Die Tiroler ÖVP hat aus der Geschichte nur wenig gelernt
Ein rebellischer Vizebürgermeister, eine überforderte Parteiführung und eine beschädigte Polithoffnung.
Alles schon einmal da gewesen. Vor 30 Jahren rebellierte ein Innsbrucker ÖVP-Gemeinderat namens Herwig van Staa gegen die eigene Parteiführung, gründete schließlich eine eigene Liste, nannte sie „Für Innsbruck“und marginalisierte damit die Stadt-ÖVP. Van Staa wurde zum Bürgermeister gewählt und 2002 sogar zum Landeshauptmann. Diese Funktion übte er wieder für die ÖVP aus. Doch seine Liste „Für
Innsbruck“stellte noch bis 2018 die Bürgermeisterin. Die ÖVP war in der Stadt Innsbruck abgemeldet.
Und wird das auch bleiben, denn die Geschichte wiederholt sich. Im Vorfeld der diesjährigen Stadtwahl hatte es die ÖVP endlich geschafft, ihre diversen Abspaltungen inklusive „Für Innsbruck“zu einer gemeinsamen Liste zu vereinigen. Doch wieder fand sich ein Abtrünniger: nämlich der bisherige ÖVPVizebürgermeister Johannes Anzengruber. Er gründete aus Ärger darüber, dass er als Stadtparteiobmann
abgesägt wurde und an seiner Stelle Staatssekretär Florian Tursky die ÖVP-Liste anführen sollte, eine Gegenliste namens „JA – Jetzt Innsbruck“. Und schaffte es damit auf Platz zwei der Ergebnisliste sowie in die Bürgermeister-Stichwahl gegen den grünen Amtsinhaber Georg Willi. Die ÖVP-Liste (die sich verwirrenderweise „Neues Innsbruck“nennt) erlitt mit 10,15 Prozent wieder einmal ein Debakel. Spitzenkandidat Florian Tursky, der zuvor als große Polithoffnung und eventuell sogar nächster Landeshauptmann
gehandelt wurde, ist schwer beschädigt.
Der Ausgang der Innsbrucker Gemeinderatsund Bürgermeisterwahl stellt vor allem ein eklatantes Führungsversagen der Tiroler ÖVPSpitze um LH Anton Mattle dar. Auch die Wiener Parteistrategen um Parteichef Karl Nehammer und Generalsekretär Christian Stocker müssen sich Dilettantismus vorwerfen lassen. Zwar ist Anzengruber kein Bequemer und er hat Ermittlungen der Korruptionsstaatsanwaltschaft am Hals, weil er als
Vizebürgermeister rund 1100 Exemplare der Erlebnis-Card Tirol an Feuerwehrmitglieder und Mitarbeiter der Innsbrucker Sozialen Dienste verschenkt hatte. Er wäre also möglicherweise ein risikobehafteter Spitzenkandidat für die ÖVP gewesen. Aber ihm einen unerfahrenen und unbekannten Staatssekretär als offiziellen Parteikandidaten entgegenzustellen und zuzusehen, wie Anzengruber bürgernah durch die Stadtteile tingelte und bürgerliche Stimmen auflas, war eindeutig die schlechtere Option für die ÖVP.