„Entspannung ist angesagt“
Israel ringt um eine Antwort auf den iranischen Angriff und um eine Rückkehr zur Normalität. Beides zugleich geht aber nicht.
Wenn Eyal Pinko öffentlich das Wort ergreift, ist vorher etwas Gravierendes passiert. Wenn er schweigt, kann man sich zurücklehnen. Am Dienstag stand er auf Einladung des Jerusalem Press Club ausländischen Journalistinnen und Journalisten Rede und Antwort. Pinko war 23 Jahre im Dienst der israelischen Armee, diente als Marine-Kommandeur und wechselte später als Lehrender an die Bar-Ilan-Universität.
„Der Iran feiert seinen Vergeltungsschlag als großen Sieg“, sagte Pinko am Dienstag. „Auch wenn fast alle Drohnen und Raketen abgefangen wurden und es kaum Schäden gab. Für den Iran ist die Operation ein enormer Erfolg. Israel muss dem Iran daher zeigen, dass er nicht tun kann, was er will.“
Aus diesem Grund jagt in Israel eine Krisensitzung die andere. Wie könnte eine angemessene Antwort aussehen, mit der Israel den internationalen Rückhalt nicht vollends verliert? Nach einem Treffen mit Ministern seiner Likud-Partei sagte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Dienstag: „Wir werden auf den Iran reagieren, aber man muss es klug anstellen und nicht aus dem Bauch heraus. Sie müssen nervös sein, so wie sie uns nervös gemacht haben.“
Pinko allerdings glaubt, dass der Iran nicht allzu viel Grund zur Nervosität hat. „Der internationale Druck auf Israel ist groß. Alle rufen zur Zurückhaltung auf. Die USA, Großbritannien oder Frankreich stünden Israel bei einem Angriff auf den Iran nicht zur Seite. Es wäre aus meiner Sicht richtig, den Iran anzugreifen. Aber es wäre unklug.“
Kann es sich Israel leisten, nicht zu reagieren? Oder muss die Frage eher lauten: Kann es sich Israel leisten zu reagieren? Denn der Gazakrieg tobt, die Streitkräfte sind beschäftigt. Die Offensive in Rafah im Süden des Gazastreifens steht im Raum. „Wir können nicht noch eine Front brauchen“, sagt Pinko. Es sei zwar fast nicht möglich, im Nahen Osten Prognosen zu treffen. „Aber ich halte eine harte Reaktion Israels für sehr unwahrscheinlich. Eher wird es keine geben oder eine sehr softe, also zum Beispiel eine Cyberattacke auf den Iran oder einen Angriff auf iranische Infrastruktur in Syrien oder im Libanon.“
Ein Gamechanger sei der direkte Angriff aus Teheran auf Israel ohnehin nicht gewesen. „Ja, der Iran hat jetzt direkt angegriffen. Bisher haben die Revolutionswächter immer andere geschickt, die für sie gestorben sind. Es war stets ein indirekter Krieg.“Aber, räumt Pinko ein: „Entspannung ist angesagt. Da kamen 300 Drohnen und Raketen aus dem Iran. An allen anderen Tagen wehren wir ungefähr 200 Raketen ab, die die Hisbollah aus dem Libanon auf Israel abfeuert. Das ist unsere Realität seit dem 7. Oktober.“Israel habe die Kapazität, auf all das zu reagieren. Aber es sei nicht klug, das auch in vollem Umfang zu tun. Für die Sicherheit Israels sei es viel wichtiger, die Hamas unschädlich zu machen. „Das hat oberste Priorität“, ist Pinko überzeugt.
Neben dem Ringen um eine militärische Reaktion hat der israelische Außenminister Israel Katz nach eigenen Worten eine „politische Offensive“gegen den Iran gestartet. „Ich habe heute Morgen Briefe an 32 Staaten geschickt und mit Dutzenden Außenministern und führenden Repräsentanten auf der Welt gesprochen“, schrieb er am Dienstag auf der Plattform X (vormals Twitter). Dabei habe er dazu aufgerufen, Sanktionen gegen das iranische Raketenprogramm zu verhängen und die Revolutionsgarden der Islamischen Republik zu einer Terrororganisation zu erklären. Dies sei ein Weg, Teheran zu bremsen und zu schwächen. „Der Iran muss jetzt gestoppt werden – bevor es zu spät ist.“
EU-Chefdiplomat Josep Borrell sagte am Dienstagabend nach einer Videokonferenz der EU-Außenminister, dass man zum Beispiel Handelsbeschränkungen ausweiten wolle, um dem Iran den Bau von Raketen zu erschweren. Zudem sei geplant, die Lieferung von Drohnen und Raketen an Verbündete in der Region ins Visier zu nehmen. Für beide Maßnahmen soll eine Sanktionsregelung ausgeweitet werden, die nach Beginn der iranischen Unterstützung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine mit der Lieferung von Drohnen eingerichtet wurde. Borrell betonte, man sei sich einig, dass eine weitere Eskalation verhindert werden müsse.
„Eine Reaktion wäre richtig, aber unklug.“Eyal Pinko, ehem. Navy-Kommandeur