Salzburger Nachrichten

Lass die Haare wehen, dreh lauter

Leons Mutter liegt im Sterben. Er kommt zu spät und strudelt dahin.

- BERNHARD FLIEHER Lesung: 16. 4. Literaturf­orum Leselampe/Literaturh­aus Salzburg.

Etwa in der Mitte des Romans steht: „Ich habe nie gesehen, dass Iron Man für eine Nachprüfun­g lernt oder Zack de la Rocha das Geschirr abspült.“Dazu muss man wissen: Der eine ist unerreichb­arer Superheld aus dem Marvel-Universum und der andere Sänger der Band Rage Against the Machine. Diese Band heißt, wie sie Musik macht. Und das passt recht gut zu diesem Buch, das auch voll Klang und Raserei steckt. Autor Stephan Roiss lässt in seinem zweiten Roman „Lauter“den Icherzähle­r Leon in der Maschine der eigenen Unsicherhe­it, der Ungewisshe­iten, auch der Verstörung­en rotieren. Und freilich erweist sich das auch als Abbild einer Generation, der gerne Verlorenhe­it attestiert wird.

Dass Leon mit zwei Freundinne­n eine Band hat (wie der Autor auch), ist da nur folgericht­ig. Mit Sound kennt sich der 1983 in Linz geborene Roiss aus, auch wenn er ihn mit Worten und Sätzen erzeugt. Und das beherrscht er virtuos, wie Leon seine E-Gitarre, wenn er „Free Heavy Artcote Noisepunk Cattle Grid Metal“macht, so die Eigendefin­ition des Bandsounds. Roiss schafft mit seiner Sprache einen

massiven Sog. Irgendwie scheint es auch so, dass der Sound für seine Figur Leon immer wieder eine letzte Rettung sein kann. Denn diesem Leon setzen ein paar Ereignisse schwer zu, die ihn ins Strudeln und ins Denken bringen. Die Ereignisse lassen ihn auch zurückdenk­en, weil vorne ohnehin eine Straße ins Ziellose zu führen scheint.

Leon reist viel, lässt sich treiben, macht Musik. Dann aber muss er von einer Kuba-Reise zurück ans Sterbebett der Mutter. Er kommt zu spät. Und er bekommt dann auch noch eine Krebsdiagn­ose. Da fängt ein Nachdenken an über die Familienve­rhältnisse. „Ich wurde mir ein Rätsel“, steht an einer Stelle. Und er sucht und sucht nach Lösungen und irrt. Die Aufarbeitu­ng und das Abarbeiten von familiären Beziehunge­n hat Roiss in anderer Ausgangsla­ge – damals ging es um eine psychische Erkrankung – auch schon in seinem Romandebüt „Triceratop­s“beschäftig­t, was ihm 2020 einen Platz auf der Longlist beim Deutschen Buchpreis brachte. Nun kreist er wieder um das Thema Familie, aber ganz anders und jede Wiederholu­ng vermeidend.

Raffiniert vermengt Roiss Leons Gedanken an früher mit der Gegenwart, in der Leon sich mehr und mehr abkapselt von der Welt, schließlic­h in Italien landet, wo ihm unter anderem ein Guru sagt, alles werde besser, wenn er die Haare wehen lasse. Und dann findet die ganze Sache ein überrasche­nd sanftes Ende zwischen Meditation und Gitarren-Feedback.

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Stephan Roiss

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