Die Libanesen blicken jetzt mit Angst Richtung Israel
Nach den Angriffen des Iran auf Israel fürchtet man, dass die Hisbollah schärfer als bisher ins Visier genommen wird.
Es war kurz vor drei Uhr morgens, als die ersten Anhänger der Hisbollah auf ihren Motorrädern fahnenschwenkend durch die südlichen Vororte von Beirut rasten, um die iranischen Raketen und Drohnenattacken auf Israel zu feiern. Wenig später versammelten sich vor der iranischen Botschaft in der libanesischen Hauptstadt Hunderte von Menschen. „Wir sind gekommen“, sagten sie einem lokalen Fernsehreporter nach einem ohrenbetäubenden „Allahu akbar“-Stakkato (Gott ist groß) freudestrahlend, „um der Islamischen Republik zu gratulieren.“Die wahrscheinlich von Israel ausgeführten Raketenangriffe auf das iranische Konsulat in Damaskus, bei dem vor 14 Tagen sieben hochrangige Militärs getötet wurden, hätten „gerächt werden müssen“, argumentierten sie.
Fast zur gleichen Zeit hatten sich vor vielen Tankstellen in Beirut bereits lange Schlangen gebildet. Man müsse jetzt „auf alles vorbereitet sein und mit dem Schlimmsten rechnen“, meinte ein Mittsechziger. Der Mann erinnerte an den Krieg im Juli 2006, als die israelische Luftwaffe weite Teile des Beiruter Südens,
wo sich die Kommandozentralen der Hisbollah befinden, sowie die Infrastruktur des Libanons buchstäblich in Schutt und Asche gebombt hatte. Das könnte sich „jetzt wiederholen“.
Militäranalysten haben die Flugzeiten der iranischen Langstreckenraketen für die gut 1000 Kilometer lange Wegstrecke nach Israel mit etwa 40 Minuten berechnet. Sehr viel größere Gefahr droht Israel aus dem Libanon, wo die Hisbollah nach westlichen Geheimdiensterkenntnissen bis zu 130.000 Raketen und Kampfdrohnen stationiert hat.
Im Libanonkrieg von 2006 wollte Israel dieses gewaltige Bedrohungsarsenal „ein für alle Mal ausschalten“. Das Vorhaben misslang. Die Hisbollah ist heute – dank massiver iranischer Rüstungslieferungen – ganz erheblich stärker als vor 18 Jahren. Israel stehe jetzt „vor einem strategischen Dilemma“, glaubt Nimrod Goren, Militäranalyst vom Washingtoner Middle East Institute (MEI) – und fragt: „Wie kann das Land die Abschreckung wiederherstellen, ohne eine weitere Eskalation und die Unterstützung der Partner zu riskieren?“
Mit Hochspannung und unverhohlener Angst blicken die meisten
Libanesen daher jetzt nach Israel. Dort hatte man in den vergangenen Monaten den militärischen Schlagabtausch mit der Hisbollah auf die Grenzregionen im Süden des Libanons beschränkt. Die iranische Miliz reagierte mit Raketenschlägen auf das Hochland von Galiläa. Die Angriffe beschränkten sich bisher allerdings meist auf einen Radius von zehn Kilometern auf beiden Seiten der Grenze. Währenddessen ging das Leben in Beirut weiter, als wäre nichts geschehen.
Ein wenig Hoffnung machen den Menschen die Reaktionen des Westens, der nach den iranischen Vergeltungsschlägen eine Gewalteskalation im Nahen Osten mit aller Macht verhindern will. Gelöst wäre der Dauerkonflikt zwischen Iran auf der einen und Israel und dem Westen auf der anderen Seite dann allerdings nicht, sondern nur auf einen späteren Zeitpunkt vertagt.