Für immer gemeinsam
Fünf Männer, lange im Geschäft: Pearl Jam haben mit „Dark Matter“wieder einmal ihr bestes Album aufgenommen.
Zunächst, bevor noch was zu hören war, kam eine kühne Ansage. Bei der Ankündigung des zwölften Studioalbums von Pearl Jam sagte Sänger Eddie Vedder, eher als Zurückhaltender bekannt: „Ohne Übertreibung: Ich denke, es ist unsere beste Arbeit.“Und dann beginnt man „Dark Matter“zu hören und noch einmal zu hören und wieder und wieder. Und da muss man Vedder schon recht geben: Das neue Werk zählt zu den besten dieser Band. Das liegt vor allem daran, dass alle Register gezogen werden, aus denen die Band sich in gut drei Jahrzehnten ein eigenes Universum gebaut hat – vom Urknall zu Grungezeiten bis zu den schier endlosen und endlos energetischen Liveshows.
So stürzen sie sich also zu klaren, treibenden Gitarren hinein in den ersten Song. Es vibriert. Powerchords schwingen sich auf zur Überwältigung. „Scared of Fear“heißt der Song. Formuliert wird zu einem feinen melodischen Muskelspiel ein Grundzweifel, der Pearl Jam von jeher beschäftigt. In und zwischen den Zeilen schwingt der Gedanke, dass alles endlich ist: „We used to laugh, we used to sing, we used to dance, we used to believe.“Und jetzt? Was wir taten oder mehr noch: Was wir hätten tun sollen, ist der Konjunktiv, in dem Eddie Vedder
gern für seine Band dichtet. Und ebendiese Band, dieses Mehr-als-jeder-einzelne-Teil-für-sich-seinkönnte, wird zelebriert.
In einem Raum standen sie alle zusammen bei der Aufnahme von „Dark Matter“im Shangri-La-Studio in Malibu. Produzent Andrew Watt, der zuletzt für die Rolling Stones auch „Hackney Diamonds“aufgenommen hatte, erlebte eine Klangkommunikation, in der sich die langjährige Beziehung der Bandmitglieder
und deren gegenseitiges Vertrauen spiegelten. In drei Wochen war das Album fertig. Er habe gute Erinnerungen an die Aufnahmen, weil es immer noch darum gegangen sei, „etwas von Bedeutung zu schaffen mit unseren Mitteln der Kommunikation“, sagt Vedder. Bassist Jeff Ament stimmt ihm zu: „Es fühlte sich an, als wären wir dabei, ein richtig wichtiges Album zu machen.“Er hebt dabei auch die Atmosphäre hervor, die Produzent Watt schuf. „Er ist eine Macht, seine Aufregung ist ansteckend, und er hat ein fast enzyklopädisches Wissen über unser Werk.“Daher weiß er auch um die Bedeutung des Zusammenhalts, der sich im Sound ausdrückt.
Als gelte es die Wichtigkeit der Idee „Band“zu beweisen, erbebt – nachdem im ersten Song die Gitarren von Stone Gossard und Mike McCready dominieren – der zweite Song „React, Respond“unter der Arbeit der Rhythmussektion. Bassist Jeff Ament und Schlagzeuger Matt Cameron treiben Vedder so an, dass er sich beim Singen fast selbst überholt. Alles dringlich! Und, ganz klar, in hartem Rock und später auch in sanften Klängen gilt: Die Band ist eins.
Daran hat sich 33 Jahre nach dem ersten Album nichts geändert. Damals wurden Pearl Jam neben Nirvana als oberste Grungevertreter gehandelt. „Ten“hieß das Album, das im April 1991 herauskam. Wer genau hinhört, wird leicht feststellen, dass dieses Album aus einer Art Weltschmerz geschaffen ist. Doch Pearl Jam ließen sich von diesem Schmerz nicht erdrücken. Die Bandbreite auf dem neuen Album „Dark Matter“zeigt, dass sie mit Schmerz und der Wut und der Sehnsucht auf „Ten“(und auch auf weiteren frühen Alben wie „Vs.“oder „Vitalogy“) den Grundstein für eine ebenso pathetische wie nachdenkliche, genauso oft unbarmherzig harte wie ins Romantische abdriftende Spielart des Rock schufen. Daher muss es niemanden verwundern, dass nach zwei rockenden Schlägen zum Einstieg mit dem dritten Song „Wreckage“ein Midtempo angeschlagen wird. Da muss Vedders sehnsüchtige, melancholische Stimme gegen nichts kämpfen, sondern kann alles umarmen. Das könnte auch ein Song von Bruce Springsteen und der E Street Band sein – und das ist ein Kompliment. In der Folge macht das Album alle Fans von Gitarrensoli und einer Rockmusik, die einen wie die Schwerkraft anzieht, in Songs wie „Dark Matter“, „Waiting for Stevie“oder „Running“glücklich. Es kommen aber auch jene auf ihre Kosten, die es gern etwas milder, vielleicht gar altersweiser haben wollen – das bekommen sie in „Upper Hand“oder „Something Special“. Gerechten Zorn und Grüblertum vereint niemand eindringlicher als diese Band.
In allem, was Pearl Jam bisher und auch auf „Dark Matter“formulierten, geht es ums Mitfühlen unter höchst traditionellen Bedingungen des Rock: Gitarren, Schlagzeug, Bass, mal ein bisschen Orgel und viel, viel Stimme. Nicht verzichtet wird bei den elf neuen Songs auf das Hymnische, das Einnehmende, das Allumfassende. Das verleiht Pearl-Jam-Songs einen umarmenden Charakter, auch wenn hart zugeschlagen wird. Dafür bündeln sie alte, ja altmodische Stärken. Eindrucksvolle Riffs. Klare Rhythmen.
Ein paar Mal große Melodiebögen. Das Tempo wechselt zwischen treibenden Knallern und intensiver Langsamkeit. Sie bleiben ganz einfach und ganz wunderbar eine der größten Rockbands, die es noch gibt. Wieder verlassen viele Songs das Strophe-Refrain-Schema und folgen abwechslungsreicher Akkordentwicklung. Und dann, zum Ende, wie einst schon auf dem Album „Backspacer“mit dem Song „The End“, werden wir in großer Bedächtigkeit entlassen. Der Song zum Abschluss heißt „Setting Sun“, beginnt akustisch, bleibt sanftmütig zu einem luftigen Takt und erhebt sich in der zweiten Hälfte zu einer Hymne. Die letzten Worte, die Vedder singt in dieser Kontemplation über das Durchhalten, die ein bisschen den Spirit von Bob Dylans „Forever Young“atmet, lauten: „Let us not fade“. Nicht einfach verblassen, unmerklich verschwinden sollen wir. Und das macht nach gut 45 kraftvollen Minuten Spielzeit Hoffnung, dass auch eine andere kühne Ansage Eddie Vedders gelten kann: „… vielleicht haben wir noch ein weiteres Album in uns, wer weiß. Vielleicht sogar zwei.“
Album: Pearl Jam, „Dark Matter“(erscheint am Freitag, 19. 4., bei Universal Music). In Österreich gibt es bei der anstehenden Tournee keine Konzerte, aber unter anderem spielen Pearl Jam in Berlin (2./3. Juli).