Deutsches Cannabisgesetz treibt auch seltsame Blüten
Wegen der Cannabisfreigabe in Deutschland gab es bereits Freisprüche trotz starken Verdachts und mildere Strafen für Drogenabhängige. Die Polizei in Bayern registriert Zustrom aus Österreich.
PASSAU. Noch ist gar nicht das gesamte Cannabispaket der deutschen Ampelregierung in Kraft, denn Kiffer-Clubs werden erst ab Juli erlaubt. Doch schon kurz nach dem 1. April hatte die Freigabe von Besitz und Konsum kleiner Mengen der Droge im Nachbarland unerwartet massive Folgen.
So musste die Justiz allein in Bayern wegen der parallel eingeführten Amnestieregelung 24 verurteilte Häftlinge vorzeitig freilassen, wie das Justizministerium in München auf SN-Anfrage erklärte. Gerichte mussten Angeklagte trotz erheblicher Verdachtslage freisprechen oder trotz eines Geständnisses zu milderen Strafen verurteilen. Doch auch die Polizei ist auf mehreren Ebenen gefordert. So werden mehr Drogenfahrten im Straßenverkehr und dadurch eine höhere Unfallgefahr befürchtet, wie das Bayerische Innenministerium den SN erläuterte. „Aus unserer Sicht sind die Cannabisregeln der Bundesregierung nicht durchdacht. Wir müssen leider mit einem erheblichen Anstieg der Fahrten unter Drogeneinfluss rechnen“, so Michael Siefener, einer der Sprecher des Innenministeriums in München. Und nicht zuletzt gab es bereits die ersten Fälle an der Grenze zu Österreich, wo Personen mit Cannabis erwischt wurden, weil diese offenbar glaubten, die Einreise mit der Droge nach Deutschland sei jetzt legal.
Der wohl krasseste Fall wurde vor wenigen Tagen aus Mannheim gemeldet. In der Großstadt in BadenWürttemberg sah sich eine Kammer des Landgerichts gezwungen, den Angeklagten nach einem großen Drogenschmuggel freizusprechen. Obendrein erhielt der 36-Jährige eine Entschädigung für die Untersuchungshaft zugesprochen. Es ging um 450 Kilogramm Marihuana (das sind getrocknete Blüten und blütennahe Blätter der Hanfpflanze Cannabis). Dem Angeklagten wurde vorgeworfen, 2020 die Drogen im Wert von 1,9 Millionen Euro von Spanien über Frankreich eingeschmuggelt zu haben. Auf die Spur des Mannes waren die Behörden durch die Auswertung verschlüsselter Chatnachrichten gekommen. Die Kommunikation über die Software Encro-Chat in kriminellen Netzwerken mit Zehntausenden Mitgliedern war seit 2020 großflächig in Europa überwacht worden, nachdem französischen und niederländischen Ermittlern ein Hackerangriff auf das System gelungen war. Weltweit hatte das zu 6558 Festnahmen geführt, darunter 197 „Ziele von hohem Wert“, wie die EU-Polizeibehörde Europol im Juli 2023 erklärte. Vermögen im Wert von fast 900 Millionen Euro wurde beschlagnahmt oder eingefroren.
Der deutsche Bundesgerichtshof in Karlsruhe entschied im März 2022, Encro-Chat-Nachrichten dürften nur zur Aufklärung schwerer Straftaten verwertet werden. Seit 1. April 2024 ist Cannabis in Deutschland nun rechtlich kein Betäubungsmittel mehr. Die Kombination aus beiden Aspekten habe zum Freispruch geführt, so das Landgericht Mannheim. Bei einer anderen Droge hätte demnach das Urteil anders ausfallen können.
Rechtskräftig ist der Freispruch in Mannheim noch nicht, die Staatsanwaltschaft hat Revision angekündigt. „Vielleicht überdenkt der Bundesgerichtshof ja seine Rechtsprechung“, sagte der Sprecher des Landgerichts Mannheim, Joachim Bock, den SN.
Die Bayerische Grenzpolizei Passau stellte in der ersten Aprilhälfte bereits 20 Cannabispflanzen sicher, die die Besitzer zuvor in Österreich erworben hatten. Sieben Männer (18 bis 60 Jahre) gingen demnach davon aus, dass die Einfuhr nach Deutschland jetzt erlaubt sei. Legal ist aber nur der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis für privaten Gebrauch und Konsum. Die Pflanzen wurden beschlagnahmt, gegen die Männer laufen nun Strafverfahren.
„Wir müssen mit erheblich mehr Fahrten und Unfällen unter Drogeneinfluss rechnen.“Innenministerium, Bayern