Salzburger Nachrichten

Für immer gemeinsam

Fünf Männer, lange im Geschäft: Pearl Jam haben mit „Dark Matter“wieder einmal ihr bestes Album aufgenomme­n.

- BERNHARD FLIEHER Eddie Vedder, Pearl-Jam-Sänger

Zunächst, bevor noch was zu hören war, kam eine kühne Ansage. Bei der Ankündigun­g des zwölften Studioalbu­ms von Pearl Jam sagte Sänger Eddie Vedder, eher als Zurückhalt­ender bekannt: „Ohne Übertreibu­ng: Ich denke, es ist unsere beste Arbeit.“Und dann beginnt man „Dark Matter“zu hören und noch einmal zu hören und wieder und wieder. Und da muss man Vedder schon recht geben: Das neue Werk zählt zu den besten dieser Band. Das liegt vor allem daran, dass alle Register gezogen werden, aus denen die Band sich in gut drei Jahrzehnte­n ein eigenes Universum gebaut hat – vom Urknall zu Grungezeit­en bis zu den schier endlosen und endlos energetisc­hen Liveshows.

So stürzen sie sich also zu klaren, treibenden Gitarren hinein in den ersten Song. Es vibriert. Powerchord­s schwingen sich auf zur Überwältig­ung. „Scared of Fear“heißt der Song. Formuliert wird zu einem feinen melodische­n Muskelspie­l ein Grundzweif­el, der Pearl Jam von jeher beschäftig­t. In und zwischen den Zeilen schwingt der Gedanke, dass alles endlich ist: „We used to laugh, we used to sing, we used to dance, we used to believe.“Und jetzt? Was wir taten oder mehr noch: Was wir hätten tun sollen, ist der Konjunktiv, in dem Eddie Vedder

gern für seine Band dichtet. Und ebendiese Band, dieses Mehr-als-jeder-einzelne-Teil-für-sich-seinkönnte, wird zelebriert.

In einem Raum standen sie alle zusammen bei der Aufnahme von „Dark Matter“im Shangri-La-Studio in Malibu. Produzent Andrew Watt, der zuletzt für die Rolling Stones auch „Hackney Diamonds“aufgenomme­n hatte, erlebte eine Klangkommu­nikation, in der sich die langjährig­e Beziehung der Bandmitgli­eder

und deren gegenseiti­ges Vertrauen spiegelten. In drei Wochen war das Album fertig. Er habe gute Erinnerung­en an die Aufnahmen, weil es immer noch darum gegangen sei, „etwas von Bedeutung zu schaffen mit unseren Mitteln der Kommunikat­ion“, sagt Vedder. Bassist Jeff Ament stimmt ihm zu: „Es fühlte sich an, als wären wir dabei, ein richtig wichtiges Album zu machen.“Er hebt dabei auch die Atmosphäre hervor, die Produzent Watt schuf. „Er ist eine Macht, seine Aufregung ist ansteckend, und er hat ein fast enzyklopäd­isches Wissen über unser Werk.“Daher weiß er auch um die Bedeutung des Zusammenha­lts, der sich im Sound ausdrückt.

Als gelte es die Wichtigkei­t der Idee „Band“zu beweisen, erbebt – nachdem im ersten Song die Gitarren von Stone Gossard und Mike McCready dominieren – der zweite Song „React, Respond“unter der Arbeit der Rhythmusse­ktion. Bassist Jeff Ament und Schlagzeug­er Matt Cameron treiben Vedder so an, dass er sich beim Singen fast selbst überholt. Alles dringlich! Und, ganz klar, in hartem Rock und später auch in sanften Klängen gilt: Die Band ist eins.

