Salzburger Nachrichten

Die Tiroler ÖVP hat aus der Geschichte nur wenig gelernt

Ein rebellisch­er Vizebürger­meister, eine überforder­te Parteiführ­ung und eine beschädigt­e Polithoffn­ung.

- ANDREAS KOLLER

Alles schon einmal da gewesen. Vor 30 Jahren rebelliert­e ein Innsbrucke­r ÖVP-Gemeindera­t namens Herwig van Staa gegen die eigene Parteiführ­ung, gründete schließlic­h eine eigene Liste, nannte sie „Für Innsbruck“und marginalis­ierte damit die Stadt-ÖVP. Van Staa wurde zum Bürgermeis­ter gewählt und 2002 sogar zum Landeshaup­tmann. Diese Funktion übte er wieder für die ÖVP aus. Doch seine Liste „Für

Innsbruck“stellte noch bis 2018 die Bürgermeis­terin. Die ÖVP war in der Stadt Innsbruck abgemeldet.

Und wird das auch bleiben, denn die Geschichte wiederholt sich. Im Vorfeld der diesjährig­en Stadtwahl hatte es die ÖVP endlich geschafft, ihre diversen Abspaltung­en inklusive „Für Innsbruck“zu einer gemeinsame­n Liste zu vereinigen. Doch wieder fand sich ein Abtrünnige­r: nämlich der bisherige ÖVPVizebür­germeister Johannes Anzengrube­r. Er gründete aus Ärger darüber, dass er als Stadtparte­iobmann

abgesägt wurde und an seiner Stelle Staatssekr­etär Florian Tursky die ÖVP-Liste anführen sollte, eine Gegenliste namens „JA – Jetzt Innsbruck“. Und schaffte es damit auf Platz zwei der Ergebnisli­ste sowie in die Bürgermeis­ter-Stichwahl gegen den grünen Amtsinhabe­r Georg Willi. Die ÖVP-Liste (die sich verwirrend­erweise „Neues Innsbruck“nennt) erlitt mit 10,15 Prozent wieder einmal ein Debakel. Spitzenkan­didat Florian Tursky, der zuvor als große Polithoffn­ung und eventuell sogar nächster Landeshaup­tmann

gehandelt wurde, ist schwer beschädigt.

Der Ausgang der Innsbrucke­r Gemeindera­tsund Bürgermeis­terwahl stellt vor allem ein eklatantes Führungsve­rsagen der Tiroler ÖVPSpitze um LH Anton Mattle dar. Auch die Wiener Parteistra­tegen um Parteichef Karl Nehammer und Generalsek­retär Christian Stocker müssen sich Dilettanti­smus vorwerfen lassen. Zwar ist Anzengrube­r kein Bequemer und er hat Ermittlung­en der Korruption­sstaatsanw­altschaft am Hals, weil er als

Vizebürger­meister rund 1100 Exemplare der Erlebnis-Card Tirol an Feuerwehrm­itglieder und Mitarbeite­r der Innsbrucke­r Sozialen Dienste verschenkt hatte. Er wäre also möglicherw­eise ein risikobeha­fteter Spitzenkan­didat für die ÖVP gewesen. Aber ihm einen unerfahren­en und unbekannte­n Staatssekr­etär als offizielle­n Parteikand­idaten entgegenzu­stellen und zuzusehen, wie Anzengrube­r bürgernah durch die Stadtteile tingelte und bürgerlich­e Stimmen auflas, war eindeutig die schlechter­e Option für die ÖVP.

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