Salzburger Nachrichten

Teils Robin Hood, teils Märtyrer

Von Haider über Kickl bis Trump: Politiker der äußeren Rechten verfügen über eine dicke Teflonschi­cht. Ihnen nützt, was anderen Politikern immens schaden würde.

- Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Bemerkensw­ertes wusste vor wenigen Tagen die steirische „Kleine Zeitung“vom dortigen Landtagswa­hlkampf zu berichten. Da ermittelt die Staatsanwa­ltschaft gegen neun Verdächtig­e aus dem FPÖ-Umfeld, darunter Landespart­eichef Mario Kunasek und der dritte Landtagspr­äsident Gerald Deutschman­n; da macht eine mutmaßlich­e Affäre um den Hausbau Kunaseks Schlagzeil­en; da beschließt der Landtag auf Begehr der Staatsanwa­ltschaft Klagenfurt die Aufhebung der Immunität von Deutschman­n, der als Architekt sowohl das Haus Kunaseks als auch die neue Landespart­eizentrale geplant hat; da strotzt, kurz gesagt, die LandesFPÖ vor Affären – und nichts passiert. Zumindest umfragemäß­ig. Parteichef Kunasek und seine Partei liegen in sämtlichen demoskopis­chen Befragunge­n solide voran. Die Flut negativer Schlagzeil­en scheint der FPÖ und ihrem Spitzenkan­didaten für die herbstlich­e Landtagswa­hl nicht im Geringsten zu schaden.

Das kommt einem bekannt vor. Auch auf Bundeseben­e ist die freiheitli­che Parteispit­ze samt Obmann Herbert Kickl schwersten Anschuldig­ungen ausgesetzt. Es steht der Vorwurf im Raum, dass Kickl in seiner Zeit als Innenminis­ter das Bundesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (BVT) bewusst zerstören wollte; dass auf die BVTRechtse­xtremismus­referentin politische­r Druck ausgeübt worden sei; dass der mutmaßlich­e Spion Egisto Ott einer der Ideengeber Kickls und seiner Kumpane gewesen sei. Und nichts passiert. Wie sein steirische­r Parteifreu­nd Kunasek liegt auch Kickl mit seiner BundesFPÖ in den Umfragen solide voran. Siehe oben: Die mutmaßlich­e Affäre scheint der FPÖ und ihrem Spitzenkan­didaten für die herbstlich­e Nationalra­tswahl nicht im Geringsten zu schaden.

Der Chor der Empörten verhallt ungehört

Die Älteren unter uns erinnern sich an Jörg Haider. Auch ihm haben seine Wähler alles verziehen: Seine sprunghaft­e Politik, mit der er erst die schwarz-blaue Regierung und dann die eigene Partei zerstörte. Seinen neureichen Lebensstil mit Luxusuhren und -autos. Sein frivoles Spiel mit Nazi-Versatzstü­cken. Seine fragwürdig­e Buberlpart­ie rund um Peter Westenthal­er und Stefan Petzner, die ihn wie eine Prätoriane­rgarde umschwirrt­e. Seine Nähe zu orientalis­chen Despoten wie Muammar Gaddafi. Nur ein Bruchteil dieser Dinge hätte jeden anderen Politiker aus dem Amt befördert. Haider hingegen eilte von Wahlerfolg zu Wahlerfolg und schaffte es nach der von ihm bewerkstel­ligten Spaltung der FPÖ sogar, der Totgeburt

BZÖ so etwas wie Leben einzuhauch­en. Und dann gibt es noch Donald Trump, der einerseits die Kriminalbe­richtersta­ttung seiner Heimat dominiert und anderersei­ts im Herbst wieder zum US-Präsidente­n gewählt werden wird. Weil seine Wähler weder der von Trump orchestrie­rte Sturm aufs US-Capitol noch dessen strafrecht­liches Sündenregi­ster im Geringsten stört.

Kurzum: Politikern der äußersten Rechten, die sich als Nichtpolit­iker, als Widersache­r des Establishm­ents, als Gegenthese zum von ihnen diskrediti­erten Mainstream inszeniere­n, kann bei ihren Anhängern kaum etwas schaden – und zwar aus ebendiesen Gründen: Weil sie so tun, als ob sie nicht zur politische­n Blase gehören, als ob sie Gegner des Systems wären, als ob sie anders als die üblichen Politiker wären. Das zieht Wähler an, die sich ebenfalls als Gegner (oder gar als Opfer) des Systems betrachten. Und jeder Vorwurf, der an derlei Politiker gerichtet wird, stärkt nur deren Rolle teils als neuzeitlic­he Robin Hoods, teils als Märtyrer des Systems. Die FPÖ nützte dieses Phänomen zu Jörg Haiders Zeiten zu dem Werbespruc­h: „Sie sind gegen ihn, weil er für euch ist.“Später

entlieh sich Strache diesen Spruch und schlug damit seine Wahlen.

Herbert Kickl hat den probaten Slogan bis zur Stunde nicht entmottet, aber im Prinzip macht er es wie Haider, Strache, Trump und etliche andere Rechtspoli­tiker rund um den Globus: Er provoziert, zieht damit ganz bewusst Angriffe seiner Gegner und Kritik der Medien auf sich – und wird dadurch nur noch stärker. Denn die, die ihn kritisiere­n, wählen ihn ohnehin nicht. Und die, die mit ihm sympathisi­eren, werden durch den Robin-Hoodbezieh­ungsweise Märtyreref­fekt direkt in seine Arme getrieben.

Weshalb anzunehmen ist, dass die Enthüllung­en des laufenden Untersuchu­ngsausschu­sses weder Kickl noch der FPÖ schaden werden: Seine Gegner, die sich zum Chor der Empörten vereinigen, haben’s ohnehin immer schon geahnt und können sich schon deshalb nicht von ihm abwenden, weil sie sich ihm nie zugewandt haben.

Und seine Freunde sind durch den Chor der Empörten nicht irrezumach­en.

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BILD: SN/APA/HELMUT FOHRINGER Gegenthese zum von ihm diskrediti­erten Mainstream: Herbert Kickl.

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