Die Blasenbildung hat nun auch die Politik erreicht
Die Parteien haben den Anspruch auf die Mehrheit aufgegeben und bedienen nur noch Wählersegmente. Mit einer Ausnahme.
In der Medienbranche ist die Blasenbildung bereits weit fortgeschritten. Damit ist nicht gemeint, dass es dort blubbert, sondern dass es für jede Meinung ein eigenes Schrebergärtlein gibt: Ob Verschwörungstheoretiker, Hasser der Partei XY oder Anhänger der politischen Korrektheit – für jeden existiert ein geeignetes Onlinemedium, in dem er die eigene Meinung bestätigt bekommt und niemals mit einer gegenläufigen Ansicht konfrontiert wird.
Das deformiert zwar das Denken, ist aber überaus kommod und entsprechend nachgefragt. Während Medien, die noch halbwegs einen Rundumblick über die Meinungslandschaft bieten, zunehmend Probleme bekommen, da sie auf blankes Unverständnis stoßen: Was, die vertreten nicht meine Meinung? Das können nur schlechte Journalisten sein!
Diese Entwicklung ist klarerweise Gift, da sie den Menschen systematisch die Kompromissund Urteilsfähigkeit abtrainiert. Aber da sie im
Medienbereich so erfolgreich ist, wird sie nun auch von der Politik übernommen.
Die meisten Parteien haben den Anspruch, die Mehrheit der Bevölkerung zu vertreten, indem sie ein breit gefächertes und damit zwangsläufig kompromissbasiertes Programm anbieten, längst aufgegeben. Stattdessen sind auf dem Wählermarkt heute glasklare Eindeutigkeit und Zielgruppenorientierung gefragt. Die Logik des politischen Wettbewerbes ist mittlerweile die gleiche wie bei den Onlinemedien: Der Kunde wünscht Verschwörungstheorien? Also bekommt er Verschwörungstheorien. Der Kunde verlangt nach Klimaschutz? Also bekommt er Klimaschutz. Und zwar Klimaschutz und nichts anderes.
Besonders deutlich als „Special interest“-Partei positionierten sich zuletzt die Neos mit ihrer Idee, der Staat sollte jedem 18-Jährigen 25.000 Euro zum Geschenk machen. Das ist ein Vorschlag, der in der Gesamtbevölkerung wohl eher auf Unverständnis stößt, in der Gruppe der Erstwähler aber zweifellos großes Interesse erntet. – Dies als Beispiel, wie Blasenbildung in der Politik funktioniert.
Ist ja taktisch verständlich: 50 Prozent sind für alle Parteien unerreichbar. Daher setzen sich die drei Mittelparteien 25 bis 30 Prozent zum Ziel, was für Platz eins oder zumindest einen Platz in der Regierung reichen sollte. Die Kleinparteien peilen 10 bis 15 Prozent an, damit sie als Partner in einer Dreierkoalition infrage kommen. Um die jeweils angepeilten Prozente zu erreichen, versucht jede Partei, eine klar definierte Wählerblase entsprechender Größe möglichst ideal zu bedienen.
Die einzige Partei, die noch dem alten Ziel anhängt, Politik für alle zu machen, ist die
ÖVP. Mit dem Effekt, dass niemand mehr weiß, wofür diese Partei eigentlich steht.