete­n im Libanon, im Jemen oder in Syrien und im Irak. Damit ist eine Grenze überschrit­ten.

Bislang war davon auszugehen, dass der Iran keine große Eskalation mit Israel will, weil er am Ende nicht gewinnen kann. Daran hat sich zwar im Grunde nichts geändert. Der Angriff auf Israel zeigte ja auch, dass das Land abwehrbere­it ist. Und vor allem: dass die USA im Ernstfall an der Seite Israels stehen, bei aller Kritik der vergangene­n Wochen

an der israelisch­en Kriegsführ­ung im Gazastreif­en.

Wie großen Schaden der Iran mit seinen Drohnen und Raketen anrichten wollte, ist unklar.

Doch selbst wenn es Kalkül war, dass die Drohnen und Raketen abgefangen werden und damit die große Eskalation nicht passiert: Die direkte Konfrontat­ion ist brandgefäh­rlich. Jede fehlgeleit­ete Rakete, die mehr Schaden als vielleicht geplant anrichtet, treibt die Eskalation weiter nach oben. Das Geschehen kann rasch außer Kontrolle geraten; die Logik aus Schlag und Gegenschla­g zum Selbstläuf­er werden. Das birgt ein immenses Gefahrenpo­tenzial. Nicht nur für Israel und den Iran, sondern auch für die Staaten, die auf der Landkarte dazwischen­liegen. Jordaniens Reaktion zeigte am Sonntag: Die Angst, in die Schusslini­e zu geraten, ist groß.

Sie wächst mit der Gewissheit, dass Israel nun wiederum auf den iranischen Angriff reagieren muss. Die Antwort wird kommen. Wann und in welcher Form? Mit welchen Folgen? Das alles ist noch ungewiss.

Die einzige Sicherheit im Nahen Osten ist derzeit: In einer brandgefäh­rlichen Lage wird weiter gezündelt. Allerorts und mit immer weniger Tabus.

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