Österreichische Juristinnen sind Kriegsverbrechen auf der Spur
Die Arbeitslast beim Internationalen Strafgerichtshof ist mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine stark gestiegen. Schon drei Juristinnen aus Österreich arbeiten in Den Haag.
Vor zwei Wochen ist Oberstaatsanwältin Elisabeth Täubl von der Korruptionsstaatsanwaltschaft nach Den Haag zum Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) übersiedelt. Und obwohl die Behörde in der Dampfschiffstraße in Wien-Landstraße für heimische Verhältnisse schon ziemlich gut abgesichert ist, macht Täubl an ihrem neuen Arbeitsplatz nochmals ganz andere Erfahrungen mit Sicherheitsvorkehrungen. Sie wurde vom Justizministerium für ein Jahr als Nationale Expertin entsandt, mit Option auf Verlängerung. Die 44-Jährige wird im Büro von Chefankläger Karim Ahmad Khan in der Kommunikation tätig sein. Auch in Wien war sie das Sprachrohr der Anklagebehörde.
Über mangelnde Beschäftigung wird Täubl in nächster
Zeit nicht klagen. Denn die Arbeitslast beim IStGH, der weltweit für die Ahndung von Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen und Völkermord zuständig ist, stieg mit den Konfliktherden zuletzt stark an. Ihr neuer Chef hat nach dem Beginn des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine im Februar 2022 nun auch mit dem Krieg Israels gegen die Hamas alle Hände voll zu tun.
Wie berichtet, befindet sich ein Mann ganz oben auf der Fahndungsliste des Internationalen Strafgerichtshofes: Gegen Russlands Präsident Wladimir Putin wurde Haftbefehl erlassen wegen systematischer Entführungen von ukrainischen Kindern nach Russland. Reist Putin in einen der 124 IStGH-Vertragsstaaten, so ist der Machthaber dort festzunehmen und auszuliefern.
Zurück in den Westen der Niederlande: Eine andere Staatsanwältin aus Wien befindet sich bereits seit 1. Oktober 2022 dort. Die Kinderrechtsexpertin Christine Gödl arbeitet ebenfalls als Nationale Expertin. Für beide Frauen bezahlt die Republik Österreich das Gehalt.
Einzig die Oberösterreicherin Michaela Wagner ging einen anderen Weg. Die 36-Jährige war zuvor an der Kepler-Universität Linz im Institut für internationales Strafrecht.
Von dort bewarb sie sich in Den Haag. „Ich bin Österreichs einzige direkte Angestellte beim IStGH“, erzählt Wagner. Und das seit fast zehn Jahren. Die ersten zwei Jahre war sie in der Staatsanwaltschaft tätig, seit 2017 arbeitet Michaela Wagner als Legal Officer (Rechtsberaterin) in den Kammern. „Ich war von der Arbeit so fasziniert, dass ich einfach bleiben musste“, sagt die Oberösterreicherin. Diese Kombination aus Strafrecht und internationalem
Recht habe sie gefesselt. „Es ist ein Unikat, einen permanenten Gerichtshof zu haben, an dem so extrem schwere Straftaten verfolgt werden.“Derzeit arbeitet Wagner als „Trial Team Leader“an einem Fall in der Zentralafrikanischen Republik. „Ich bereite Entscheidungsentwürfe vor, analysiere Beweise, berate die Richter in prozeduralen und materiellrechtlichen Fragen, manage die Gerichtsmannschaft und die Kommunikation mit den Parteien“, erzählt Wagner.
An neun verschiedenen Fällen hat sie bisher mitgewirkt. Der bekannteste ist ein Fall aus Uganda. Dominic Ongwen war ein ehemaliger Kindersoldat, Kriegsverbrecher und Anführer der Lord’s Resistance Army, einer Rebellengruppe, die in Norduganda operierte. Ongwen wurde vom IStGH wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in 70 Fällen angeklagt und in 61 Fällen für schuldig erklärt. Im Mai 2021 wurde er zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt.
„Ich war selbst vor Ort, um Beweismittel zu sammeln“, sagt Wagner. Es gebe in dem Fall eine große Menge an Opfern, die entschädigt werden sollen. Wehrlosen zu helfen sei immer schon ihr Antrieb gewesen, überhaupt Jus zu studieren. „Man sieht so viel Leid. Für mich ist von Bedeutung, dass ich Opfern Gerechtigkeit verschaffen kann, denen jahrelang Unrecht geschehen ist.“Es sei beeindruckend, welche Mühen diese Menschen auf sich nehmen, um als Zeugen vor Gericht in Den Haag auszusagen und zur Aufarbeitung von Konflikten im eigenen Land beizutragen. Die Opfer seien in ihren Heimatstaaten teilweise extremen Repressalien ausgesetzt. Verglichen mit einem österreichischen Strafverfahren gebe es viele Schutzmechanismen, um die Opfer vor der Öffentlichkeit zu schützen – vom teilweisen Schwärzen von Dokumenten bis zu Aussagen im Gerichtssaal hinter einem Vorhang. Vor allem die IStGH-Ermittler leben gefährlich. Wenn sie sich beispielsweise in der Ukraine an der Front ein Bild von den Gräueltaten machen, reisen sie dorthin nur mit Sicherheitsleuten.
Der Internationale Strafgerichtshof habe schon abschreckende Wirkung auf die Machthaber in der Welt, dass Verbrechen nicht ungestraft bleiben, sagt Wagner. „Das Strafgericht hat einen präventiven Effekt. Es ist ein Beitrag zum internationalen Frieden.“Aber natürlich hat der IStGH auch mit Hindernissen zu kämpfen. Der fehlende Wille von Staaten, sich seiner Zuständigkeit zu unterwerfen oder Amtshilfe zu leisten, sowie knappe finanzielle und personelle Ressourcen erschweren seine Arbeit. Ob Wagner beim IStGH in Pension gehen wird? „Der Job ist sehr spannend. Aber mich reizt es auch sehr, selbst Richterin zu werden.“
Juristin sammelte selbst Beweise in Uganda