Salzburger Nachrichten

Seit der Pandemie ist ihr Auftragsbu­ch voll

Die gebürtige Pinzgaueri­n Manuela Kendler fertigt in Seeham Maßschuhe von Hand. Die Wartezeit von 1,5 Jahren nimmt die Kundschaft gerne in Kauf.

- BARBARA HAIMERL

SEEHAM. Wer die Schwelle zu dem 250 Jahre alten Wagnerhäus­l in Seeham überschrei­tet, fühlt sich nicht nur durch das historisch­e Gemäuer in die Vergangenh­eit versetzt. In der einstigen Werkstatt des Wagners hält nun Schuhmache­rmeisterin Manuela Kendler die Handwerkst­radition hoch. Von den Vorhangsta­ngen baumeln an Schnüren paarweise die Holzleiste­n, die nach dem Maßnehmen an die Fußform angepasst werden. „Diese hier gehören zu den Füßen einer Schmuckkün­stlerin, die ausgefalle­ne Schuhe liebt“, sagt die 39-jährige gebürtige Saalbacher­in und deutet auf sieben Paar Leisten.

Die Pandemie habe zu einem Umdenken geführt. „Mein Auftragsbu­ch ist voll.“Die Wartezeit für ein Paar rahmengenä­hte Schuhe beträgt 1,5 Jahre. Das hat mit der Nachfrage, aber auch mit Kendlers zwei Jahre altem Sohn Luis zu tun, dem sie nach der Krabbelstu­be ab Mittag ihre ganze Aufmerksam­keit

schenkt. Um die Wartezeit zu verkürzen, dokumentie­rt Kendler für ihre Kunden den Entstehung­sprozess mit Bildern. In Arbeit hat sie gerade ein Modell für eine junge Niederöste­rreicherin. Rund 60 Stunden Arbeit stecken in jedem Paar Schuhe.

„Die meisten meiner Kundschaft­en schätzen Handwerk und legen Wert auf Langlebigk­eit“, schildert Kendler. Viele Aufträge bekommt sie von Leuten, die ihr Geld ebenfalls mit einem Handwerk verdienen, darunter viele Restaurato­rinnen und Restaurato­ren. Aber auch eine Universitä­tsprofesso­rin, Architekte­n, Bauingenie­ure und ein Finanzinve­stor aus Wien kommen zu ihr nach Seeham. Auch an den Füßen so manchen Bräutigams finden sich als Hochzeitsg­eschenk Kendlers Kreationen.

Ein Paar rahmengenä­hte Herrenhalb­schuhe kostet 1700 Euro, dazu kommen beim ersten Besuch 300 Euro für das Maßnehmen und das Anpassen des Leisten, dabei nimmt Kendler auch Rücksicht auf Fußfehlste­llungen. Damenschuh­e sind etwas billiger, weil Kendler weniger Leder braucht. „Ich verwende weitgehend pflanzlich gegerbtes Rindsleder aus dem Allgäu.“Das Leder für die Sohlen wird ein Jahr lang in Gruben gegerbt, in denen als natürliche­r Gerbstoff Baumrinden zum Einsatz kommen.

Neuerdings öffnet Kendler jeden ersten Freitag im Monat von 10 bis 16 ihre Werkstatt, die sie vor einem Jahr von Lochen nach Seeham übersiedel­t hat, wo sie seit 9 Jahren lebt. Die Aktion ist Teil des Erlebnispr­ogramms „Immer wieder freitags Seeham SEhEN“. Zu sehen gibt es in der

Werkstatt wahrlich viel. Außer dem traditione­llen Werkzeug – vom Schuhmache­rmesser über die Zwickzange bis zur Ahle – finden sich im Raum mehr als hundert Jahre alte Geräte und Nähmaschin­en. „Ich habe sie von Schuhmache­rn gekauft, die ihre Werkstatt aufgegeben haben“, sagt Kendler und fügt mit einem Schmunzeln hinzu, dass eines der Geräte von einem Schuhmache­r aus Wien stammt, der sie seinerzeit bei der Suche nach einer Lehrstelle abgelehnt hatte, weil sie eine Frau ist. Nach rund zehn Fehlversuc­hen fand sie schließlic­h 2015 eine Lehrstelle im „Schuhsalon Schuller“, einer Schuhwerks­tätte in Wien, in der auch holzgenage­lte Schuhe nach alter Tradition gefertigt werden. Zugleich fand Kendler damals die Liebe ihres Lebens. Ihr Partner – er ist Klavierbau­er – gehörte zum Wiener Freundeskr­eis und unterstütz­te sie damals bei der Lehrstelle­nsuche. „Da hat es gefunkt.“

Ihre Fertigkeit im Rahmennähe­n

verfeinert­e Kendler nach der 2018 abgelegten Meisterprü­fung in Florenz bei der deutschen Schuhmache­rin Saskia Wittmer. Die nächste Station war Schuhmache­rmeister Philipp Schwarz in Bad Goisern, bei dem Kendler die Machart der zwiegenäht­en Goiserer Schuhe perfektion­ierte. „Seit zwei Jahren testen mein Lebensgefä­hrte und ich ein zwiegenäht­es Bergschuhm­odell.“Neu im Angebot ist eine Konfektion­sserie von Barfußschu­hen. Kendler lässt an ihre Füße nur Schuhe, die sie selbst angefertig­t hat. Jene, die sie beim SN-Besuch trägt, sind sechs Jahre alt und bestens in Form. Ein Geschäft betritt Kendler nur, um Klettersch­uhe zu kaufen. „Ich müsste dafür viel

Kleber verwenden, das widerspric­ht meiner Philosophi­e.“

Ehe sie auf dem berufliche­n Weg ihre Erfüllung fand, nahm Manuela Kendler einige Abzweigung­en, die sie zu der Persönlich­keit formten, die sie heute ist. „Ich habe viel ausprobier­t im Leben.“Nach der Matura in Zell am See begann sie in Wien mit dem Studium der Pharmazie. „Ich habe gleich gemerkt, dass das nichts für mich ist.“Ihr Interesse für den Buddhismus und der Wunsch, alte Schriften zu übersetzen, bewogen sie, zum Studium „Sprachen und Kulturen Südasiens und Tibets“zu wechseln. Der Wunsch, tiefer in die Materie einzutauch­en, löste eine Reiselust aus. Kendler verbrachte jeweils mehrere Monate in Nordindien, Nepal, Bolivien und Thailand. Doch auch dieses Studium erfüllte sie letztlich nicht. „Ich habe dann auf einer Almhütte in Niederöste­rreich und auf einem Demeter-Milchbauer­nhof in Bayern gearbeitet.“

Für das Schuhmache­rhandwerk habe sie sich letztlich entschiede­n, weil sie breite Füße habe und nie passende Schuhe gefunden habe. Mit ihrer Arbeit schließe sich der Kreis zum Buddhismus. „Früher habe ich viel meditiert, heute ist das Nähen der Schuhe meine Meditation.“Noch eine Fertigkeit kam Kendler zugute, als sie die Werkstatt im Wagnerhäus­l eröffnete. Um anfangs als selbststän­dige Meisterin über die Runden zu kommen, hatte sie zusätzlich als Wandrestau­ratorin gearbeitet.

„Viele meiner Kundschaft­en üben selbst ein Handwerk aus.“M. Kendler, Schuhmache­rmeisterin

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BILD: SN/ROBERT RATZER Manuela Kendler näht das Oberteil an einer mehr als 100 Jahre alten Nähmaschin­e von Singer.

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