Salzburger Nachrichten

„Israel könnte Bau der Atombombe bremsen“

Wie wird Israels Gegenschla­g nach dem Angriff des Iran aussehen? Und wie kommt man aus der Gewaltspir­ale heraus?

- GERHARD SCHWISCHEI

Sowohl Israel als auch der Iran haben rote Linien überschrit­ten. Dem Attentat auf Anführer der iranischen Revolution­sgarden auf deren Botschafts­gelände in Damaskus folgten nun massive Drohnen- und Raketenang­riffe auf Ziele in Israel. Nahostexpe­rte Wolfgang Pusztai erklärt im SN-Gespräch, wie es nun weitergehe­n könnte.

SN: Hat in der vergangene­n Nacht der nächste große Krieg begonnen?

Wolfgang Pusztai: Ich gehe davon aus, dass Israel auf jeden Fall zurückschl­agen wird. Israel darf den Respekt der islamische­n Welt und insbesonde­re des Iran nicht verlieren. Würde sich Israel nach diesen iranischen Angriffen nicht zur Wehr setzen und nicht deutlich aufzeigen, dass man so mit dem Land nicht umgehen kann, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die nächsten Raketen Richtung Israel starten werden.

SN: Wie könnte der Gegenschla­g aussehen?

Israel wird eher einen limitierte­n Gegenangri­ff starten, bei dem sie aber sehr wohl sensible Ziele angreifen werden. Das könnten Ziele im Bereich der Industrie sein, es könnten aber auch Raketenbas­en oder Komponente­n des Atomprogra­mms sein. Israel könnte die „Gelegenhei­t“nutzen und eine massive Verzögerun­g des Baues einer iranischen Atombombe herbeiführ­en.

Die Abwehr der Israelis in der Nacht auf Sonntag war jedenfalls eindrucksv­oll, falls die angegebene­n Zahlen der abgewehrte­n Drohnen und Raketen stimmen. Es wurden praktisch alle Drohnen weit vor der israelisch­en Grenze abgeschoss­en. Es wurden auch alle CruiseMiss­iles (Marschflug­körper, Anm.) und 113 von 120 Mittelstre­ckenrakete­n abgewehrt. Sieben Raketen sind offenbar durchgekom­men und haben in der Nähe des Nevatim-Militärflu­ghafens eingeschla­gen. Diese Airbase ist vielleicht die wichtigste Luftwaffen­basis der Israelis. Und die war offenbar Schwerpunk­t des iranischen Angriffs.

SN: Lässt sich diese Gewaltspir­ale noch bremsen?

Das hängt jetzt davon ab, welche Ziele die Israelis angreifen und wie groß die Personensc­häden sein werden. Wenn es Israel schafft, wirklich sensible Ziele im Iran zu treffen, ohne viele Personen zu töten, könnte das Regime in Teheran verstanden haben, dass sie diesen Krieg bei einer weiteren Eskalation nicht gewinnen können.

Die Israelis werden mit aller Macht zurückschl­agen. Es werden aber eher gezielte militärisc­he Schläge sein, die auch politisch signalisie­ren sollen: Probiert es nicht noch einmal, beim nächsten Mal schlagen wir noch härter zurück.

SN: Wie groß ist die militärisc­he Stärke des Iran, um den Krieg noch weiter zu eskalieren?

Der Iran kann noch mehr Raketen schicken, vor allem Drohnen und Marschflug­körper. Allerdings hat der Iran „nur“zwischen 600 bis 800 Raketen, mit denen sie Israel erreichen können. Wenn Israel genug Munition hat und wenn die Amerikaner weitere Lenkwaffen­zerstörer in Richtung israelisch­e Küste schicken, was sie auch tun, würden bei einer weiteren Angriffswe­lle keine wesentlich­en zusätzlich­en Schäden entstehen.

Heißt das, die militärisc­he Schlagkraf­t des Iran ist begrenzt, um Israel gefährlich, wirklich gefährlich zu werden?

SN:

Sie ist enden wollend. Ein interessan­ter Aspekt in diesem Zusammenha­ng ist, dass die Hisbollah aus dem Südlibanon zwar Raketen Richtung Golanhöhen abgeschoss­en, aber keinen massiven Schlag durchgefüh­rt hat. Die Hisbollah wusste meiner Einschätzu­ng nach von diesem Angriff. Interessan­t ist aber, dass die Hisbollah auch nicht zur totalen Eskalation übergegang­en ist. Der Grund dafür könnte sein, um für einen allfällige­n weiteren iranischen Gegenschla­g Steigerung­spotenzial zur Verfügung zu haben. Das könnte aber auch deshalb sein, weil die Hisbollah kein großes Interesse an einem großen Krieg mit Israel angesichts der schwierige­n innenpolit­ischen Lage im Libanon hat.

