Salman Rushdie verfolgt die Spur zu sich selbst
Der Bestsellerautor rekapituliert in „Knife“das Attentat, das vor zwei Jahren auf ihn verübt wurde: Poesie und Innensicht.
33 Jahre liegen zwischen der Fatwa des iranischen Revolutionsführers Chomeini gegen Salman Rushdie und einem Attentat auf den Schriftsteller. Im August 2022 stach ein 24-Jähriger bei einer Veranstaltung in den USA auf den Autor ein und verletzte ihn lebensgefährlich. Der heute 76-Jährige verlor sein rechtes Auge und erlitt schwere Verletzungen. All das hat er nun literarisch verarbeitet.
In „Knife – Gedanken nach einem Mordversuch“(erschienen im Penguin-Verlag) berichtet Rushdie weitgehend chronologisch über die Tat und seinen Heilungsprozess sowie die Menschen, die ihm auf diesem Weg geholfen haben.
Er gewährt tiefe Einblicke in sein Privatleben, seine Verhältnisse, seine Familie. Der sonst durchaus streitlustige Rushdie zeigt sich von seiner verletzlichen Seite. Eines wird ganz deutlich: Der Angriff auf sein Leben, nach so vielen Jahren, in denen er sich bereits als sicher gewähnt hatte, hat ihn zutiefst erschüttert – aber nicht gebrochen.
Auch dem Attentäter widmet er ein Kapitel, allerdings nennt er ihn nicht beim Namen, sondern lässt ihn nur als A. (kurz für Arschloch) in Erscheinung treten. Rushdie zeigt sich geradezu enttäuscht über die dürftige Begründung, die der Mann für die Tat anführte, sein Opfer sei ein „unredlicher Mensch“. Beinahe gekränkt wirkt er, dass der auf seinen Prozess wartende Attentäter in Rushdies Werken allenfalls geblättert hat und kaum etwas über ihn zu wissen scheint.
„Knife“, obschon kein fiktiver Stoff, liest sich wie ein typischer Rushdie-Roman, nur dass es dieses
Mal der Schriftsteller selbst ist, der in eine magisch-realistische Welt eintaucht, sich in eine mit geradezu übernatürlichen Kräften ausgestattete Schönheit – die US-Dichterin Rachel Eliza Griffiths – verliebt und mit bösen, kleingeistigen Mächten ringt. Selbst das Messer kommt zu Wort: „Ich habe auf dich gewartet.
Siehst du mich? Ich bin gleich vor deinen Augen, versenke meine Attentäterschärfe in deinen Hals. Spürst du’s?“, lässt er es flüstern.
Der erste Blick in den Spiegel in das von den Messerstichen entstellte Gesicht wird zur Reise in eine Kindheit, die von der leidvollen Erfahrung mit einem alkoholkranken Vater gekennzeichnet ist. Die Rückkehr ins Leben ist mühsam. Rushdie berichtet von seinem Genesungsprozess humorvoll, wie nur Rushdie es kann. Etwa, wenn er erzählt, wie ihm ein Blasenkatheter gelegt wird: „Es hörte sich an, als würde mein Penis um Gnade winseln.“
Das Buch ist aber auch eine Reflexion darüber, wer Salman Rushdie ist. Die Antwort darauf ist, dass es zumindest in der Öffentlichkeit mehrere Versionen von ihm gibt. So gebe es einen „arroganten, egoistischen Rushdie“, der sich mit den „Satanischen Versen“selbst verschuldet in Gefahr begeben habe, zumindest nach Ansicht der britischen Boulevardpresse. Er selbst weist das von sich. Dann gebe es einen „Partylöwen“, der trotz Morddrohungen angeblich keinen Cocktailevent ausließ. Auch dieser sei von der Presse erfunden. Schließlich sei da noch die Ikone der Meinungsfreiheit, die vor allem seit dem Attentat in aller Welt gefeiert wird.
Er selbst möchte sich am liebsten am literarischen Gesamtwerk gemessen sehen, räumt aber ein, dass diese Hoffnung mit dem Attentat einen Dämpfer erhalten habe. „Falls das Schicksal mich in eine Art tugendsame, freiheitsliebende Barbiepuppe verwandelt hat, in einen Rushdie der Meinungsfreiheit, dann will ich dieses Schicksal annehmen“, resümiert er.