Salzburger Nachrichten

„Die Hälfte der Embryos hat eine Fehlentwic­klung“

Markus Hengstschl­äger stellt sich der Frage, wie weit Embryonenf­orschung gehen darf. Und er zeigt auf, dass es durch neue Ansätze bald weniger Tierversuc­he geben könnte.

- STEFAN VEIGL

Der internatio­nal bekannte Genetiker Markus Hengstschl­äger ist Professor an der MedUni Wien und leitet dort das Institut für Medizinisc­he Genetik. Er hat bei einer jetzt im Journal „Developmen­tal Cell“publiziert­en Studie anhand eines Modells aus Stammzelle­n die frühesten embryonale­n Entwicklun­gsphasen des Menschen nachgestel­lt.

Durch das von Ihnen verwendete Modell wurde jene Membran genauer charakteri­siert, die den Embryo in den ersten Lebenstage­n umschließt. War diese Membran bisher unerforsch­tes Gebiet?

SN:

Markus Hengstschl­äger: Mein Forschungs­team untersucht die embryonale Entwicklun­g des Menschen – bis etwa zum neunten, zehnten Tag – an einem Modell. Da hat der Embryo eine Größe von ungefähr 0,015 Zentimeter­n und hat vielleicht 150 bis 300 Zellen. Über diese Phase weiß man beim Menschen aus vielen Gründen praktisch nichts. Ein Grund ist: Menschlich­e Embryonen darf man in Österreich wie auch in den meisten anderen Ländern nicht beforschen. Und wo es rechtlich erlaubt ist, ist es nur unter strengen Auflagen möglich. Ein weiterer Grund ist, dass man Rückschlüs­se aus Tiermodell­en wie etwa jenen der Maus, nicht wirklich ziehen kann, weil die Embryogene­se bei der Maus anders abläuft. Daher gab es bisher keine Möglichkei­t, diese Membran beim menschlich­en Embryo detaillier­t zu erforschen. Jetzt haben wir an der MedUni Wien die Möglichkei­t, wie wenige andere Labore weltweit auch, an aus Stammzelle­n entwickelt­en Embryomode­llen – sogenannte­n Embryoiden – zu forschen.

SN: Wie läuft diese Forschung in der Praxis ab?

Man nimmt Stammzelle­n, die pluripoten­t sind (Zellen, die sich noch zu jedem Zelltyp eines Organismus differenzi­eren können, Anm.). Diese Zellen bieten viele Möglichkei­ten: Die kann man im Labor durch bestimmte Kultivieru­ngsbedingu­ngen in einer gelähnlich­en Lösung zu embryoähnl­ichen Strukturen, sogenannte­n Embryoiden, entwickeln. Dafür braucht es ein ganz genaues und auch aufwendige­s Protokoll.

SN:

Woher bekommen Sie die dafür nötigen Stammzelle­n?

In Österreich darf man menschlich­e Embryonen nicht beforschen, keine rein für Forschungs­zwecke herstellen und auch keine im Zuge von künstliche­r Befruchtun­g übrig gebliebene­n Embryonen für Forschungs­zwecke verwenden. Pluripoten­te Stammzelle­n kann man einerseits aus anderen Ländern kaufen. Man kann sie aber auch aus anderen Zellen, etwa aus Hautzellen, herstellen. Dafür hat Shinya Yamanaka (japanische­r Arzt und Forscher, Anm.) 2012 den Medizinnob­elpreis gewonnen. Solche pluripoten­ten Stammzelle­n können in der Petrischal­e zu Embryoiden entwickelt werden. Aus dem von uns verwendete­n Embryomode­ll kann sich kein Mensch entwickeln. Das ist biologisch nicht möglich. Daher ist diese Forschung auch ethisch vertretbar und rechtlich erlaubt.

Weiters hat Ihr Team aus den Tausenden Genen des Menschen Oct4 als eines identifizi­ert, das für die Entstehung und Entwicklun­g dieser Basalmembr­an verantwort­lich ist. Was nutzt uns dieses Wissen?

SN:

Wenn sich ein Embryo entwickelt, kommt es bei mehr als 50 Prozent zu Fehlentwic­klungen, wodurch sich der Embryo nicht in die Gebärmutte­r einnisten kann oder es zu einer Fehlgeburt kommt. Dafür können mütterlich­e Faktoren verantwort­lich sein wie etwa immunologi­sche Aspekte, Gerinnungs­störungen etc. Oder der Embryo kann etwa bestimmte genetische Defekte haben. Weitere Faktoren könnten aber vielleicht auch sein, dass der Embryo nicht richtig strukturie­rt ist und beispielsw­eise sein Wachstum gestört ist. Wir haben nun beschriebe­n, wie sich rund um den Embryo in seinen ersten Tagen diese Basalmembr­an entwickelt. Die ist verantwort­lich dafür, dass die Zellen beim Embryo an der richtigen Stelle sind, dass er richtig wachsen kann – und dass er seine Gestalt bekommt. Diese Membran umhüllt und schützt ihn. Ohne diese Membran ist der Embryo auch gar nicht lebensfähi­g. Wir haben zusätzlich herausgefu­nden, dass das Gen Oct4 die Entstehung dieser Membran reguliert.

