Weniger Bürokratie, mehr Kooperation
Der EU-Binnenmarkt soll weiterentwickelt werden. Wovon es mehr und wovon es künftig weniger braucht, loteten die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfeltreffen aus.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat der Wirtschaft eine Entlastung versprochen: 25 Prozent weniger Bürokratie hat sie im Herbst 2023 angekündigt, um kleine und mittlere Unternehmen zu entlasten. Ein Ziel, dessen Erreichen angesichts der Masse an Vorschriften und Berichtspflichten kaum messbar sein dürfte. Dennoch waren die 25 Prozent eine zentrale Forderung des Gipfels, auf dem die Staats- und Regierungschefs am Donnerstag beraten haben, wie sich der Binnenmarkt der EU weiterentwickeln soll. Es brauche einen „neuen europäischen Deal für die Wettbewerbsfähigkeit“.
Wie der aussehen könnte, hat der frühere italienische Ministerpräsident Enrico Letta in einem 147 Seiten starken Bericht ausgearbeitet. Gemeinsame Schulden für die militärische Aufrüstung, gemeinsame Regeln für die bisher national geregelten Kapitalmärkte, EU-Abgaben auf staatliche Subventionen zugunsten des fairen Wettbewerbs: Lettas Vorschläge sorgten für viel Diskussionsstoff – der Gipfel dauerte deutlich länger als erwartet.
Unter den Mitgliedsstaaten gibt es diverse Befindlichkeiten. Länder wie Irland und Estland, die mit steuerlichen Anreizen große Unternehmen ködern, sprachen sich etwa vehement gegen ein einheitliches EU-Steuerrecht aus. In Österreich ruft die gemeinsame Aufnahme von Schulden Widerstand hervor. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) verwies auf den mit rund 750 Milliarden Euro dotierten CoronaWiederaufbaufonds: „Wir haben uns schon einmal gemeinschaftlich verschuldet. Alle Mitgliedsstaaten zahlen jetzt hart an den Schulden und den Zinsen. Man sieht, dass das sehr nachhaltig den Handlungsspielraum einengt.“
Verbindliche Beschlüsse zur künftigen EU-Wirtschaftspolitik gab es nicht. Bis Juni 2025 soll eine neue Binnenmarktstrategie vorliegen. Die Wettbewerbsfähigkeit müsse angesichts „einer neuen geopolitischen Realität“gestärkt werden, um Europas Führungsrolle zu sichern, hieß es. Ratspräsident Charles Michel sprach von einer „fundamentalen Herausforderung“. Als konkretes Ziel nannte er die Schaffung eines Energiebinnenmarkts. Trotz der nötigen hohen Investitionen dürfe es aber kein „Beihilfen-Wettrennen mit dem Rest der Welt“geben, meinte Michel.
Der außerordentliche Gipfel zur Wettbewerbsfähigkeit war lange im Voraus geplant worden – wohl auch, um vor der EU-Wahl noch ein Zeichen zu setzen, welche Prioritäten sich die Mitgliedsstaaten in der nächsten Legislaturperiode von der neuen Kommission erwarten. Von der Leyen, die eine zweite Amtszeit anstrebt, identifizierte nach dem Gipfel vier wesentliche Handlungsaufträge. Einer ist die Vereinheitlichung der nationalen Finanzmärkte zu einer Kapitalmarktunion. Letta verwies in seinem Bericht darauf, dass jährlich 300 Milliarden Euro an Ersparnissen von Unionsbürgern ins Ausland umgeleitet würden, zu einem großen Teil in die USA. „Das ist Kapital, das für die Entwicklung unserer Unternehmen fehlt“, meinte von der Leyen. „In dem Moment, wo ich mehr Kapital am Markt habe, brauche ich weniger Förderungen vom Staat“, bekräftigte Nehammer, der von einer „Zukunftsfrage für den Wirtschaftsstandort“sprach.
Von der Leyen will zudem weitere Maßnahmen ausarbeiten lassen, um die stark gestiegenen Energiekosten für die Industrie wieder dauerhaft zu senken. Eine weitere Herausforderung sei, dem Arbeitskräftemangel entgegenzutreten. „Natürlich brauchen wir dafür legale Migration.“Als viertes Vorhaben nannte sie den Abschluss weiterer Freihandelsabkommen.