Klimakrise hat Einfluss darauf, wie wir sterben
An Hitzetagen steigt die Zahl der Todesfälle rapide. Am meisten gefährdet sind Ältere, Demente und Tumorpatienten – sowie Frauen.
Aufgrund des Klimawandels steigt die Anzahl der Tropennächte und Hitzetage stetig an – auch in Österreich. Dass es damit zu mehr hitzebedingten Todesfällen kommt, zeigen Daten der Agentur für Gesundheit und Ernährung (Ages): Laut deren Schätzungen umfasste 2023 die hitzeassoziierte Übersterblichkeit 53 Todesfälle; der Negativrekord datiert aus dem Jahr 2018 mit 550 zusätzlichen Todesfällen durch Hitze – die in dem Jahr auch die Zahl der Verkehrstoten (409) übertroffen haben.
Wie wirkt sich die Klimakrise konkret auf sterbenskranke Menschen aus? In einer Woche, in der es 30 Grad hat oder mehr, stirbt ein Fünftel seiner Patientinnen und Patienten, berichtet der Palliativmediziner Dietmar Weixler: „In einer Hitzewoche des Sommers 2022 starben pro Woche acht Menschen – von rund 40 Patientinnen und Patienten, die ich pro Woche im Schnitt betreue.“In einer nicht allzu heißen Woche sterben im Schnitt 2,6 Patientinnen und Patienten, erzählt Weixler, der ganzjährig mit einem mobilen Palliativteam unterwegs ist.
„Für die Teams ist das sehr belastend“, sagt der Mediziner. Denn ab vier Todesfällen pro Woche kommt es in Palliativteams oftmals zu Reizungen und Spannungen. Das ergab eine Umfrage von Monika Müller: Die Pädagogin war eine Vorreiterin der Palliativarbeit in Deutschland.
Weixler betont aber auch, er könne nur aus seiner persönlichen Erfahrung sprechen, und die von ihm genannten Zahlen – mehr als drei Mal so viele Todesfälle pro Woche – seien womöglich nicht repräsentativ. Denn hitzebedingte Todesfälle würden in der Palliativmedizin nicht gesondert erfasst, sagt Weixler, der auch Präsident der Österreichischen Palliativgesellschaft ist: „Es gibt kaum Studien dazu. Das Thema ist definitiv noch zu wenig erforscht und in der Ärzteschaft erst wenig angekommen.“Doch das scheint sich gerade zu ändern. In einem Bericht der Lancet-Gesellschaft heißt es: „Alles, und vor allem der Tod, muss im Kontext der Klimakrise gedacht werden.“
Aus einer australischen Studie aus 2022 geht hervor, dass Hitzewellen zu einer fünfprozentig höheren Sterblichkeit führen. Gefährdet sind vor allem Ältere, chronisch und schwer kranke Menschen. Auch sozioökonomisch schwächere Personen und jene, die in Städten leben, haben ein höheres Risiko.
„Die Studie zeigt auch, dass während Hitzewellen vor allem Menschen mit Herz-Kreislauf- und Atemproblemen, psychischen Erkrankungen und Tumorerkrankungen sterben sowie Personen ab 60 Jahren.“Die Studie lege auch nahe, dass Frauen eher gefährdet seien, im Zuge von Hitzewellen zu sterben, als Männer, sagt Weixler – warum das so sein könnte, dafür habe er keine Erklärung.
Als vulnerabelste Gruppe identifiziert Weixler Menschen mit Demenz, denn: „Ab 28 Grad Außentemperatur nimmt die kognitive Leistung rapide ab.“Der Palliativmediziner erzählt, wie er und sein Team vorigen Sommer eine 80-jährige demenzkranke Frau an einem
Hitzetag in einem Feld gefunden haben. „Die Frau trug nur eine leere Handtasche mit sich und wir haben sie rasch mit kühlender Kleidung bedeckt.“Sie wurde mit 40 Grad Körpertemperatur ins Spital gebracht, noch im Krankenwagen stabilisierte sich ihr Zustand. Weixler sagt: „Sie war wieder ansprechbar, das war ein großes Glück.“
Alzheimer-Erkrankte seien oft nicht dazu in der Lage, sich mitzuteilen und zu sagen, dass ihnen heiß sei. „Hier muss man genau beobachten und danach agieren.“Seine Visiten führen Weixler oft in die Wohnungen seiner Patientinnen und Patienten. Sein mobiles Team hat Ventilatoren zur Verfügung, diese können Patientinnen und Patienten Erleichterung verschaffen – vor allem bei Atemnot, aber auch bei Hitzegefühl. Was können Angehörige tun, um das Leid zu mildern? „Schwer kranke Menschen sollten in abgedunkelten, kühlen Räumen liegen – das ist ein Tipp, den Betroffene oft instinktiv befolgen.“
Vorsicht geboten sei bei entwässernden Medikamenten wie Blutdrucksenkern oder Psychopharmaka. Wie viel Wasser Patientinnen und Patienten an Hitzetagen trinken sollten, ist aber keine einfach zu beantwortende Frage, denn die Flüssigkeitszufuhr wird in der Palliativmedizin restriktiv gehandhabt: „Studien an Tumorerkrankten haben gezeigt, dass in den letzten 14 Lebenstagen eines Menschen durch Flüssigkeitstherapie das Leben nicht verlängert werden kann, aber die quälenden Symptome der Atmungsorgane zunehmen“, sagt Weixler. Trinke eine Patientin oder ein Patient zu viel, führe das oftmals zu Problemen wie Atemnot. „Dennoch muss man bei hohen Außentemperaturen schauen, dass der Flüssigkeitshaushalt im Körper stabil bleibt“, betont er.
Zudem beobachtet Weixler, dass Angehörige schwer kranke Familienmitglieder auch an Hitzetagen gern zudecken. Bei hohen Temperaturen sei aber „unbedingt darauf zu achten, dass Patientinnen und Patienten nicht zu warm wird“. Er empfiehlt, sie nur mit einem Leintuch oder tagsüber auch kurzzeitig mit feuchten Tüchern zu bedecken.
Die meisten Menschen sterben laut Statistik Austria an ihrem Wohnort oder im Spital. In medizinischen Einrichtungen wären Anpassungen an den Klimawandel „dringend erforderlich“, sagt Weixler. So etwa gebe es in einigen Einrichtungen keine Klimaanalagen.
Die genannte Studie aus Australien zeigt aber auch, dass Hitzeperioden bei Kindern nicht zu mehr Todesfällen führen. Allerdings hat die Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) just am Dienstag betont, dass der sich noch entwickelnde Körper von Kindern auf den Klimawandel besonders empfindlich reagiere. ÖGKJ-Vorstandsmitglied Sabine Scholl-Bürgi (MedUni Innsbruck): „Kinder werden daher verstärkt von Atemwegserkrankungen durch Luftverschmutzung, hitzebedingten Krankheiten, Mangelernährung und psychischen Problemen wie posttraumatischen Belastungsstörungen durch Wetterkatastrophen betroffen sein.“
„Der Tod muss im Kontext der Klimakrise gedacht werden.“