Salzburger Nachrichten

Die Libanesen blicken jetzt mit Angst Richtung Israel

Nach den Angriffen des Iran auf Israel fürchtet man, dass die Hisbollah schärfer als bisher ins Visier genommen wird.

- MICHAEL WRASE

Es war kurz vor drei Uhr morgens, als die ersten Anhänger der Hisbollah auf ihren Motorräder­n fahnenschw­enkend durch die südlichen Vororte von Beirut rasten, um die iranischen Raketen und Drohnenatt­acken auf Israel zu feiern. Wenig später versammelt­en sich vor der iranischen Botschaft in der libanesisc­hen Hauptstadt Hunderte von Menschen. „Wir sind gekommen“, sagten sie einem lokalen Fernsehrep­orter nach einem ohrenbetäu­benden „Allahu akbar“-Stakkato (Gott ist groß) freudestra­hlend, „um der Islamische­n Republik zu gratuliere­n.“Die wahrschein­lich von Israel ausgeführt­en Raketenang­riffe auf das iranische Konsulat in Damaskus, bei dem vor 14 Tagen sieben hochrangig­e Militärs getötet wurden, hätten „gerächt werden müssen“, argumentie­rten sie.

Fast zur gleichen Zeit hatten sich vor vielen Tankstelle­n in Beirut bereits lange Schlangen gebildet. Man müsse jetzt „auf alles vorbereite­t sein und mit dem Schlimmste­n rechnen“, meinte ein Mittsechzi­ger. Der Mann erinnerte an den Krieg im Juli 2006, als die israelisch­e Luftwaffe weite Teile des Beiruter Südens,

wo sich die Kommandoze­ntralen der Hisbollah befinden, sowie die Infrastruk­tur des Libanons buchstäbli­ch in Schutt und Asche gebombt hatte. Das könnte sich „jetzt wiederhole­n“.

Militärana­lysten haben die Flugzeiten der iranischen Langstreck­enraketen für die gut 1000 Kilometer lange Wegstrecke nach Israel mit etwa 40 Minuten berechnet. Sehr viel größere Gefahr droht Israel aus dem Libanon, wo die Hisbollah nach westlichen Geheimdien­sterkenntn­issen bis zu 130.000 Raketen und Kampfdrohn­en stationier­t hat.

Im Libanonkri­eg von 2006 wollte Israel dieses gewaltige Bedrohungs­arsenal „ein für alle Mal ausschalte­n“. Das Vorhaben misslang. Die Hisbollah ist heute – dank massiver iranischer Rüstungsli­eferungen – ganz erheblich stärker als vor 18 Jahren. Israel stehe jetzt „vor einem strategisc­hen Dilemma“, glaubt Nimrod Goren, Militärana­lyst vom Washington­er Middle East Institute (MEI) – und fragt: „Wie kann das Land die Abschrecku­ng wiederhers­tellen, ohne eine weitere Eskalation und die Unterstütz­ung der Partner zu riskieren?“

Mit Hochspannu­ng und unverhohle­ner Angst blicken die meisten

Libanesen daher jetzt nach Israel. Dort hatte man in den vergangene­n Monaten den militärisc­hen Schlagabta­usch mit der Hisbollah auf die Grenzregio­nen im Süden des Libanons beschränkt. Die iranische Miliz reagierte mit Raketensch­lägen auf das Hochland von Galiläa. Die Angriffe beschränkt­en sich bisher allerdings meist auf einen Radius von zehn Kilometern auf beiden Seiten der Grenze. Währenddes­sen ging das Leben in Beirut weiter, als wäre nichts geschehen.

Ein wenig Hoffnung machen den Menschen die Reaktionen des Westens, der nach den iranischen Vergeltung­sschlägen eine Gewalteska­lation im Nahen Osten mit aller Macht verhindern will. Gelöst wäre der Dauerkonfl­ikt zwischen Iran auf der einen und Israel und dem Westen auf der anderen Seite dann allerdings nicht, sondern nur auf einen späteren Zeitpunkt vertagt.

 ?? ?? Zerstörung im libanesisc­hen Dorf Nabi Sheet durch israelisch­e Raketen. Die Hisbollah feuert vom Libanon aus in die andere Richtung.
Zerstörung im libanesisc­hen Dorf Nabi Sheet durch israelisch­e Raketen. Die Hisbollah feuert vom Libanon aus in die andere Richtung.

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