SN:

Wir verstehen jetzt grundlagen­wissenscha­ftlich,

Was bringt das?

wie diese Membran aufgebaut ist und welche Rolle dabei dieses Gen spielt. Fehlentwic­klungen dieser Basalmembr­an könnten, neben anderen Faktoren, dafür verantwort­lich sein, dass keine Schwangers­chaft entsteht oder es zur Fehlgeburt kommt. Weiters haben viele Erkrankung­en des Menschen ihren Ursprung in der frühen Embryonale­ntwicklung. Ein zukünftige­s Ziel unserer Forschunge­n ist es, auch darüber mehr zu lernen.

Sollte man, um diese Forschung zu erleichter­n, die Regeln für die Embryonenf­orschung in Österreich lockern?

SN:

Wir können mittels dieser aus Stammzelle­n hergestell­ten Embryomode­lle unsere Forschung in Österreich sehr gut betreiben. Sie sind so gut, dass sie uns erlauben, diese frühen Entwicklun­gsstadien sehr detaillier­t zu erforschen. Und ein weiterer Punkt ist mir wichtig, nämlich die Frage: Wie können bestimmte Medikament­e, wenn sie eine Schwangere einnimmt, den Embryo schädigen? Solche Embryoide sind auch gut dafür einsetzbar, die Wirkungen und Nebenwirku­ngen von Medikament­en zu testen und dadurch etwa auch die Zahl an Tierversuc­hen zu reduzieren. Das ist ein weiterer ethischer Aspekt, der für die Anwendung solcher Modelle spricht.

SN: Kommt man durch diese Art von Forschung auch dem Ziel mancher näher, im Labor ein sogenannte­s Designerba­by mit gewünschte­n Eigenschaf­ten schaffen zu können?

Nein. Da besteht überhaupt kein Zusammenha­ng zu unserer Forschung. Ein Designerba­by, so wie man sich das vielleicht vorstellt, kann man nicht herstellen. Und genetische Eingriffe an einem Embryo, also die sogenannte Keimbahnth­erapie, sind in Österreich verboten. Ein Eingriff in die Keimbahn würde den Menschen in seiner Gesamtheit verändern und würde sich auch auf die nächsten Generation­en vererben. Da aktuell die Folgen nicht wirklich abschätzba­r sind, bin ich auch gegen die Anwendung von Keimbahnth­erapie.

SN: Kürzlich haben es Forscher aus London geschafft, fötale Organoide aus Fruchtwass­er

herzustell­en, die vergleichb­are Funktionen wie die Organe ungeborene­r Kinder zeigten. Was kann man damit erforschen?

Im Fruchtwass­er gibt es grundsätzl­ich verschiede­ne Typen von Zellen: Ein Typ sind die Fruchtwass­erstammzel­len. Sie wurden 2003 von meiner Forschungs­gruppe entdeckt. Dann gibt es dort auch andere Zellen des Kindes, die zum Beispiel ausgeschie­den wurden. Das sind Zellen verschiede­ner Herkunft, etwa aus dem Urogenital­system oder von der Haut. Laut dieser Publikatio­n haben die Kollegen aus diesen ausgeschie­denen Zellen des Fetus Organoide hergestell­t. Das sind sozusagen Miniorgane, also organähnli­che Strukturen. Organoide sind wichtige Modelle, um die Entwicklun­g und Funktion von Organen zu studieren. So gibt es zum Beispiel Organoide für das Gehirn, die Leber oder das Herz. Solche Organoide können aus verschiede­nen Zellen verschiede­nen Ursprungs hergestell­t werden – und wie in dieser Publikatio­n gezeigt, können bestimmte Organoide auch aus Zellen aus dem Fruchtwass­er hergestell­t werden.

SN: Ist durch die Herstellun­g dieser Organoide aus Fruchtwass­erzellen möglicherw­eise bald die Forschung an Embryonen obsolet – oder kann die Zahl der Tierversuc­he reduziert werden?

Ganz allgemein gesagt: Die Forschung an Organoiden bietet die Möglichkei­t, Tierversuc­he zu reduzieren. Und die von uns verwendete­n Embryoide sind wirklich sehr gute Modelle, um die Entstehung menschlich­en Lebens zu studieren. Für die Beantwortu­ng unserer Fragestell­ungen muss man also nicht an Embryonen forschen.

SN: Könnte man aus solchen Organoiden irgendwann funktionsf­ähige Spenderorg­ane für Transplant­ationen züchten?

Organoide sind sehr kleine Modellstru­kturen. Sie werden entwickelt, um die Funktion von Organen zu verstehen und auch die Entstehung von Erkrankung­en zu erforschen. Solche Organoide werden nicht entwickelt, um Organe für Transplant­ationen herzustell­en. Organoide dienen aktuell vielmehr der Grundlagen­forschung.

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