Salzburger Nachrichten

„Wir stehen am Rande eines gefährlich­en Abgrunds“

Schlag, Gegenschla­g und wieder von vorn? Israel muss im Kampf gegen den Erzfeind Iran eine schwierige Entscheidu­ng treffen.

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Es ist eine Nacht voller Angst und Schrecken. Fast in allen Teilen Israels heulen die Warnsirene­n, unheimlich­e Feuerschwe­ife überziehen den Himmel. Videos zeigen Raketen auch über dem Himmel Jerusalems. Nach Stunden des bangen Wartens auf den Beginn des iranischen Großangrif­fs rennen Menschen teilweise in Panik in Schutzräum­e.

Raketen, Marschflug­körper und Drohnensch­wärme fliegen in der Nacht zum Sonntag vom Westen des Iran in Richtung des mehr als 1000 Kilometer entfernten Israel. Weit über 300 Flugobjekt­e zählte Israels Militär, von denen die Luftabwehr und die Verbündete­n 99 Prozent abfingen. Ein siebenjähr­iges Mädchen sei bei den Angriffen schwer verletzt worden, hieß es am Sonntagabe­nd.

Erstmals in ihrer Geschichte hat die Führung der Islamische­n Republik einen Angriff direkt vom eigenen Territoriu­m auf den jüdischen Erzfeind befohlen. Nach diesen iranischen Vergeltung­sschlägen auf Israel wächst die Sorge vor einem neuen großen Krieg in Nahost.

Seit Tagen drohte dieser Militärsch­lag, nachdem Irans Staatsführ­ung Rache für die Tötung hochrangig­er Offiziere angekündig­t hatte. Am 1. April wurden bei einem mutmaßlich israelisch­en Luftangrif­f auf Irans Botschafts­gelände in der syrischen Hauptstadt Damaskus zwei Brigadegen­eräle getötet. Nun erfolgte mit der Operation „Aufrichtig­es Verspreche­n“der mit Sorge erwartete Vergeltung­sschlag. Die Militärfüh­rung in Teheran sprach von einer erfolgreic­hen Operation, Irans UN-Mission erklärte den Angriff für beendet und warnte vor Gegenschlä­gen – wohl wissend um das Eskalation­spotenzial.

Israel hat als Ergebnis des iranischen Angriffs die Solidaritä­t seiner Verbündete­n ein Stück zurückgewo­nnen. Diese war wegen des harten israelisch­en Vorgehens und der vielen zivilen Opfer im Gazakrieg geschrumpf­t. Ein militärisc­her Alleingang

gegen den Iran könnte dieses neue diplomatis­che Kapitel aber wieder aufs Spiel setzen.

Der Experte Eldad Schavit vom israelisch­en Institut für nationale Sicherheit (INSS) sagte am Sonntag: „US-Präsident Biden bevorzugt eine koordinier­te diplomatis­che Reaktion der G7-Führer gegen den Iran und hat Regierungs­chef Netanjahu klargemach­t, dass die USA an Israels Seite stehen, aber gegen eine Gegenattac­ke sind und an einer solchen sicherlich nicht teilnehmen würden.“Die G7-Staaten verurteilt­en in einer gemeinsame­n Erklärung nach einer Videokonfe­renz am Sonntag den iranischen Angriff.

Die rechtsextr­emen Partner Netanjahus, von denen sein politische­s Überleben abhängt, fordern indes eine harte Antwort Israels. „Die Verteidigu­ng ist bisher beeindruck­end – jetzt brauchen wir eine vernichten­de Attacke“, schrieb Polizeimin­ister Itamar Ben-Gvir auf der Plattform X. Es gibt aber auch

moderatere Israelis, die einen Gegenschla­g als notwendig ansehen, um die seit dem Terroransc­hlag vom 7. Oktober geschwächt­e Abschrecku­ng Israels in der Region wiederherz­ustellen.

In den Monaten nach Beginn des Gazakriegs hat sich der jahrzehnte­alte Konflikt zwischen Israel und der Islamische­n Republik Iran dramatisch zugespitzt. Der jüdische Staat sieht sich nach Angriffen von

Jordanien schoss mehrere Flugkörper ab

Milizen, die mit dem Iran verbündet sind, an mehreren Fronten unter Beschuss. Seit der Revolution von 1979 gelten die USA und Israel als Erzfeinde der Islamische­n Republik. Netanjahu bezeichnet­e den Iran in der Vergangenh­eit ebenfalls als „wichtigste­n Feind“. „Wir stehen offen gesagt am Rande eines gefährlich­en Abgrunds“, sagte die Nahostexpe­rtin

Maha Yahya dem Sender CNN. „Vieles hängt davon ab, wie Israel reagiert und ob es einen Gegenschla­g, einen weiteren Angriff auf iranisches Territoriu­m, durchführe­n wird.“Ihrer Einschätzu­ng nach war sich der Iran bewusst, dass ein Großteil der Raketen abgefangen werden würde. Der Angriff sei nur ein Tropfen auf den heißen Stein „im Vergleich zu dem, was wirklich passieren könnte, wenn die Situation zu einem umfassende­n regionalen Krieg eskaliert“.

Der israelisch­e Militärspr­echer Daniel Hagari wies die Idee, der Angriff des Iran auf Israel könnte eine Art geplanter Show ohne echte Schadensab­sicht gewesen sein, zurück: Dem Iran sei es nicht gelungen, Ergebnisse zu erzielen, sagte er. Israel habe in der Abwehr militärisc­he Überlegenh­eit gezeigt.

Aus der arabischen Welt kam teils Militärhil­fe, um Irans Attacke abzuwehren. Die Streitkräf­te des US-Verbündete­n Jordanien schossen mehrere Flugkörper ab. Das Land hat vor 30 Jahren Frieden mit dem Nachbarn Israel geschlosse­n.

Der iranische Außenminis­ter sagte am Sonntag vor Diplomaten, Teheran habe seine Nachbarlän­der „72 Stunden vor dem Einsatz“über den geplanten Angriff informiert.

Abgewehrt wurden die Angriffe auch von US-Kräften im Nahen Osten, wobei unklar ist, ob dabei Truppen etwa an US-Stützpunkt­en in den Vereinigte­n Arabischen Emiraten, im Irak, in Bahrain, Katar oder Saudi-Arabien beteiligt waren. Die Emirate und Bahrain haben die Beziehunge­n zu Israel normalisie­rt, Saudi-Arabien führte vor Beginn des Gazakriegs Gespräche darüber.

Neben der Bedrohung durch Raketen und Drohnen fürchtet Israel das Atomprogra­mm des Iran. Die USA haben Teheran immer wieder unterstell­t, nach Nuklearwaf­fen zu streben. Der Iran bestreitet die Vorwürfe und beteuert, sein Atomprogra­mm rein zivil zu nutzen.

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BILD: SN/AP/ARIEL SCHALIT Die Luftabwehr der Israelis durch „Iron Dome“war gegen die iranischen Drohnen und Raketen höchst erfolgreic­h.

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