Seit der Pandemie ist ihr Auftragsbuch voll
Die gebürtige Pinzgauerin Manuela Kendler fertigt in Seeham Maßschuhe von Hand. Die Wartezeit von 1,5 Jahren nimmt die Kundschaft gerne in Kauf.
SEEHAM. Wer die Schwelle zu dem 250 Jahre alten Wagnerhäusl in Seeham überschreitet, fühlt sich nicht nur durch das historische Gemäuer in die Vergangenheit versetzt. In der einstigen Werkstatt des Wagners hält nun Schuhmachermeisterin Manuela Kendler die Handwerkstradition hoch. Von den Vorhangstangen baumeln an Schnüren paarweise die Holzleisten, die nach dem Maßnehmen an die Fußform angepasst werden. „Diese hier gehören zu den Füßen einer Schmuckkünstlerin, die ausgefallene Schuhe liebt“, sagt die 39-jährige gebürtige Saalbacherin und deutet auf sieben Paar Leisten.
Die Pandemie habe zu einem Umdenken geführt. „Mein Auftragsbuch ist voll.“Die Wartezeit für ein Paar rahmengenähte Schuhe beträgt 1,5 Jahre. Das hat mit der Nachfrage, aber auch mit Kendlers zwei Jahre altem Sohn Luis zu tun, dem sie nach der Krabbelstube ab Mittag ihre ganze Aufmerksamkeit
schenkt. Um die Wartezeit zu verkürzen, dokumentiert Kendler für ihre Kunden den Entstehungsprozess mit Bildern. In Arbeit hat sie gerade ein Modell für eine junge Niederösterreicherin. Rund 60 Stunden Arbeit stecken in jedem Paar Schuhe.
„Die meisten meiner Kundschaften schätzen Handwerk und legen Wert auf Langlebigkeit“, schildert Kendler. Viele Aufträge bekommt sie von Leuten, die ihr Geld ebenfalls mit einem Handwerk verdienen, darunter viele Restauratorinnen und Restauratoren. Aber auch eine Universitätsprofessorin, Architekten, Bauingenieure und ein Finanzinvestor aus Wien kommen zu ihr nach Seeham. Auch an den Füßen so manchen Bräutigams finden sich als Hochzeitsgeschenk Kendlers Kreationen.
Ein Paar rahmengenähte Herrenhalbschuhe kostet 1700 Euro, dazu kommen beim ersten Besuch 300 Euro für das Maßnehmen und das Anpassen des Leisten, dabei nimmt Kendler auch Rücksicht auf Fußfehlstellungen. Damenschuhe sind etwas billiger, weil Kendler weniger Leder braucht. „Ich verwende weitgehend pflanzlich gegerbtes Rindsleder aus dem Allgäu.“Das Leder für die Sohlen wird ein Jahr lang in Gruben gegerbt, in denen als natürlicher Gerbstoff Baumrinden zum Einsatz kommen.
Neuerdings öffnet Kendler jeden ersten Freitag im Monat von 10 bis 16 ihre Werkstatt, die sie vor einem Jahr von Lochen nach Seeham übersiedelt hat, wo sie seit 9 Jahren lebt. Die Aktion ist Teil des Erlebnisprogramms „Immer wieder freitags Seeham SEhEN“. Zu sehen gibt es in der
Werkstatt wahrlich viel. Außer dem traditionellen Werkzeug – vom Schuhmachermesser über die Zwickzange bis zur Ahle – finden sich im Raum mehr als hundert Jahre alte Geräte und Nähmaschinen. „Ich habe sie von Schuhmachern gekauft, die ihre Werkstatt aufgegeben haben“, sagt Kendler und fügt mit einem Schmunzeln hinzu, dass eines der Geräte von einem Schuhmacher aus Wien stammt, der sie seinerzeit bei der Suche nach einer Lehrstelle abgelehnt hatte, weil sie eine Frau ist. Nach rund zehn Fehlversuchen fand sie schließlich 2015 eine Lehrstelle im „Schuhsalon Schuller“, einer Schuhwerkstätte in Wien, in der auch holzgenagelte Schuhe nach alter Tradition gefertigt werden. Zugleich fand Kendler damals die Liebe ihres Lebens. Ihr Partner – er ist Klavierbauer – gehörte zum Wiener Freundeskreis und unterstützte sie damals bei der Lehrstellensuche. „Da hat es gefunkt.“
Ihre Fertigkeit im Rahmennähen
verfeinerte Kendler nach der 2018 abgelegten Meisterprüfung in Florenz bei der deutschen Schuhmacherin Saskia Wittmer. Die nächste Station war Schuhmachermeister Philipp Schwarz in Bad Goisern, bei dem Kendler die Machart der zwiegenähten Goiserer Schuhe perfektionierte. „Seit zwei Jahren testen mein Lebensgefährte und ich ein zwiegenähtes Bergschuhmodell.“Neu im Angebot ist eine Konfektionsserie von Barfußschuhen. Kendler lässt an ihre Füße nur Schuhe, die sie selbst angefertigt hat. Jene, die sie beim SN-Besuch trägt, sind sechs Jahre alt und bestens in Form. Ein Geschäft betritt Kendler nur, um Kletterschuhe zu kaufen. „Ich müsste dafür viel
Kleber verwenden, das widerspricht meiner Philosophie.“
Ehe sie auf dem beruflichen Weg ihre Erfüllung fand, nahm Manuela Kendler einige Abzweigungen, die sie zu der Persönlichkeit formten, die sie heute ist. „Ich habe viel ausprobiert im Leben.“Nach der Matura in Zell am See begann sie in Wien mit dem Studium der Pharmazie. „Ich habe gleich gemerkt, dass das nichts für mich ist.“Ihr Interesse für den Buddhismus und der Wunsch, alte Schriften zu übersetzen, bewogen sie, zum Studium „Sprachen und Kulturen Südasiens und Tibets“zu wechseln. Der Wunsch, tiefer in die Materie einzutauchen, löste eine Reiselust aus. Kendler verbrachte jeweils mehrere Monate in Nordindien, Nepal, Bolivien und Thailand. Doch auch dieses Studium erfüllte sie letztlich nicht. „Ich habe dann auf einer Almhütte in Niederösterreich und auf einem Demeter-Milchbauernhof in Bayern gearbeitet.“
Für das Schuhmacherhandwerk habe sie sich letztlich entschieden, weil sie breite Füße habe und nie passende Schuhe gefunden habe. Mit ihrer Arbeit schließe sich der Kreis zum Buddhismus. „Früher habe ich viel meditiert, heute ist das Nähen der Schuhe meine Meditation.“Noch eine Fertigkeit kam Kendler zugute, als sie die Werkstatt im Wagnerhäusl eröffnete. Um anfangs als selbstständige Meisterin über die Runden zu kommen, hatte sie zusätzlich als Wandrestauratorin gearbeitet.
„Viele meiner Kundschaften üben selbst ein Handwerk aus.“M. Kendler, Schuhmachermeisterin