Salzburg hat das Erfolgs-Rad überdreht
Der blutleere Auftritt von Fußballmeister Red Bull Salzburg beim 1:3 gegen den LASK lässt tief blicken. Trainer Gerhard Struber steht im Fokus der öffentlichen Kritik, die Bullen haben aber auch ein strukturelles Problem.
Es sind Geschichten wie diese, die nur der Sport und insbesondere der Fußball schreiben kann. Da gewinnt der LASK trotz eines chaotischen Trainerwechsels vom glücklosen Thomas Sageder über den lizenzlosen Maximilian Ritscher hin zu Thomas Darazs, trotz eines Stimmungsboykotts in der eigenen Fankurve, trotz einer wochenlangen Torflaute in der Meistergruppe – und stürzt ausgerechnet Überflieger Red Bull Salzburg in die größte Clubkrise seit Jahren.
Der Serienmeister präsentierte sich bei der 1:3-Pleite am Freitagabend in Linz von einer Seite, die man von den Bullen nicht kennt: hilflos, wehrlos, ideenlos. Das einstige „Pressingmonster“Salzburg, weit über die Landesgrenzen hinaus als Torfabrik und Titelschmiede bekannt, hat offenbar den Spaß am Fußball verloren. Selbst wenn man das Ruder in kürzester Zeit noch einmal herumreißen kann, wenn man in zwei Wochen im mit Spannung erwarteten Bundesliga-Gipfeltreffen gegen Sturm Graz gewinnen und am Ende der Saison den elften aufeinanderfolgenden Meistertitel holen würde, dieser unterirdische Auftritt beim LASK hat schonungslos neue Schwachstellen von
Red Bull Salzburg aufgedeckt.
Dass unter den Bullen-Fans die Rufe nach einem Trainerwechsel lauter geworden sind, ist verständlich. So funktionieren nun einmal die Mechanismen im Profifußball. Dass manchmal sogar eine einzige Trainingseinheit unter einem neuen Fußballlehrer Wunder bewirken kann, das hat der LASK ja gerade sehr eindrucksvoll
Zu viele Eigeninteressen, zu wenig Mannschaft
bewiesen. Doch im Fall von Red Bull Salzburg sind die Probleme nicht mit populistischen Trainer-raus-Forderungen abgetan. Sie gehen wesentlich tiefer.
Letztendlich haben die Bullen ihr ErfolgsRad, mit dem man Titel um Titel, fünf Champions-League-Teilnahmen und einen Rekordtransfer nach dem nächsten eingefahren hat, überdreht. Hoch veranlagte Spieler aus allen Ecken der Welt wurden in der jüngeren Vergangenheit nur mehr aus dem einen Grund geholt, sie möglichst schnell möglichst teuer weiterverkaufen
zu können. Das ist das Geschäftsmodell von Red Bull Salzburg, das ja auch nach wie vor bestens funktioniert und schon oft von anderen Clubs kopiert wurde. In der Meisterstadt hat sich dadurch jedoch eine neue Ideologie eingeschlichen. Spieler sprechen schon vom nächsten Karriereschritt, sobald sie – überspitzt formuliert – zwei Mal auf das Tor geschossen haben. Champions-League-Spiele werden intern oft nur mehr als PromotionSpiele bezeichnet. Aktuell peilen gefühlt drei Viertel des Kaders einen Transfer im Sommer an. Die fatalen Folgen: zu viele Eigeninteressen, zu wenig Mannschaft. Dazu kommen Grüppchenbildungen innerhalb des Teams. Ein immer größer werdender Afrika-Block, ein dominantes Serben-Trio, zu viele Mitläufer und ein immer kleiner werdender Österreicher-Anteil entpuppen sich als fragiles Gebilde, sobald sich der Erfolg nicht mehr einstellt und die Eigeninteressen gefährdet sind.
Hier ist nicht allein Trainer Gerhard Struber gefordert. Für Bernhard Seonbuchner ist es die Feuertaufe als Sportdirektor. Er muss sich ein Vorbild an seinem Vorgänger Christoph Freund nehmen, der es in schwierigen Situationen durch seine Empathie und persönliche Nähe zu den Spielern oft geschafft hat, Risse innerhalb der Mannschaft zu kitten. Jetzt die Qualität
Titelkampf wird für die Bullen zum Charaktertest
der Spieler anzuzweifeln wäre genauso unseriös, wie die Trainingsmethodik oder das Spielsystem zu hinterfragen. Denn die wahrscheinlich schlechteste Leistung seit Jahren ist einzig und allein an der (nicht vorhandenen) Einstellung der Red-Bull-Profis gelegen. Die Körpersprache hat in keinem Augenblick dieses Spiels signalisiert, dass die Salzburger tatsächlich Meister werden wollen. Und was noch schlimmer ist: Niemand aus der Bullen-Elf hat sich bemüßigt gefühlt, voranzugehen, sich aufzubäumen, die anderen mitzureißen.
So ist das große Saisonziel in größter Gefahr. Sollte Red Bull Salzburg den Titel heuer nicht gewinnen, entgeht den Bullen die fixe Champions-League-Startprämie von 20 Millionen Euro, und ohne „Promotion-Spiele“ist auch die Wahrscheinlichkeit für einen lukrativen Wechsel entsprechend geringer.
Sturm hat die Chance genützt und am Sonntag durch einen 3:1-Sieg gegen Hartberg zum Noch-Tabellenführer aufgeschlossen. Aber wer die Bullen kennt, der weiß, dass sich der Abomeister schon oft mit der Aufgabe gesteigert hat. Es wäre nur eine weitere außergewöhnliche Sportgeschichte, würde Red Bull Salzburg gerade nach dieser sportlichen Bankrotterklärung in Linz am 19. Mai just nach einem Heimspiel gegen den LASK den goldenen Meisterteller in den Händen halten.