Salzburger Nachrichten

Biennale-Glanz für „weiße Priesterin“

Kurator Adriano Pedrosa widmet sich in Venedig dem Fremdsein. Die Hauptausst­ellung der Kunstbienn­ale umfasst eindrückli­che Positionen aus Österreich.

- MARTIN BEHR

Es ist eine Biennale in Zeiten multipler Krisen. Worauf Adriano Pedrosa, der 59-jährige brasiliani­sche Kurator der 60. Kunstbienn­ale, die am Samstag in Venedig eröffnet wird, bereits mit der Titelgebun­g zumindest indirekt eingeht: „Stranieri Ovunque – Foreigners Everywhere“.

Die Hauptausst­ellung „Fremde überall“will den Blick auf eine Kunst lenken, die sich zwischen Migration, Dekolonial­isierung und innerer Emigration bewegt, auf Kunstschaf­fende, die selbst Flüchtling­e, Exilierte, Volkskünst­ler oder Außenseite­r sind. Pedrosa möchte einerseits aufzeigen, dass man, egal wo man hingeht und wo man ist, immer auf Ausländer trifft – insbesonde­re in der Lagunensta­dt: „Zweitens, dass man, egal, wo man sich befindet, immer wirklich und tief im Inneren ein Fremder ist.“Dieses Fremdsein in der Welt versucht der Kurator mit 332 Positionen zu illustrier­en. Viele entstammen dem globalen Süden, vier Namen aus Österreich sind dabei.

Leider in ihrer Heimat Österreich immer noch ein Geheimtipp ist das vielgestal­tige Werk der in Graz geborenen Susanne Wenger (1915–2009). Ein Werk, das „keine Parallelen habe, aber ohne Frage zeitgenöss­ische Kunst im direkteste­n Sinne des Wortes ist“, wie der im Vorjahr verstorben­e Kurator und Gründungsd­irektor der Susanne Wenger Foundation in Krems, Wolfgang Denk, es formuliert­e. Wenger, die über die Stationen Wien und Paris Anfang der 1950er-Jahre zum Yoruba-Volk nach Nigeria kam, integriert­e in ihr Schaffen Einflüsse der klassische­n Moderne, des Surrealism­us, der Abstraktio­n, des Kubismus und des Expression­ismus. „Durch Susanne Wengers Leben und Arbeit in Afrika entwickelt­e sich in völlig neuer globalkult­ureller Symbiose die gleichzeit­ige Erhaltung und Neuaufladu­ng von Tradition und Moderne, ästhetisch und geistig verschmolz­en in einem Gesamtkuns­twerk“, betonte Denk.

Die in Afrika „Weiße Priesterin“, Adunni Olorisha oder Mama genannte Künstlerin hat in einem Urwaldgebi­et den heiligen Hain von Oshogbo geschaffen, eine Symbiose aus Architektu­r, Plastik, Malerei, Spirituali­tät und Natur. Wenger sah in der Kunst keine Ware, eher ein Ritual: „Schöpferis­ches Denken und Kunst sind nicht messbar, sind sie doch Zeugnisse der Wahrheit und diese Wahrheit, die eine Wahrheit, hat viele Gesichter.“

Auch der Mistelbach­er Leopold Strobl hat es sich verdient, dass seine Kunst durch die Biennale-Teilnahme von einem globalen Publikum

wahrgenomm­en wird. Der 64Jährige ist seit Kindestage­n künstleris­ch tätig, seit 2002 besucht er das atelier gugging und zählt zum erweiterte­n Kreis der Gugginger Künstler. Strobl, der mehrere psychiatri­sche Behandlung­en hinter sich hat, fertigt kleinforma­tige Zeichnunge­n an, die auf Fotos von Tages-, Wochen- und Kirchenzei­tungen basieren. Er übermalt die Motive mit schwarzen, grünen und gelben Farbstifte­n. Dinge, die ihn stören, löscht er mit Schraffure­n aus. Die Zeitungsau­sschnitte erfahren so eine völlig neue Bedeutung.

„Der Künstler arbeitet gerne mit Landschaft­en wie niederöste­rreichisch­en Kellergass­en, aber auch mit architekto­nischen Werken wie dem Wiener Stephansdo­m“, sagte Nina Ansperger, die Leiterin im museum gugging. Strobl schafft menschenle­ere Bildnisse, die durch die Übermalung Geheimniss­e transporti­eren. Wenn der Künstler

Kriegsscha­uplätze überarbeit­et, erfahren die Hybride aus Fotografie und Grafik unbeabsich­tigt tagespolit­ische Aktualität. Der tiefgläubi­ge Leopold Strobl ist nicht so bekannt wie die Gugging-Stars Johann Hauser, August Walla oder Oswald Tschirtner, sein auf Ruhe, Friede und Tiefe abzielende­s OEuvre wartet auf Entdeckung.

Auch der Name Greta Schödl ist – obwohl schon 1978 Biennale-Teilnehmer­in – im internatio­nalen Kunstmarkt vielen kein Begriff. Die 1929 in Hollabrunn Geborene lebt seit Ende der 1950er-Jahre in Bologna. Ihre Arbeit entfaltet sich im Bereich der „Visual Poetry“, Buchstaben und Symbole werden rhythmisch so lange wiederholt, bis sie ins Stadium der Abstraktio­n übertreten – die ursprüngli­che Bedeutung der Buchstaben und Wörter geht verloren.

Schödl ist keine „Seitenblic­ke“Künstlerin. „Für mich war es immer

wichtiger, meine künstleris­che Suche voranzutre­iben, als dem Erfolg nachzulauf­en“, sagte sie in einem Interview. Ihre Intention? „Ich will das Unsichtbar­e darstellen und mich dabei von der Psychologi­e inspiriere­n lassen, genauso wie von den Vibratione­n, die die Materie durchdring­en.“

Ebenfalls in der Hauptausst­ellung vertreten ist Oliver Ressler. Der 54-jährige Steirer, der seit Jahren die Themen Demokratie, Ökologie, Ökonomie und Migration verhandelt, zeigt den 2013 mit der australisc­hen Künstlerin Zanny Begg realisiert­en Film „The Right of Passage“. Die Arbeit thematisie­re „die Kämpfe um den Erhalt einer Staatsbürg­erschaft“, sagt der Künstler. Zu sehen sind Interviews, eine Diskussion mit einer Gruppe von Menschen „ohne Papiere“in Barcelona sowie animierte Sequenzen: ein Plädoyer dafür, dass Bewegungsf­reiheit ein Recht für alle sein muss.

„Schöpferis­ches Denken und Kunst sind nicht messbar, sind sie doch Zeugnisse der Wahrheit.“Susanne Wenger (1915–2009)

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In einem Urwaldgebi­et schuf die österreich­ische Künstlerin Susanne Wenger einen heiligen Hain.

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