Teils Robin Hood, teils Märtyrer
Von Haider über Kickl bis Trump: Politiker der äußeren Rechten verfügen über eine dicke Teflonschicht. Ihnen nützt, was anderen Politikern immens schaden würde.
Bemerkenswertes wusste vor wenigen Tagen die steirische „Kleine Zeitung“vom dortigen Landtagswahlkampf zu berichten. Da ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen neun Verdächtige aus dem FPÖ-Umfeld, darunter Landesparteichef Mario Kunasek und der dritte Landtagspräsident Gerald Deutschmann; da macht eine mutmaßliche Affäre um den Hausbau Kunaseks Schlagzeilen; da beschließt der Landtag auf Begehr der Staatsanwaltschaft Klagenfurt die Aufhebung der Immunität von Deutschmann, der als Architekt sowohl das Haus Kunaseks als auch die neue Landesparteizentrale geplant hat; da strotzt, kurz gesagt, die LandesFPÖ vor Affären – und nichts passiert. Zumindest umfragemäßig. Parteichef Kunasek und seine Partei liegen in sämtlichen demoskopischen Befragungen solide voran. Die Flut negativer Schlagzeilen scheint der FPÖ und ihrem Spitzenkandidaten für die herbstliche Landtagswahl nicht im Geringsten zu schaden.
Das kommt einem bekannt vor. Auch auf Bundesebene ist die freiheitliche Parteispitze samt Obmann Herbert Kickl schwersten Anschuldigungen ausgesetzt. Es steht der Vorwurf im Raum, dass Kickl in seiner Zeit als Innenminister das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) bewusst zerstören wollte; dass auf die BVTRechtsextremismusreferentin politischer Druck ausgeübt worden sei; dass der mutmaßliche Spion Egisto Ott einer der Ideengeber Kickls und seiner Kumpane gewesen sei. Und nichts passiert. Wie sein steirischer Parteifreund Kunasek liegt auch Kickl mit seiner BundesFPÖ in den Umfragen solide voran. Siehe oben: Die mutmaßliche Affäre scheint der FPÖ und ihrem Spitzenkandidaten für die herbstliche Nationalratswahl nicht im Geringsten zu schaden.
Der Chor der Empörten verhallt ungehört
Die Älteren unter uns erinnern sich an Jörg Haider. Auch ihm haben seine Wähler alles verziehen: Seine sprunghafte Politik, mit der er erst die schwarz-blaue Regierung und dann die eigene Partei zerstörte. Seinen neureichen Lebensstil mit Luxusuhren und -autos. Sein frivoles Spiel mit Nazi-Versatzstücken. Seine fragwürdige Buberlpartie rund um Peter Westenthaler und Stefan Petzner, die ihn wie eine Prätorianergarde umschwirrte. Seine Nähe zu orientalischen Despoten wie Muammar Gaddafi. Nur ein Bruchteil dieser Dinge hätte jeden anderen Politiker aus dem Amt befördert. Haider hingegen eilte von Wahlerfolg zu Wahlerfolg und schaffte es nach der von ihm bewerkstelligten Spaltung der FPÖ sogar, der Totgeburt
BZÖ so etwas wie Leben einzuhauchen. Und dann gibt es noch Donald Trump, der einerseits die Kriminalberichterstattung seiner Heimat dominiert und andererseits im Herbst wieder zum US-Präsidenten gewählt werden wird. Weil seine Wähler weder der von Trump orchestrierte Sturm aufs US-Capitol noch dessen strafrechtliches Sündenregister im Geringsten stört.
Kurzum: Politikern der äußersten Rechten, die sich als Nichtpolitiker, als Widersacher des Establishments, als Gegenthese zum von ihnen diskreditierten Mainstream inszenieren, kann bei ihren Anhängern kaum etwas schaden – und zwar aus ebendiesen Gründen: Weil sie so tun, als ob sie nicht zur politischen Blase gehören, als ob sie Gegner des Systems wären, als ob sie anders als die üblichen Politiker wären. Das zieht Wähler an, die sich ebenfalls als Gegner (oder gar als Opfer) des Systems betrachten. Und jeder Vorwurf, der an derlei Politiker gerichtet wird, stärkt nur deren Rolle teils als neuzeitliche Robin Hoods, teils als Märtyrer des Systems. Die FPÖ nützte dieses Phänomen zu Jörg Haiders Zeiten zu dem Werbespruch: „Sie sind gegen ihn, weil er für euch ist.“Später
entlieh sich Strache diesen Spruch und schlug damit seine Wahlen.
Herbert Kickl hat den probaten Slogan bis zur Stunde nicht entmottet, aber im Prinzip macht er es wie Haider, Strache, Trump und etliche andere Rechtspolitiker rund um den Globus: Er provoziert, zieht damit ganz bewusst Angriffe seiner Gegner und Kritik der Medien auf sich – und wird dadurch nur noch stärker. Denn die, die ihn kritisieren, wählen ihn ohnehin nicht. Und die, die mit ihm sympathisieren, werden durch den Robin-Hoodbeziehungsweise Märtyrereffekt direkt in seine Arme getrieben.
Weshalb anzunehmen ist, dass die Enthüllungen des laufenden Untersuchungsausschusses weder Kickl noch der FPÖ schaden werden: Seine Gegner, die sich zum Chor der Empörten vereinigen, haben’s ohnehin immer schon geahnt und können sich schon deshalb nicht von ihm abwenden, weil sie sich ihm nie zugewandt haben.
Und seine Freunde sind durch den Chor der Empörten nicht irrezumachen.