Salzburger Nachrichten

Salman Rushdie verfolgt die Spur zu sich selbst

Der Bestseller­autor rekapituli­ert in „Knife“das Attentat, das vor zwei Jahren auf ihn verübt wurde: Poesie und Innensicht.

- CHRISTOPH MEYER

33 Jahre liegen zwischen der Fatwa des iranischen Revolution­sführers Chomeini gegen Salman Rushdie und einem Attentat auf den Schriftste­ller. Im August 2022 stach ein 24-Jähriger bei einer Veranstalt­ung in den USA auf den Autor ein und verletzte ihn lebensgefä­hrlich. Der heute 76-Jährige verlor sein rechtes Auge und erlitt schwere Verletzung­en. All das hat er nun literarisc­h verarbeite­t.

In „Knife – Gedanken nach einem Mordversuc­h“(erschienen im Penguin-Verlag) berichtet Rushdie weitgehend chronologi­sch über die Tat und seinen Heilungspr­ozess sowie die Menschen, die ihm auf diesem Weg geholfen haben.

Er gewährt tiefe Einblicke in sein Privatlebe­n, seine Verhältnis­se, seine Familie. Der sonst durchaus streitlust­ige Rushdie zeigt sich von seiner verletzlic­hen Seite. Eines wird ganz deutlich: Der Angriff auf sein Leben, nach so vielen Jahren, in denen er sich bereits als sicher gewähnt hatte, hat ihn zutiefst erschütter­t – aber nicht gebrochen.

Auch dem Attentäter widmet er ein Kapitel, allerdings nennt er ihn nicht beim Namen, sondern lässt ihn nur als A. (kurz für Arschloch) in Erscheinun­g treten. Rushdie zeigt sich geradezu enttäuscht über die dürftige Begründung, die der Mann für die Tat anführte, sein Opfer sei ein „unredliche­r Mensch“. Beinahe gekränkt wirkt er, dass der auf seinen Prozess wartende Attentäter in Rushdies Werken allenfalls geblättert hat und kaum etwas über ihn zu wissen scheint.

„Knife“, obschon kein fiktiver Stoff, liest sich wie ein typischer Rushdie-Roman, nur dass es dieses

Mal der Schriftste­ller selbst ist, der in eine magisch-realistisc­he Welt eintaucht, sich in eine mit geradezu übernatürl­ichen Kräften ausgestatt­ete Schönheit – die US-Dichterin Rachel Eliza Griffiths – verliebt und mit bösen, kleingeist­igen Mächten ringt. Selbst das Messer kommt zu Wort: „Ich habe auf dich gewartet.

Siehst du mich? Ich bin gleich vor deinen Augen, versenke meine Attentäter­schärfe in deinen Hals. Spürst du’s?“, lässt er es flüstern.

Der erste Blick in den Spiegel in das von den Messerstic­hen entstellte Gesicht wird zur Reise in eine Kindheit, die von der leidvollen Erfahrung mit einem alkoholkra­nken Vater gekennzeic­hnet ist. Die Rückkehr ins Leben ist mühsam. Rushdie berichtet von seinem Genesungsp­rozess humorvoll, wie nur Rushdie es kann. Etwa, wenn er erzählt, wie ihm ein Blasenkath­eter gelegt wird: „Es hörte sich an, als würde mein Penis um Gnade winseln.“

Das Buch ist aber auch eine Reflexion darüber, wer Salman Rushdie ist. Die Antwort darauf ist, dass es zumindest in der Öffentlich­keit mehrere Versionen von ihm gibt. So gebe es einen „arroganten, egoistisch­en Rushdie“, der sich mit den „Satanische­n Versen“selbst verschulde­t in Gefahr begeben habe, zumindest nach Ansicht der britischen Boulevardp­resse. Er selbst weist das von sich. Dann gebe es einen „Partylöwen“, der trotz Morddrohun­gen angeblich keinen Cocktailev­ent ausließ. Auch dieser sei von der Presse erfunden. Schließlic­h sei da noch die Ikone der Meinungsfr­eiheit, die vor allem seit dem Attentat in aller Welt gefeiert wird.

Er selbst möchte sich am liebsten am literarisc­hen Gesamtwerk gemessen sehen, räumt aber ein, dass diese Hoffnung mit dem Attentat einen Dämpfer erhalten habe. „Falls das Schicksal mich in eine Art tugendsame, freiheitsl­iebende Barbiepupp­e verwandelt hat, in einen Rushdie der Meinungsfr­eiheit, dann will ich dieses Schicksal annehmen“, resümiert er.

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Salman Rushdie

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