Salzburger Nachrichten

Mit den Augen einer Kuh

Eine VR-Brille macht es möglich, die Welt so zu sehen wie eine Kuh: viel unscharf, wenig bunt. Dieses Wissen hilft sogar der Feuerwehr.

- TIERÄRZTIN Tanja Warter Kontakt: INFO@DOCWARTER.COM

SALZBURG. Das Video des Feuerwehrm­anns war eindrucksv­oll: tiefe Nacht, ein Kuhstall in Flammen. Bauer, Bäuerin und Feuerwehrl­eute versuchten, die Tiere ins Freie zu treiben, das breite Rolltor stand offen. Doch genau beim Ausgang blieben die Rinder wie angewurzel­t stehen. Zwei drehten sogar wieder um Richtung Feuer. Dabei hätten sie nur über den kleinen Hof auf die gegenüberl­iegende Wiese gehen müssen, schon wären sie in Sicherheit gewesen. Sind Kühe so dumm, dass sie ins eigene Verderben rennen?

Um seltsam anmutende Reaktionen von Kühen besser zu verstehen, beleuchten Forscherin­nen und Forscher intensiv die Frage nach dem Warum. Das ist wichtig, weil es im Arbeitsall­tag immer wieder Situatione­n gibt, in denen Kühe möglichst stressfrei und zügig von A nach B getrieben werden sollen. Bekannt ist, dass Kühe allgemein ängstlich sind, wenn sie mit unbekannte­n Dingen oder Situatione­n konfrontie­rt werden. Erst nach einer gewissen Gewöhnungs­zeit legt sich die Verunsiche­rung. Dann entwickeln sie sogar Neugierde. Das lässt sich zum Beispiel beobachten, wenn man einen Fußball in einen Stall legt.

„Aber die Zeit, sich auf Fremdes einzustell­en, fehlt im Fall der Tierrettun­g“, sagt Tierarzt Florian Diel, der an der Hochschule Weihenstep­han-Triesdorf im bayerische­n Freising über Brandschut­z im Stall forscht. Um zu verstehen, warum eine Kuh plötzlich innehält und keinen

Schritt mehr weitergeht, müsse man viele Faktoren unter die Lupe nehmen. „Die Sinnesphys­iologie spielt eine entscheide­nde Rolle“, sagt Diel und meint damit unter anderem, dass man wissen muss, wie und was eine Kuh sieht.

Hierbei hilft modernste Technologi­e. Das theoretisc­he Wissen übers Farbensehe­n, über Schärfe und Unschärfe oder darüber, wie schnell sich das Auge an neue Lichtverhä­ltnisse anpasst, wurde am Landwirtsc­haftlichen Bildungsze­ntrum in Echem, Niedersach­sen, in eine Software verwandelt und in eine „Virtual-RealityBri­lle“ eingebaut. Wer damit noch keine Erfahrung hat: Man setzt das taucherbri­llenartige Gerät auf und versinkt optisch in einer Welt, wie die Kuh sie sieht. Spaziert man mit der Brille zum Beispiel durch einen Stall, bemerkt man sofort, was der Kuh Probleme macht. Hell-Dunkel-Unterschie­de beispielsw­eise. Weil sich das Kuhauge viel langsamer anpasst, wird man bei Gegenlicht massiv geblendet, während dunkle Abschnitte einfach pechschwar­z sind. Da geht man auch als Mensch nicht mehr weiter.

Dunkel ist es auch, wenn Kühe nachts im Brandfall ins Freie müssen. Diel: „Sie können die Austriebsf­läche gar nicht wahrnehmen. Dies in Kombinatio­n mit lauten Geräuschen und fremden Eindrücken – da ist es nicht verwunderl­ich, wenn sich das Tier sagt: Ich bleibe lieber hier drinnen, wo ich mich auskenne und mich eigentlich sicher fühle.“Für die Arbeit der Feuerwehr bedeutet das: zuerst die Fläche vor dem Stall ausleuchte­n, damit die Kühe dort überhaupt etwas sehen können. Dann wird das Treiben schon deutlich leichter.

Neugierig, wie eine Kuh sieht? Im Internet gibt es eindrucksv­olle Videos. Einfach „Echemer Kuhbrille“googeln.

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BILD: SN/TANJA WARTER Muh, das blendet! Kuhaugen brauchen viel länger, bis sie sich an Helligkeit gewöhnt haben.
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