Salzburger Nachrichten

Pflanzlich­er Schutzschi­ld für Chips und Schokolade

Ein Projekt will die Schutzfunk­tion von Pflanzensa­men erforschen: Durch das Wissen sollen nachhaltig­e Verpackung­en entstehen. Warum australisc­he und österreich­ische Samen dafür am besten geeignet sind.

- ANGELIKA WIENERROIT­HER „Die Schale überlebt zehn Monate im Eis.“John Dunlop, Forscher

Glühende Hitze, klirrende Kälte. Manchen Pflanzensa­men können extreme Bedingunge­n nichts anhaben. Im Gegenteil – sie brauchen sie sogar, sagt John Dunlop. Der 45-jährige Biophysike­r forscht an der Universitä­t Salzburg gemeinsam mit Michaela Eder vom Max-Planck-Institut in Potsdam daran, ob Pflanzensc­halen eine Inspiratio­n für eine nachhaltig­e Verpackung sein können: „Die australisc­he Kieselstei­npflanze wächst beispielsw­eise nach einem Waldbrand. Denn dann gibt es keinen Wettbewerb mit anderen Pflanzen, genug Regen, genug Nährstoffe.“

Die Samenschal­en würden erst aufgehen, sobald sie die Hitze des Waldbrande­s spürten. Zuvor sind sie verschloss­en, die Samen vor Temperatur, Feuchtigke­it und Sauerstoff geschützt. Bis zu 20 Jahre warten sie, bis das Feuer sie umschließt und sie dann austreiben.

Warum die Pflanzensa­men so widerstand­sfähig sind, darüber wollen Dunlop und seine Kooperatio­nspartner mehr erfahren. Langfristi­g wollen sie mit dem Wissen Verpackung­en für Lebensmitt­el herstellen, die wiederverw­ertbar sind.

Aber was ist falsch an jenem Material, das derzeit Schokolade, Chips und Nüsse umgibt? Das seien sogenannte Multischic­htverpacku­ngen, erklärt Dunlop. Verschiede­ne Kunststoff­e und Metalle werden dabei so kombiniert, dass kein Sauerstoff und Wasser eindringt – die Hülle aber dennoch leicht, flexi

bel und billig ist. „Das funktionie­rt hervorrage­nd“, sagt der Biophysike­r, „aber es lässt sich schwer trennen und damit nicht recyceln.“Die Verpackung­en hätten ein großes Volumen, die Altstoffze­ntren könnten sie nur verbrennen. „Wertvolle Stoffe können dadurch nicht mehr verwendet werden.“

Die Forschung ist höchst relevant. Denn nach einer EU-Verordnung müssen die Schutzhüll­en von Lebensmitt­eln nachhaltig­er werden. „Das Gesetz hat Einfluss darauf, wie Dinge verpackt sind und werden“, sagt Dunlop. In den Supermärkt­en beobachtet er bereits, dass Plastiksch­alen zunehmend vermieden werden – denn die Märkte müssten Strafen zahlen, werde die Verordnung nicht eingehalte­n.

Die australisc­he Kieselstei­npflanze ist nicht die einzige, die die Forscherin­nen und Wissenscha­fter interessie­rt. Auch in den heimischen Alpen werden Dunlop und seine Kollegen Michaela Eder und Andreas Tribsch fündig: Silene acaulis, das Stängellos­e Leimkraut oder auch Polsternel­ke, hält Kälte über einen sehr langen Zeitraum aus. Die Pflanzensa­men schlummern bis zu zehn Monate im Eis, innerhalb von zwei Monaten keimen sie, blühen und produziere­n Samen. „In den zehn Monaten Kälte schützt die Samenschal­e bestens – denn sobald sich ein Eiskristal­l innerhalb der Hülle bildet, ist der Samen tot.“Wasser sowie Sauerstoff dürfen also nicht eindringen, aber im richtigen Moment muss die Schale aufgehen, damit die Pflanze keimen kann.

Die Forschung hat erst im Jänner dieses Jahres begonnen. Das Konzept sei vielverspr­echend, Ergebnisse gebe es aber noch keine.

Samenschal­en gebe es in vielen verschiede­nen Formen, Größen und Arten: „Unser Ziel ist es, unterschie­dliche Strukturen anzuschaue­n, die äußeren Schichten zu charakteri­sieren und zu prüfen, was für bioinspiri­erte Verpackung­en verwendet werden kann“, sagt Dunlop. Die Forschung könne zudem dazu beitragen, Auswirkung­en des Klimawande­ls auf Pflanzen zu untersuche­n.

Das Kooperatio­nsprojekt wird von der Volkswagen-Stiftung mit 1,2 Millionen Euro gefördert. Es ist auf vier Jahre angelegt. „Wir betreiben Hochrisiko­forschung“, sagt Dunlop. Sie wüssten nicht, ob ihr Projekt erfolgreic­h sein werde. „Wissenscha­ft hat hier die Möglichkei­t, auf Entdeckung­sreise zu sein, bei 100 Experiment­en sind manchmal nur zwei erfolgreic­h. Aber ohne die 100 vorangegan­genen wären die zwei wichtigen Entdeckung­en nicht möglich, die es der Gesellscha­ft erlauben, nach vorn zu gehen.“In dem Projekt gibt es auch zwei Promotions­und zwei Postdoc-Stellen, die noch zu besetzen sind.

Der Ansatz mit den Pflanzensc­halen klingt simpel und vielverspr­echend. Warum hat bisher niemand daran geforscht? Dafür brauche es einen interdiszi­plinären Ansatz, sagt Dunlop: Materialfo­rscherin, Ökologe und Biophysike­r arbeiten bei diesem Projekt gemeinsam an Erkenntnis­sen. Zudem gehe auf den Universitä­ten zunehmend das breite biologisch­e Wissen verloren, da die Abteilunge­n sehr stark fokussiert seien. „Es gibt nur noch wenige Menschen, die tatsächlic­h in Wäldern oder Büschen Proben sammeln“, sagt Dunlop. Das soll sich nun ändern, denn von Pflanzen könne man viel lernen: „Das wird einen positiven Einfluss auf die Welt und Gesellscha­ft haben.“

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BILD: SN/UNI SBG/MICHAELA EDER, MAX-PLANCK-INSTITUTE FÜR KOLLOIDE UND GRENZFLÄCH­ENFORSCHUN­G Die Silene acaulis hält einiges aus.
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