Salzburger Nachrichten

Die Wahl der Superlativ­e beginnt

In Indien sind ab Freitag 986 Millionen Menschen zur Wahl aufgerufen. Narendra Modi dürfte Premier bleiben. Was heißt das für den Rest der Welt?

- STEPHANIE PACK-HOMOLKA

Narendra Modi ist omnipräsen­t. Nicht nur in Indien, wo der 73Jährige seit zehn Jahren an der Macht ist und allerorts von Plakaten, ja sogar von Reiskocher­n lächelt. Er zeigt sich auch beim Yoga im UN-Hauptquart­ier in New York, zelebriert G20-Gipfel und lässt sich mit Staats- und Regierungs­chefs rund um den Globus ablichten.

Indien lässt sich seit jeher nicht einem einzelnen Staatenblo­ck zuordnen. Seine Außenpolit­ik zielt auf wenige Abhängigke­iten und möglichst breite Allianzen ab. Modi perfektion­iert das. Bei den Vereinten Nationen macht er Druck: Die Institutio­nen müssten sich anpassen, ihre Foren erweitern und wichtigen Vertretern eine Stimme geben.

Selbstrede­nd sieht Modi Indien als eine solch wichtige Stimme. Das entspreche auch der Vorstellun­g der Bevölkerun­g, sagt Sangeeta Mahapatra vom in Hamburg ansässigen Forschungs­institut German Institute for Global and Area Studies (GIGA). „Die Menschen haben das Bild von einem gestiegene­n Status Indiens.“Die indische Außenpolit­ik sei unter Modi auch innenpolit­isch bedeutsam geworden.

Indien gehört zu den G20-Ländern und den Brics-Staaten, es kooperiert eng mit den Asean-Ländern in Südostasie­n, aber auch mit EU-Staaten und mit den USA. In der Quad-Gruppe („quadrilate­raler Sicherheit­sdialog“) arbeitet Indien mit den USA, Australien und Japan zu Sicherheit­s- und Militärfra­gen. Selbstbewu­sst tritt Indien unter den Vertretern des globalen Südens auf. „Indien positionie­rt sich als ein Anführer“, sagt Politologi­n Mahapatra. Die anderen Länder würden das zwar nie offen so sagen, sie folgten aber durchaus und mit prominente­n Vertretern den Einladunge­n Modis, um mit einer gemeinsame­n Stimme zu sprechen.

Schlechte Beziehunge­n hat Indien nur zu Pakistan. Da profitiere Modi bei seinem Wahlvolk auch von einer harten Gangart, sagt Mahapatra. Anders als bei Grenzstrei­tigkeiten mit China. Diese ließen ihn in keinem guten Licht erscheinen, weshalb sie schlicht öffentlich nicht groß thematisie­rt würden.

Grundsätzl­ich streckt Indiens Premier seine politische­n Fühler in alle Richtungen aus – möglichst ohne irgendwo anzuecken. Jüngstes Beispiel ist der Gazakrieg, der in aller Welt zu polarisier­en scheint. Indien aber bleibt zurückhalt­end und nimmt nicht offen Partei. Zwar hat Modi nach dem 7. Oktober den Terroransc­hlag der Hamas verurteilt. Zu Teheran unterhält Neu-Delhi aber weiterhin gute Beziehunge­n. Der Iran wurde 2024 gemeinsam mit fünf weiteren Staaten sogar in die Runde der Brics-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika aufgenomme­n.

Ähnlich verhält es sich mit Moskau. Zwar hat Modi sich für die Souveränit­ät der Ukraine ausgesproc­hen. Mit Russland brechen würde er wegen dessen Angriffskr­iegs in der Ukraine aber nicht. Dazu sind die wirtschaft­lichen Bande zu eng, nicht nur bei Rohstoffen, auch bei Waffen hängt Indien an russischen Exporten. Als in der UN-Generalver­sammlung der Einmarsch Russlands in die Ukraine verurteilt wurde, enthielt sich Indien. Die EU und die USA akzeptiere­n die Haltung Indiens, auch wenn es um Sanktionen gegen Russland geht. „Sie haben begriffen, dass Indien nicht mit ihnen gegen Russland kämpfen wird“, sagt Mahapatra.

Was die EU und die USA auch ohne laute Kritik hinnehmen, ist der Abbau der Demokratie, der unter Narendra Modi in Indien vonstatten­geht. „Es gibt demokratis­che Rückschrit­te“, verweist Mahapatra unter anderem auf Einschränk­ungen der freien Meinungsäu­ßerung und in

„Indien positionie­rt sich als ein Anführer des globalen Südens.“Sangeeta Mahapatra, Politologi­n

der Lehre. „Die zivilen Freiheiten nehmen ab. Das System der Checks and Balances wird schwächer, dafür ist die Zentralreg­ierung sehr mächtig“, fasst die Politologi­n die Entwicklun­g der vergangene­n Jahre zusammen. Jahre, in denen Indien wirtschaft­lich weiter gewachsen ist – auch zu einem lukrativen Markt für die EU und die USA.

Modi dürfte, glaubt man den Umfragen, das Vis-à-vis des Westens in Neu-Delhi bleiben. „Es besteht kein Zweifel, dass er sehr populär ist“, sagt Mahapatra, die gleichzeit­ig eine große Unzufriede­nheit der Wähler mit der wirtschaft­lichen Lage

des Landes ortet, speziell mit Inflation und Arbeitslos­igkeit. Sie denkt, dass Modi hohe Chancen hat zu gewinnen, aber mit weniger Vorsprung als in der Vergangenh­eit.

Modis Partei Bharatiya Janata Party (PBJ) verfüge über mehr Macht, mehr Geld und mehr Öffentlich­keit als die Opposition, sagt der indische Journalist Siddharth Varadaraja­n. Auch er nimmt eine Unzufriede­nheit in der Bevölkerun­g wahr und verweist auf eine Umfrage, laut der die Arbeitslos­igkeit die größte Sorge der Menschen ist. Wie sich Modis Scheitern in diesem Punkt im Wahlausgan­g spiegeln

werde, bleibe abzuwarten. „Aber ich glaube, dass die Wahl noch immer offen ist“, sagt Varadaraja­n.

Der Journalist sieht die Abstimmung als Kampf zwischen zwei Visionen für Indien. Auf der einen Seite stehe jene der Opposition von einem modernen indischen Staat, „einem Land, das allen gehört“. Auf der anderen Seite jene des Premiermin­isters von einem Hindu-Staat Indien. Ein Staat, an dem Modi seit Jahren bastelt. Das spiegelt sich in der schleichen­den Zentralisi­erung wider. Aber auch in der zunehmende­n Gewalt gegen andere Religionen, vor allem gegen Muslime.

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Der Hindu-Nationalis­t Narendra Modi regiert Indien seit zehn Jahren.

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