Die Tangente berührt Wasser, Vögel und Gerechtigkeit
Welche Bedeutung haben Flüsse für Stadtbewohner, außer dass man sie auf Brücken und Stegen überquert? Wie passen Wasser und Kunst zusammen? Welche Inspiration zieht ein Künstler aus einem Fluss und was davon vermag ein Betrachter zu erkennen? Dies lässt sich ab heute, Dienstag, in einem besonderen Stadtrundgang in St. Pölten erkunden: „The Way of the Water“ist ein Projekt jenes Festivals namens Tangente, das für die Europäische Kulturhauptstadt 2024 ersonnen worden ist. Als St. Pölten sich um diesen Titel beworben, aber neben Bad Ischl und dem Salzkammergut den Kürzeren gezogen hatte, wurde beschlossen, dieses Herzstück des KulturhauptstadtKonzepts trotzdem umzusetzen.
Die Protagonisten dieses 7,5 Kilometer langen „Wasserweges“sind die Traisen und der Mühlbach. An 24 Stellen haben Künstlerinnen und Künstler Projekte realisiert: Zum Beispiel erinnert das St. Pöltner Kollektiv Neonpink an einstigen Waschplätzen an kaum beachtete Frauenarbeit; per QR-Codes sind Audiodateien mit Interviews mit Zeitzeuginnen abrufbar. Oder: Jimena Croceri aus Buenos Aires hat mithilfe von Flussströmung, Sonne und Regen Gemälde gestaltet. Im Sonnenpark am Spratzerner Kirchenweg ist – wie es in der Pressemitteilung vom Montag heißt – die Seele von Algen zu erkunden, und in der Nähe des Mühlbachdamms lässt die chilenische Künstlerin Roberta Lazo Valenzuela Musikobjekte im Wasser treiben, die vom Mühlbach, von den Bewegungen einer Fischflosse oder einem Stein, den man noch in Händen hält, angetrieben werden.
Zur offiziellen Eröffnung am Dienstagabend wird – nach Festakt und Ansprachen – im Festspielhaus St. Pölten „Justice“(Gerechtigkeit) aufgeführt. Diese knapp zweistündige Oper des katalanischen Komponisten Hèctor Parra in fünf Akten auf ein Libretto von Milo Rau und Fiston Mwanza Mujila ist eine Koproduktion mit dem Grand Théâtre in Genf, wo sie im Jänner uraufgeführt wurde. Milo Rau, Intendant der Wiener Festwochen, hat diese Geschichte inszeniert, die von einem Tanklaster-Unglück im Kongo erzählt, die Kontraste von afrikanischem Dorfleben und von Europäern betriebenem Bergbau freigelegt.
Bis 6. Oktober bietet die Tangente als „Festival für Gegenwartskultur“Tanz, Theater, Musik, Performance, Kunst, Literatur und Konferenzen. Dazu zwei Beispiele vom FestivalStart: Nach Eröffnung des Wasserweges werden am Mittwoch die Vögel gewürdigt; der Pianist PierreLaurent Aimard und die Schauspielerin Birgit Minichmayr setzen Olivier Messiaens „Vogelkatalog“in den Kontext von Texten von Fiston Mwanza Mujila und der Philosophin Vinciane Despret. Am Wochenende geht es um Landschaft: Am Stadtrand St. Pöltens, im Grenzgebiet von Räumen für „menschliche und nicht-menschlichen Bewohner:innen“, gestalten Kuratorin Caroline Barneaud und Regisseur Stefan Kaegi von Rimini Protokoll einen Spaziergang zu sieben Inszenierungen: Klangkreationen, choreografische Audiotouren, subvertierte Picknicks und philosophische Theaterstücke.
Festival: „Tangente St. Pölten“, 30. April bis 6. Oktober.