Der Künstler, der die Seele stillt
Nach Hamburg feiert jetzt auch Berlin Caspar David Friedrich zum 250. Geburtstag mit einer großen Ausstellung.
Hat man sich ihn so vorgestellt? Und, vielleicht noch spannender: Hat man sich vorgestellt, dass diese Bilder, in denen das Licht unzählbare Nuancen hat und die Natur unbenennbare Farben, in diesem Raum gemalt worden sind? Nicht etwa vor dem Meer oder auf einer Gebirgswiese – sondern in einem Zimmer, das „Atelier“zu nennen dem Drittes-Jahrtausend-Menschen nicht gleich in den Sinn kommt. Staffelei, Stuhl, Tisch, die Wände graugelbgrünblauirgendwie, das Licht fällt allein durch ein quadratisches Fenster. Und der Maler, Palette und Pinsel in den Händen, trägt Hausschuhe und Hausrock.
Ja, so sollen wir ihn uns vorstellen, den Künstler Caspar David Friedrich, in den Jahren seines ersten Ruhms; 1811 und 1812 hat ihn sein Freund Georg Friedrich Kersting gemalt bei der Arbeit in Dresden, wo er – nach unguter Kindheit und Jugend in Greifswald in Pommern, an der Ostsee, nach Lehrund ersten (im Wortsinn) Wanderjahren – eine Art Heimat gefunden hatte. Der Erfolg aber war in Berlin zu ihm gekommen, 1810, mit der Akademieausstellung, mit den Bildern „Mönch am Meer“und „Abtei im Eichwald“. Einen späteren König hatten sie ins halb verwaiste, verdüsterte Herz getroffen: Friedrich Wilhelm IV. Der amtierende III., sein Vater, kaufte sie; derlei war in absolutistischer Zeit für einen Maler die Krönung. Das wirklich Wichtige aber: Der fünfzehn Jahre junge Preußenkronprinz hatte erkannt, was zuvor dem in seinem siebten Jahrzehnt stehenden deutschen Dichterfürsten aus dem Großherzogtum Weimar verborgen geblieben war. Goethe war nach Dresden gereist, kurz vor der Schau, hatte den „Mönch“noch auf der Staffelei betrachtet — und nichts gesehen als „ein offenes Meer“.
Wer nun – und noch bis 4. August – in der Alten Nationalgalerie auf der Berliner Museumsinsel vor dem Bild steht, sieht Unfassbares. Nicht allein für den Blick. Auch für das Gefühl. Wen vor – genau genommen ja hinter – dem Mönch die Sehnsucht nicht wenigstens anfliegt, muss immun sein gegen sie. Gepanzert gegen das absolut Schöne, das zugleich – oder vielleicht gerade wegen der Absolutheit – einen Schmerz auslöst, der weh- und wohltut im selben Augen-Blick.
„Erhabenheit“schreibt der Direktor der Alten Nationalgalerie, Ralph Gleis, Friedrichs Gemälden zu; ein Begriff, der eher zu den ersten beiden Friedrich-EuphoriePhasen passt. Dem Erfolg in Berlin folgten Nichtverstandensein und Vergessenwerden. Und dann, 66 Jahre nach seinem Tod 1840 mit 65 Jahren, die Wiederentdeckung. Erneut in Berlin. 1906, mit der Jahrhundertausstellung in der Nationalgalerie.
Dass sich erst die Nationalen, später die Nationalsozialisten Friedrichs bemächtigten? Nicht dessen Schuld, sagt Gleis, nicht die seiner Werke. „Deutungsoffen“nennt er sie.
In Berlin – zweite Perle einer ganzen Kette von sehr verschiedenen
Ausstellungen zum 250. Geburtstag am 7. September; Beginn war, mit mehr als 330.000-fachem Erfolg, in der Hamburger Kunsthalle, Abschluss wird kommendes Jahr im Metropolitan Museum of Art in New York sein – haben sie ihre Schau von knapp sechzig Gemälden und gut sechzig Zeichnungen „Unendliche Landschaften“genannt. Schlicht und wahr.
Ganz sicher hat Friedrich – ein Menschenflüchter, der spät heiratete und den Namen der eben Eroberten nach dem Verlöbnis erst einmal wieder vergaß – sein Sehnen und sein Suchen gemalt. Vielleicht auch seine Erschütterungen. Wer „Das Eismeer“erblickt, wer sieht, wie die Schollen sich türmen, spitz in den Himmel, und rechts ein Schiff wegmalmen
wie eine Nussschale – sieht der nicht auch, wie der 13 Jahre junge Caspar David beim Schlittschuhlaufen ins Eis bricht und der ein Jahr jüngere Bruder Christoffer beim Versuch, ihn zu retten, ertrinkt?
Wenn er es weiß … Den Nichtwissenden bleibt die Schönheit, die keine wirkliche ist, sondern eine ideale. „Komponiert“nennt sie Direktor Gleis; „kein Abbild, sondern eine Vision der Natur“. Das schmälert nichts – im Gegenteil. Es erfüllt den Blick. Und stillt die Seele. Vielleicht mehr denn je. Weil die Gegenwart der Aufruhr beherrscht.
„Kein Abbild, sondern eine Vision der Natur.“Ralph Gleis, Alte Nationalgalerie
Ausstellung: „Unendliche Landschaften“, Caspar David Friedrich, Alte Nationalgalerie Berlin, bis 4. August.