„Ich träume noch immer vom perfekten Rennen“
Zwei frühere Biathlon-Superstars geben seltene Einblicke in ihr Leben und in ihre Erfolge: Die SN trafen Darya Domracheva und Ole Einar Bjørndalen in Salzburg zum exklusiven Interview.
Die beiden gehören im Biathlonsport zu den Allzeitgrößen: Zusammen haben die Weißrussin Darya Domracheva und der Norweger Ole Einar Bjørndalen unglaubliche zwölf olympische Goldmedaillen geschafft. Seit 2016 sind die beiden verheiratet und sind zur LeonidasGala der SN mit den beiden Töchtern nach Salzburg gekommen. Der Grund: Biathlon-Legende Alfred Eder bekam eine besondere Auszeichnung.
SN: Bei der Leonidas-Gala wurde Alfred Eder mit dem Löwen für das Lebenswerk ausgezeichnet. Darya, Sie haben vier Jahre mit ihm gearbeitet, was hat ihn so als Biathlontrainer ausgezeichnet?
Darya Domracheva: Alfred hat so viel Wissen und eine lange Erfahrung. Was man immer spürt, ist seine Überzeugung zu dem, was er sagt. Das sollten die Athletinnen und Athleten von einem Coach spüren. Das ist im Biathlonsport eine der wichtigsten Eigenschaften: die Überzeugung. Das bringt sehr viel Selbstvertrauen auf allen Ebenen. Das habe ich bei unseren ersten Treffen in Saalfelden gespürt. Es war übrigens schön, ihn in so einer emotionalen Situation in Salzburg begleiten zu dürfen.
Ole Einar Bjørndalen: Ich habe sogar gegen Alfred ab 1993 und später gegen seinen Sohn Simon Bewerbe bestritten. An was ich mich erinnere: Er gewann zwar nicht mehr, aber er war noch 1994 mit 40 Jahren ein Ausnahmeschütze. Für mich war er einer der besten Schützen in der Geschichte dieses Sports. Was ihn als Coach auszeichnet, ist, dass er ein unglaublicher Trainer sowohl für Schießen als auch für Langlaufen ist. Das ist selten.
SN: Sie sind in Ihren jeweiligen Ländern große Helden. Wie lebt es sich eigentlich als Sportgröße?
Bjørndalen: Ich bin zwar nicht mehr so oft in Norwegen, aber in meinem Land ist das Leben als Sportstar kein Problem und nett. In Norwegen hast du ohnehin eine lange Tradition an guten Athleten im Wintersport
– zuletzt auch vermehrt im Sommersport. Die Menschen, die sehr am Sport interessiert sind, respektieren die Topstars und gehen sehr entspannt mit ihnen um. Sie sind fanatisch, aber nicht fanatisch verrückt. Ich genieße die Momente in meiner Heimat, denn das sind ja auch oft Treffen mit Fans, die du dir früher gewünscht hast, als du den Weg des Sportlers eingeschlagen hast. In anderen Ländern ist das nicht so. In Deutschland gibt es viele Beispiele, wo Athleten diesen Fan-Druck nicht mehr ertragen konnten und die Karriere vorzeitig beendet haben.
Domracheva: In Weißrussland war es für mich immer möglich, trotz meiner großen Erfolge ein normales Leben zu führen. Die Bevölkerung war mir gegenüber dankbar, dass ich mit meinen Erfolgen ein wenig Licht und viele positive Emotionen in ihren Alltag gebracht habe. Und das zeigen sie mir auch heute noch – Jahre nach dem Ende meiner Karriere im Jahr 2018.
SN: Darya, Sie sind nach einer gesundheitlich bedingten Pause im Jahr 2015 und der Geburt der ersten Tochter wieder in den Biathlonsport zurückgekehrt. Viele Profisportlerinnen sind zuletzt diesen Weg gegangen.
Domracheva: Es ist ein unglaubliches Gefühl, das alles noch einmal probieren zu wollen. Es ist eine großartige Motivation, aber es funktioniert nur mit einem entsprechenden Team um einen herum. Trotz Schlafmangels (lacht). Wichtig ist, auf den Körper zu hören und alle Signale und Zweifel ernst zu nehmen. Wenn man diesen Weg einschlägt, muss man ihn sehr behutsam durchführen.
Wie hat sich der internationale Biathlonsport insgesamt entwickelt? Sie sind ja beide noch in der Szene drinnen, nicht nur als TV-Experten?
SN:
Bjørndalen: Biathlon ist nach wie vor einer der attraktivsten TVSportarten. Für mich ist das norwegische Team herausragend – vielleicht zu herausragend. Wenn die ersten sechs Plätze bei den Herren von Norwegern belegt sind, dann ist das für eine Sportart und die Show nicht gut. Das war auch kein Zufall, denn das passiert schon seit drei Jahren so. Hoffentlich ändert sich die Situation bald – da spreche ich gerne gegen meine eigene Nation.
SN: Warum ist Norwegen im Biathlon so erfolgreich?
Bjørndalen: Vor Kurzem haben die nationalen Biathlonmeisterschaften in Norwegen stattgefunden: Bei den Frauen waren 121 Starterinnen dabei, bei den Männern über 70. Das ist ein wahnsinnig großes Reservoir für die Zukunft. Das war immer so. Im Unterschied übrigens zu Sommersportarten wie Leichtathletik oder Fußball. Da gibt es kein richtiges System, da ist die Familie entscheidend. Das sieht man bei Erling Haaland oder Jakob Ingebrigtsen (Rekordläufer 1500 Meter, Anm.).
Domracheva: Mir fällt immer auf, dass in Norwegen viele Experten gerne ihr Wissen mit anderen teilen. Sie tauschen sich auf vielen Trainingsebenen aus und das hilft allen. Das machen nicht viele andere Nationen.
Sie beide haben 2018 Ihre aktive Karriere beendet. Vermissen Sie den Wettkampf?
SN:
Domracheva: Ich vermisse vor allem die Emotionen, die so intensiv waren, oder die Gefühle und die Anspannung und Nervosität vor den Rennen. Für mich war immer jeder nächste Bewerb wie der erste, mit viel Motivation und der Einstellung, alles geben zu wollen. Noch heute ist es so, dass, wenn der Herbst kommt, ich diese frische Luft spüre, und die Erinnerungen rund um die Zeit nach der Saisonvorbereitung kommen zurück. Bjørndalen: Ich vermisse diese perfekte Vorbereitung vor den Rennen und dieses mentale Hineinversetzen. Und ich träume noch immer ein bis zwei Mal die Woche von einem perfekten Rennen. Einige waren knapp dran, wie beim Olympiagold in Nagano 1998, aber bei keinem Bewerb rede ich von 100 Prozent.