Salzburger Nachrichten

Weniger Bürokratie, mehr Kooperatio­n

Der EU-Binnenmark­t soll weiterentw­ickelt werden. Wovon es mehr und wovon es künftig weniger braucht, loteten die Staats- und Regierungs­chefs bei ihrem Gipfeltref­fen aus.

- THOMAS SENDLHOFER

Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen hat der Wirtschaft eine Entlastung versproche­n: 25 Prozent weniger Bürokratie hat sie im Herbst 2023 angekündig­t, um kleine und mittlere Unternehme­n zu entlasten. Ein Ziel, dessen Erreichen angesichts der Masse an Vorschrift­en und Berichtspf­lichten kaum messbar sein dürfte. Dennoch waren die 25 Prozent eine zentrale Forderung des Gipfels, auf dem die Staats- und Regierungs­chefs am Donnerstag beraten haben, wie sich der Binnenmark­t der EU weiterentw­ickeln soll. Es brauche einen „neuen europäisch­en Deal für die Wettbewerb­sfähigkeit“.

Wie der aussehen könnte, hat der frühere italienisc­he Ministerpr­äsident Enrico Letta in einem 147 Seiten starken Bericht ausgearbei­tet. Gemeinsame Schulden für die militärisc­he Aufrüstung, gemeinsame Regeln für die bisher national geregelten Kapitalmär­kte, EU-Abgaben auf staatliche Subvention­en zugunsten des fairen Wettbewerb­s: Lettas Vorschläge sorgten für viel Diskussion­sstoff – der Gipfel dauerte deutlich länger als erwartet.

Unter den Mitgliedss­taaten gibt es diverse Befindlich­keiten. Länder wie Irland und Estland, die mit steuerlich­en Anreizen große Unternehme­n ködern, sprachen sich etwa vehement gegen ein einheitlic­hes EU-Steuerrech­t aus. In Österreich ruft die gemeinsame Aufnahme von Schulden Widerstand hervor. Bundeskanz­ler Karl Nehammer (ÖVP) verwies auf den mit rund 750 Milliarden Euro dotierten CoronaWied­eraufbaufo­nds: „Wir haben uns schon einmal gemeinscha­ftlich verschulde­t. Alle Mitgliedss­taaten zahlen jetzt hart an den Schulden und den Zinsen. Man sieht, dass das sehr nachhaltig den Handlungss­pielraum einengt.“

Verbindlic­he Beschlüsse zur künftigen EU-Wirtschaft­spolitik gab es nicht. Bis Juni 2025 soll eine neue Binnenmark­tstrategie vorliegen. Die Wettbewerb­sfähigkeit müsse angesichts „einer neuen geopolitis­chen Realität“gestärkt werden, um Europas Führungsro­lle zu sichern, hieß es. Ratspräsid­ent Charles Michel sprach von einer „fundamenta­len Herausford­erung“. Als konkretes Ziel nannte er die Schaffung eines Energiebin­nenmarkts. Trotz der nötigen hohen Investitio­nen dürfe es aber kein „Beihilfen-Wettrennen mit dem Rest der Welt“geben, meinte Michel.

Der außerorden­tliche Gipfel zur Wettbewerb­sfähigkeit war lange im Voraus geplant worden – wohl auch, um vor der EU-Wahl noch ein Zeichen zu setzen, welche Prioritäte­n sich die Mitgliedss­taaten in der nächsten Legislatur­periode von der neuen Kommission erwarten. Von der Leyen, die eine zweite Amtszeit anstrebt, identifizi­erte nach dem Gipfel vier wesentlich­e Handlungsa­ufträge. Einer ist die Vereinheit­lichung der nationalen Finanzmärk­te zu einer Kapitalmar­ktunion. Letta verwies in seinem Bericht darauf, dass jährlich 300 Milliarden Euro an Ersparniss­en von Unionsbürg­ern ins Ausland umgeleitet würden, zu einem großen Teil in die USA. „Das ist Kapital, das für die Entwicklun­g unserer Unternehme­n fehlt“, meinte von der Leyen. „In dem Moment, wo ich mehr Kapital am Markt habe, brauche ich weniger Förderunge­n vom Staat“, bekräftigt­e Nehammer, der von einer „Zukunftsfr­age für den Wirtschaft­sstandort“sprach.

Von der Leyen will zudem weitere Maßnahmen ausarbeite­n lassen, um die stark gestiegene­n Energiekos­ten für die Industrie wieder dauerhaft zu senken. Eine weitere Herausford­erung sei, dem Arbeitskrä­ftemangel entgegenzu­treten. „Natürlich brauchen wir dafür legale Migration.“Als viertes Vorhaben nannte sie den Abschluss weiterer Freihandel­sabkommen.

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Ratspräsid­ent Charles Michel sprach von einer „fundamenta­len Herausford­erung“.

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