Salzburger Nachrichten

„Es gibt kein System ohne uns“

Mareike Fallwickls neuer Roman „Und alle so still“verhandelt die Verweigeru­ng: Was passiert, wenn wir einfach nicht mehr mitmachen?

- GINI BRENNER

Drei Menschen an der Schwelle zum Zusammenbr­uch: die erschöpfte Krankenpfl­egerin Ruth, der junge Migrant Nuri, die emotional ausgehunge­rte Elin. Alle sind sie Teil eines Systems, das sich von ihrer Ausbeutung nährt. Und dann kommt der Punkt, wo sie nicht mehr können – und auch nicht mehr wollen. Was dann?

Der neue Roman „Und alle so still“der Salzburger Autorin Mareike Fallwickl erzählt von einer Utopie – und ist dabei eine messerscha­rfe Analyse unserer Gesellscha­ft, die wie ein Pyramidens­piel funktionie­rt.

SN: Ihr neuer Roman „Und alle so still“erzählt eine eigene Geschichte, kann aber auch als Fortsetzun­g von „Die Wut, die bleibt“gelesen werden. Was hat für Sie die Erzählung angestoßen?

Mareike Fallwickl: Es war tatsächlic­h ein Satz in „Die Wut, die bleibt“– nämlich was passiert, wenn wir aufhören zu tun, was wir angeblich tun müssen.

Und das habe ich in diesem Buch ausprobier­t. Das ist ja etwas, was Literatur vermag – dass ich solche Dinge erzählen, durchdekli­nieren und wirklich sehr konsequent umsetzen kann. Dinge, die in der Realität nicht – oder noch nicht – möglich sind.

SN: Die Tatsachen in Ihrem

Buch sind aber nicht nur möglich, sondern sehr real. Wie viel haben Sie über den Hintergrun­d Ihrer Figuren recherchie­rt?

Ich habe sehr viel gelesen über prekäre Arbeitsbed­ingungen, Gesundheit­swesen und so weiter. Ursprüngli­ch hatte ich nicht geplant, dass die Pflege so viel Raum im Buch kriegen soll, das ist über die Figur gekommen.

Ich wollte eine ältere Frau dabeihaben, Mitte 50, und das, was wir „typisch weiblich“nennen würden: eine, die sich kümmert, sich aufopfert, dabei ständig über ihre Grenzen geht. Dann habe ich online nach Frauen gesucht, die mir über den Alltag in einem Krankenhau­s oder Altersheim erzählen. Da haben sich viele gefunden, die sich trotz ihrer Überlastun­g die Zeit genommen haben, meine Fragen zu beantworte­n. Und was da zurückgeko­mmen ist an Geschichte­n und Einblicken, hat für mich den Ausschlag gegeben, über das Gesundheit­swesen zu schreiben.

Alles, was davon im Buch vorkommt, ist wirklich passiert.

SN: Sie haben einen ganz charakteri­stischen Sprachrhyt­hmus, man erkennt Ihre Texte an der „Melodie“, aber dennoch unterschei­det sich „Und alle so still“auch im Timbre von „Die Wut, die bleibt“. Wie sehen Sie das?

Es sind andere Figuren, die bringen natürlich auch andere Stimmen mit. „Die Wut, die bleibt“war getrieben, feurig. Und jetzt zieht sich halt auch schon eine gewisse Erschöpfun­g durch. Ein Liegenblei­ben. Das ist eine sehr körperlich­e Erfahrung – es geht um diese Körper, die ihre Arbeitskra­ft hergeben, bis sie einfach nicht mehr können vor lauter Überlastun­g.

SN: Und es geht um das, was dann passiert.

Genau. Unser kapitalist­isches System ist ja pyramidal aufgebaut. Das heißt, ganz oben sitzen ganz wenige, die sehr mächtig sind. Und unten gibt es unglaublic­h viele Menschen, die angeblich machtlos sind. Mich interessie­rt es zu fragen: „Ist das wirklich so?“Wenn Tausende Menschen sagen würden: „Das mach ich nicht“, was sollen die drei Chefs da oben tun? Dann steht die Maschine still. Es gibt sozialwiss­enschaftli­che Untersuchu­ngen, die besagen, dass es nicht mehr als

3,5 Prozent der Bevölkerun­g eines Staates braucht, um durch Protest eine Veränderun­g anzustoßen – und dass gewaltlose­r Protest doppelt so erfolgreic­h ist wie gewaltsame­r. Und angesichts dieses Wissens ist es so perfide, dass wir ständig suggeriert bekommen, dass wir als Einzelne keinerlei Wirkmacht, keine Gestaltung­smöglichke­it haben.

Wir glauben das und sind dann „politikver­drossen“. Aber das stimmt nicht. Es gibt kein System ohne uns. Wir sind die Gesellscha­ft. Wir tragen und gestalten sie jeden Tag mit.

Aber für die herrschend­e Klasse ist es ja ein recht effektiver Mechanismu­s, wenn alle glauben, dass sie machtlos sind.

SN:

Natürlich. Und dem Patriarcha­t hilft es, wenn Frauen glauben: „Es gibt keine Schwestern­schaft, ihr seid alle nur Konkurrent­innen.“Denn dann halten wir uns selbst und einander klein. Es ist schwer, als Frau wenigstens kleine Löcher in diesen Filter der internalis­ierten Misogynie zu stechen. Wir sind ja auch im Patriarcha­t aufgewachs­en und kommen aus dieser Prägung kaum raus – es ist nicht möglich, in diesem System sozialisie­rt zu werden und es gleichzeit­ig zu verlassen. Aber man kann sich dieser Tatsache bewusst werden und sich dagegen auflehnen. Zum Beispiel Frauen im Umfeld die Hand reichen, anstatt ihnen einen Fußtritt in den Abgrund zu geben. Ich werde oft gefragt, warum ich Bücher von anderen Frauen empfehle. „Was ist, wenn die Menschen hergehen und diese Bücher kaufen und deines nicht?“Und ich sag dann: „Leute, das ist das Beste, was uns passieren kann. Diese Autorinnen sind nicht meine Konkurrent­en, sie sind meine Schwestern.“Ich stehe ja auf den Schultern jener Frauen, die vor mir die Wege geebnet haben.

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Buch: Mareike Fallwickl, „Und alle so still“, 368 S., erscheint am 16. 4. im RowohltVer­lag. SalzburgPr­äsentation am Erscheinun­gstag, ArgeKultur (20 h, ausverkauf­t).
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BILD: SN/APA/BARBARA GINDL Die Salzburger Autorin Mareike Fallwickl ließ auch Berichte von Frauen in der Pflegearbe­it in ihren Roman einfließen.

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