Die Noteninflation erzeugt Probleme
Sepp Schnöll hat in seinem Leserbrief vom 12. 4. bereits fast alles gesagt, was zu sagen ist. Danke dafür!
Laut Gesetz (Leistungsbeurteilungsverordnung) bedeutet „Sehr gut“, dass der Schüler die Anforderungen des Lehrplans weit über das Wesentliche hinaus erfüllt und dieses Wissen auch selbstständig auf neuartige Aufgaben anwenden kann. Nur wenige können das, für die meisten würde eher passen: Der
Schüler erfüllt die Anforderungen des Lehrstoffes sowie die Durchführung der Aufgaben in den wesentlichen Bereichen zur Gänze – was einem „Befriedigend“entspricht (Definitionen gekürzt). Fast alle Zeugnisse der Volksschule und leider auch anderer Schulen sind also rechtswidrig.
Es sind die Lehrer und Lehrerinnen, die diese Noten rechtswidrig vergeben, und vielen muss man diesen Missstand auch tatsächlich vorhalten. Nachdem diese Noteninflation aber zur Norm geworden ist, wäre es für einzelne Lehrpersonen oder auch Schulen äußerst schwierig, korrekt zu beurteilen. Die korrekt beurteilten Schüler hätten große Nachteile, z. B. bei der Aufnahme in ein Gymnasium. Die einzige Stelle, die das Problem lösen könnte und müsste, ist die Schulaufsicht (Bildungsdirektion). Anstatt
aber einen rechtskonformen und auch fachlich sinnvollen Zustand herzustellen, vergrößert sie das Problem noch weiter, indem sie Interventionen von Eltern nachgibt und damit die Lehrerschaft verunsichert. Ironie der Geschichte ist dann auch noch, dass die Bildungsdirektion die Gymnasien ermahnt, nur ja keine Aufnahmsprüfungen zu machen – ja, wie sollen diese denn sonst auch nur halbwegs ihren Bildungsauftrag erfüllen?
Die Noteninflation erzeugt auch noch ein weiteres, für unsere Gesellschaft gravierendes Problem: Die Kinder erhalten kein ehrliches Feedback, wo sie wirklich stehen – (fast) alle sind sehr gut. Nachdem sich dieser Missstand auch in höheren Schulen immer weiterverbreitet, sind sehr viele junge Erwachsene nicht mehr fähig, mit realistischem Feedback umzu
gehen. Man hat ihnen immer nur gesagt, wie toll sie sind.
Im Gegensatz zu den Intentionen dieses Immer-nur-Lobens erzeugt das aber keine selbstbewussten, sondern oft verunsicherte, kritikunfähige Menschen, die ihr Potenzial nicht ausschöpfen können. Als Lehrer in einer BHS habe ich in der ersten Klasse immer wieder Schüler, die sich nie anstrengen mussten und das deshalb auch nie gelernt haben. Jetzt müssen sie. Viele schaffen die Umstellung, einige aber nicht, trotz ausreichenden Talents.
Mag. Rudolf Frauenschuh
5101 Bergheim