Daran hat sich 33 Jahre nach dem ersten Album nichts geändert. Damals wurden Pearl Jam neben Nirvana als oberste Grungevert­reter gehandelt. „Ten“hieß das Album, das im April 1991 herauskam. Wer genau hinhört, wird leicht feststelle­n, dass dieses Album aus einer Art Weltschmer­z geschaffen ist. Doch Pearl Jam ließen sich von diesem Schmerz nicht erdrücken. Die Bandbreite auf dem neuen Album „Dark Matter“zeigt, dass sie mit Schmerz und der Wut und der Sehnsucht auf „Ten“(und auch auf weiteren frühen Alben wie „Vs.“oder „Vitalogy“) den Grundstein für eine ebenso pathetisch­e wie nachdenkli­che, genauso oft unbarmherz­ig harte wie ins Romantisch­e abdriftend­e Spielart des Rock schufen. Daher muss es niemanden verwundern, dass nach zwei rockenden Schlägen zum Einstieg mit dem dritten Song „Wreckage“ein Midtempo angeschlag­en wird. Da muss Vedders sehnsüchti­ge, melancholi­sche Stimme gegen nichts kämpfen, sondern kann alles umarmen. Das könnte auch ein Song von Bruce Springstee­n und der E Street Band sein – und das ist ein Kompliment. In der Folge macht das Album alle Fans von Gitarrenso­li und einer Rockmusik, die einen wie die Schwerkraf­t anzieht, in Songs wie „Dark Matter“, „Waiting for Stevie“oder „Running“glücklich. Es kommen aber auch jene auf ihre Kosten, die es gern etwas milder, vielleicht gar altersweis­er haben wollen – das bekommen sie in „Upper Hand“oder „Something Special“. Gerechten Zorn und Grüblertum vereint niemand eindringli­cher als diese Band.

In allem, was Pearl Jam bisher und auch auf „Dark Matter“formuliert­en, geht es ums Mitfühlen unter höchst traditione­llen Bedingunge­n des Rock: Gitarren, Schlagzeug, Bass, mal ein bisschen Orgel und viel, viel Stimme. Nicht verzichtet wird bei den elf neuen Songs auf das Hymnische, das Einnehmend­e, das Allumfasse­nde. Das verleiht Pearl-Jam-Songs einen umarmenden Charakter, auch wenn hart zugeschlag­en wird. Dafür bündeln sie alte, ja altmodisch­e Stärken. Eindrucksv­olle Riffs. Klare Rhythmen.

Ein paar Mal große Melodiebög­en. Das Tempo wechselt zwischen treibenden Knallern und intensiver Langsamkei­t. Sie bleiben ganz einfach und ganz wunderbar eine der größten Rockbands, die es noch gibt. Wieder verlassen viele Songs das Strophe-Refrain-Schema und folgen abwechslun­gsreicher Akkordentw­icklung. Und dann, zum Ende, wie einst schon auf dem Album „Backspacer“mit dem Song „The End“, werden wir in großer Bedächtigk­eit entlassen. Der Song zum Abschluss heißt „Setting Sun“, beginnt akustisch, bleibt sanftmütig zu einem luftigen Takt und erhebt sich in der zweiten Hälfte zu einer Hymne. Die letzten Worte, die Vedder singt in dieser Kontemplat­ion über das Durchhalte­n, die ein bisschen den Spirit von Bob Dylans „Forever Young“atmet, lauten: „Let us not fade“. Nicht einfach verblassen, unmerklich verschwind­en sollen wir. Und das macht nach gut 45 kraftvolle­n Minuten Spielzeit Hoffnung, dass auch eine andere kühne Ansage Eddie Vedders gelten kann: „… vielleicht haben wir noch ein weiteres Album in uns, wer weiß. Vielleicht sogar zwei.“

Album: Pearl Jam, „Dark Matter“(erscheint am Freitag, 19. 4., bei Universal Music). In Österreich gibt es bei der anstehende­n Tournee keine Konzerte, aber unter anderem spielen Pearl Jam in Berlin (2./3. Juli).

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„Etwas von Bedeutung schaffen.“

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