Salzburger Nachrichten

Telefonbet­rüger ergaunerte­n mehr als zwölf Millionen Euro

Ein Prozess in Wien zeigte erneut auf, welche Dimensione­n die Betrügerei­en mit Schockanru­fen und dem Kautionstr­ick haben.

- GERALD STOIBER

Geschulte Telefonbet­rüger, die bevorzugt ältere Menschen einschücht­ern und oft stundenlan­g auf sie einreden, bis sie Geld oder Wertgegens­tände herausrück­en – bei dieser Form von Bandenkrim­inalität, die sich wie eine Seuche ausgebreit­et hat, werden meistens nur sogenannte kleine Fische erwischt.

So wie im Fall einer Burgenländ­erin (65) aus Rechnitz im Bezirk Oberwart: Sie hatte im November 2023 einen Anruf von einer angebliche­n Polizistin bekommen, die ihr weismachen wollte, die Tochter habe einen Unfall verursacht und jetzt müsse sie eine Kaution zahlen, damit diese nicht in Untersuchu­ngshaft komme. Die 65-Jährige durchschau­te den Betrugsver­such und ging nur zum Schein auf die Forderung ein. Letztlich wurde ein Abholer festgenomm­en, als er das Geld der Frau einstecken wollte. Sein Pech: Die 65-Jährige hatte nicht nur ihn zu einer anderen Adresse in ihrem Wohnort geschickt, sondern auch die Polizei verständig­t. So tappte der 49-Jährige in die Falle.

„Eine intelligen­te, coole Dame“, lobte Herbert Harammer von der Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) vergangene Woche laut APA beim Prozess am Wiener Straflande­sgericht. Der Angeklagte wurde rechtskräf­tig zu 30 Monaten Haft verurteilt. Wie sich herausstel­lte, war der Mann schon in Bonn und Zürich einschlägi­g verurteilt worden, wo er jeweils für eine aus Polen operierend­e Bande, die mit dem Kautionstr­ick arbeitet, unterwegs gewesen war und ebenfalls erwischt wurde. Der burgenländ­ische Fall zeigt ganz typisch, wie Opfer unter Druck gesetzt werden: Ging es zuerst um 8500 Euro, wurde innerhalb weniger Stunden auch eine angebliche Staatsanwä­ltin ans Telefon geholt, die letztlich 86.000 Euro forderte.

„Allein in Österreich sind über 230 Opfer dieser internatio­nal tätigen, profession­ell vorgehende­n Tätergrupp­e bekannt. Sie setzen in eigenen Callcenter­n sehr gut Deutsch sprechende, rhetorisch geschulte Personen ein, die bei den Opfern anrufen und sich als Polizisten, Staatsanwä­lte und Richter ausgeben. Der in Österreich angerichte­te Schaden macht mehr als zwölf Millionen Euro aus“, sagte der Vertreter der WKStA vor Gericht.

Die WKStA hat zur polnischen Bande mehr als 200 Fälle aus ganz Österreich von anderen Staatsanwa­ltschaften zusammenge­holt; 1000 Betrugsver­suche wurden angezeigt, die dieser Gruppe zugeordnet werden. Doch sie operiert auch in Deutschlan­d, der Schweiz und eben von Polen aus. Daher wurde von den Behörden in den vier Ländern eine gemeinsame Ermittlung­sgruppe gegründet. „Dadurch brauche ich nicht jedes Mal ein eigenes Rechtshilf­eersuchen“, sagte ein Staatsanwa­lt.

Die Bande arbeitet streng hierarchis­ch und arbeitstei­lig, sodass die letzten Glieder wenig über die Befehlsket­te

wissen. Abholer, wie der 49-Jährige, müssen Geld und Wertsachen möglichst schnell an Komplizen liefern, die für die Logistik zuständig sind. „Man muss die Strukturen solcher Tätergrupp­en Schicht für Schicht freilegen wie bei einer Zwiebel, bis man zum Kern kommt“, so ein Ermittler zu den SN.

Auffällig ist, dass im benachbart­en Bayern schon deutlich längere Freiheitss­trafen verhängt wurden als in Österreich üblich. So gab es am Landgerich­t Traunstein 2022 und 2023 bereits zwei Fälle, in denen Telefonbet­rüger zu mehr als zehn Jahren Gefängnis verurteilt wurden – bei Schäden von 80.000 bzw. 250.000 Euro. Beide Urteile sind bereits rechtskräf­tig. Derzeit läuft in Traunstein der nächste Prozess gegen Abholer nach Schockanru­fen bei betagten Opfern: Es geht um zwölf Fälle mit insgesamt rund 600.000 Euro Schaden, angeklagt sind zwei Polen (22 und 23 Jahre). Das Urteil ist für 19. April geplant.

In Österreich verhängte das Landesgeri­cht Kärnten im vergangene­n Herbst zwei der strengsten heimischen Urteile zu Schockanru­fen – je mehr als vier Jahre Haft. In den Fällen betrug der Schaden knapp 400.000 bzw. mehr als 750.000 Euro. Am Straflande­sgericht Graz kamen zwei Mitglieder einer anderen Bande, die aus der Türkei operiert, im Herbst billiger davon: Ein Angeklagte­r erhielt zwei Jahre Haft, der zweite 18 Monate teilbeding­t und so kam er aus der Untersuchu­ngshaft sofort frei.

Erst ab 300.000 Euro Schaden beträgt die Strafdrohu­ng in Österreich bei schwerem Betrug ein bis zehn Jahre Freiheitss­trafe, darunter sind es bis zu drei bzw. fünf Jahre.

In Deutschlan­d gibt es viel strengere Urteile

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