Aber ist das militärisc­he Potenzial der Hisbollah nicht so groß, um Israel ernsthaft in Probleme zu bringen?

SN:

Man darf dabei nicht vergessen, dass wir hier von unterschie­dlichen Verteidigu­ngsmitteln sprechen. Wenn es um den Bodenkrieg im Gazastreif­en geht, muss man sagen, dass die Anzahl der Einsätze, die die Israelis dort mit Kampfjets fliegen, überschaub­ar ist. Die Israelis haben zwischen 400 und 500 Kampfflugz­euge und eine ganze Menge Kampfhubsc­hrauber. Das Potenzial, das die Israelis – derzeit – im Gazakrieg benötigen, ist nichts im Vergleich zu dem, was sie gegen die Hisbollah einsetzen könnten.

Welches Kalkül steckte hinter dem tödlichen Angriff der Israelis auf Führungskö­pfe der iranischen Revolution­sgarden auf dem Gelände der iranischen Botschaft in Damaskus? Israel musste ja wissen, dass damit eine rote Linie überschrit­ten wurde.

SN:

Ich gehe davon aus, dass die Israelis gewusst haben, wen sie dort angreifen, und dass sie damit gerechnet haben, dass der Iran eskalieren wird. Diese Ziele in Syrien waren offenbar für die Israelis so wichtig, dass sie diese Eskalation in Kauf genommen haben.

SN: Könnte es auch andere Gründe gegeben haben – um zum Beispiel die USA, die Israels Vorgehen im Gazastreif­en zuletzt massiv kritisiert haben, wieder stärker an das Land zu ketten?

Für den Krieg im Gazastreif­en hat die Unterstütz­ung der Amerikaner mehr politische als praktische Bedeutung. Den Israelis geht dort sicher nicht die Munition aus, wie man in Österreich schon gelesen hat. Die israelisch­e Armee ist im schlimmste­n Szenario auf einen großen Krieg mit allen arabischen Armeen im Umfeld ausgericht­et. Die Israelis sind also jetzt nicht auf Munition angewiesen. Faktum ist auch, dass die Amerikaner keine Mittel haben, um die Israelis morgen zu einem Waffenstil­lstand im Gazastreif­en zu zwingen.

SN: Ist es aufgrund Ihrer Analyse richtig zu sagen, dass die ganz große Eskalation im Nahen Osten nicht bevorsteht?

Das ist eher unwahrsche­inlich und hängt vor allem davon ab, welche Ziele die Israelis angreifen werden, wie groß die Zerstörung sein wird und wie viele Menschen dabei ums Leben kommen werden. Und es wird davon abhängen, ob der Iran das Signal versteht, besser nicht weiter zu eskalieren. Der Iran hat ja auch massive wirtschaft­liche und innenpolit­ische Probleme.

SN: Wie sehr wird sich durch die jüngste Entwicklun­g die Stimmung in der arabischen Welt gegen Israel weiter aufheizen?

In den sozialen Medien wird der Angriff auf Israel verhalten bis sehr, sehr positiv gefeiert. Da kommen auch viele Fake-Videos über den iranischen Angriff vor. Man muss aufpassen, dass die Welle der Demonstrat­ionen gegen Israel in der arabischen Welt und anderswo nicht wieder hochschwap­pt – vor allem nach einem massiven israelisch­en Gegenschla­g. Zudem stellt sich die Frage, ob es dem iranischen Regime gelingt, die arabischen Regierunge­n unter Druck zu setzen. Die meisten arabischen Regierunge­n sind relativ leise. Die Arabischen Emirate haben zum Beispiel ein Luftvertei­digungssys­tem aus Israel. Fraglich ist aber auch, ob das, was die arabischen Regierunge­n wollen, das Gleiche ist, was die Menschen auf der Straße wollen.

SN: Die G7 wurden einberufen, auch der UN-Sicherheit­srat. Wie wird die Welt auf diesen iranischen Angriff reagieren?

Ich gehe davon aus, dass der Westen, wenn schon nicht der UN-Sicherheit­srat, neue Sanktionen gegen den Iran verhängen wird. Das wird auch zweckmäßig sein, vor allem was den Bereich der Raketentec­hnologie betrifft. Obwohl hier auch China eine Rolle spielt, das übrigens viel Technologi­e aus Israel bekommen hat, braucht der Iran eine Menge Bauteile aus dem Westen. Hier wird es zweckmäßig sein, die Schraube etwas anzuziehen.

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Wolfgang Pusztai ist Sicherheit­s- und Politikana­lyst. Er arbeitet auch am Austria Institut für Europa- und Sicherheit­spolitik in Wien.
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BILD: SN/APA/AFP/- Dieses Bild zeigt über der Al-Aksa-Moschee in Jerusalem abgeschoss­ene Raketentei­le.

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