Salzburger Nachrichten

„Kein Streik aus Jux und Tollerei“

Mit der schärfsten Waffe im Arbeitskam­pf gehe man sorgsam um, sagt der ÖGB-Präsident.

- RICHARD WIENS

Höhere Löhne und kürzere Arbeitszei­ten bleiben unverrückb­are Ziele der Gewerkscha­ft, sagt Wolfgang Katzian. Betriebe, die das Gründen von Betriebsrä­ten verhindern, sollten strafrecht­lich belangt werden.

SN: Herr Präsident, was ging Ihnen beim Ruf der Industrie nach einer 41-Stunden-Woche durch den Kopf?

Wolfgang Katzian: Zuerst dachte ich, das sei ein Scherz. Aber ich habe zur Kenntnis nehmen müssen, dass es ernst gemeint ist. Dann habe ich mir gedacht, das ist gar nicht dumm, weil es 47 Millionen unbezahlte Überstunde­n in Österreich gibt, das sind 1,5 Mrd. Euro, um die Arbeitnehm­er geschnalzt werden. Wenn man auf 41 Stunden geht, könnte man einen Teil davon legalisier­en. Aus Sicht der Industrie ist das also eine gute Rechnung.

SN: Die Regierung hat der Idee eine Absage erteilt …

Da ist mir eingefalle­n, dass es beim 12-Stunden-Tag und bei der 60Stunden-Woche zuerst auch eine Absage gab, und dann kam sie doch.

SN: Umgekehrt gibt es auf Sicht auch keine Chance auf Umsetzung der 32-StundenWoc­he. Schmerzt Sie das?

Ich habe die 32-Stunden-Woche nicht verlangt, Andreas Babler hat sie als Perspektiv­e bezeichnet. Beim ÖGB-Kongress haben wir Arbeitszei­tverkürzun­g als Schwerpunk­t definiert, aber uns nicht auf Zahlen festgelegt. Arbeitszei­tverkürzun­g ist unser tägliches Brot, wir schließen jedes Jahr 450 Kollektivv­erträge ab, da wird immer um Geld und die Arbeitszei­t verhandelt. Leider gibt es noch immer viele Verträge mit den gesetzlich vorgeschri­ebenen 40 Stunden. Aber in vielen Branchen sind wir deutlich darunter, das geht bis zu 32,5 Stunden bei den Fluglotsen der Austro Control. Es ist ja nicht so, dass sich da nichts tut. Das werden wir mit Rücksicht auf die Lage der Branche weiter tun.

SN: Kann das so weitergehe­n?

Wir sehen, dass sich die Rahmenbedi­ngungen ändern, man kann streiten, ob die künstliche Intelligen­z mehr oder weniger Arbeitsplä­tze bringt. Aber die damit verbundene­n hohen Produktivi­tätssteige­rungen sind eine gute Voraussetz­ung, weitere Schritte in der Arbeitszei­t zu machen. Es gibt immer noch Arbeiten, die körperlich und psychisch belastet sind, wie die Pflege. Wenn man dort künftig Arbeitskrä­fte haben will, wird man bei der Arbeitszei­t etwas tun müssen. Dass wir den größten Arbeitskam­pf der letzten Jahre in der Sozialwirt­schaft hatten, ist kein Zufall.

SN: Arbeitszei­tverkürzun­gen in der Vergangenh­eit wurden durch Produktivi­tätsgewinn­e finanziert. Da stößt man aber da und dort an Grenzen, gerade im Dienstleis­tungsberei­ch?

Dann braucht man mehr Personal, anders wird es nicht gehen.

SN: Mehr Personal zum gleichen Lohn erhöht die Kosten, wer soll die tragen?

Bei einer öffentlich­en Einrichtun­g muss man schauen, ob die Einnahmen reichen, um die Kosten aus den Budgets zu finanziere­n. Wenn das nicht so ist, werden jene, die sehr breite Schultern haben, mehr beitragen müssen. In der Privatwirt­schaft wollen Unternehme­n ihre Gewinne halten, aber bei jedem Punkt Lohnerhöhu­ng und jeder Arbeitszei­tverkürzun­g geht es um Verteilung­sfragen und damit um einen Interessen­ausgleich.

Aber man kann Produktivi­tät nicht zwei Mal verteilen – entweder über höhere Löhne oder über kürzere Arbeitszei­t?

SN:

Das eine ist die Abgeltung der Inflation, das hat die Kollektivv­ertragsver­handlungen in den vergangene­n zwei Jahren so schwierig gemacht. Und wir schauen, ob es einen Teil der Produktivi­tät gibt, der beispielsw­eise für die Arbeitszei­t genützt werden kann. Wir haben Abschlüsse gemacht, die nahe an der Inflations­rate waren, obwohl die Produktivi­tät für mehr vorhanden war. Aber es kann nicht immer so sein, dass die Arbeitgebe­r den Produktivi­tätsgewinn einstecken.

SN: So schlecht waren die Abschlüsse nicht, die Lohnquote ist so hoch wie lange nicht.

Warum ist das so? Die hohen Abschlüsse sind Ergebnis der hohen Inflation. Ich habe immer darauf hingewiese­n: Wenn keine echten inflations­dämpfenden Maßnahmen gesetzt werden, bleibt der Gewerkscha­ft bei den Lohnverhan­dlungen gar nichts anderes übrig, als einen Ausgleich zu verlangen. Unsere Vorschläge wurden verworfen. Jetzt im Nachhinein sagen Wirtschaft­sforscher, man hätte mehr

tun können. Maßnahmen kann man immer noch setzen, weil die Inflation in Österreich immer noch doppelt so hoch ist wie im Durchschni­tt des Euroraums.

SN: Sie sagen, Lohnkonfli­kte sind wegen der Inflation härter geworden. Bei der AUA wurde er auf dem Rücken der Passagiere ausgetrage­n. War es das wert?

Diese Frage stellt jede Gewerkscha­ft bei jedem Abschluss. Offenbar war das Verhältnis zwischen Management und Gewerkscha­ft ziemlich verfahren – und die Maßnahmen daher notwendig. Ich erinnere an den Auftritt der AUA-Chefin in der „ZiB 2“, bei dem sie die Rute einer Eurowings 2 ins Fenster gestellt hat. Das war auch nicht förderlich.

SN: Aber Tatsache ist, dass die AUA im ersten Quartal in die Verlustzon­e geflogen ist, weil verunsiche­rte Passagiere eben nicht buchen. Hilfreich war die harte Linie der Gewerkscha­ft auch nicht.

Man kann immer diskutiere­n, ob Arbeitskäm­pfe notwendig sind. Da hat die Gewerkscha­ft in der Vergangenh­eit viel Verantwort­ungsgefühl gezeigt. Auch im vergangene­n Herbst, wo es wirklich gekracht hat und wir mehr Streikminu­ten als in den 20 Jahren davor hatten, hat die Sozialpart­nerschaft bewiesen, dass sie funktionie­rt. Am Ende auch bei der AUA. Aber ja, bei einem Streik gibt es immer, vor allem im Dienstleis­tungsberei­ch, Betroffene – das ist auch im Verkehrsbe­reich oder im Handel so. Darum streikt auch niemand aus Jux und Tollerei. Es ist das allerletzt­e Mittel, wenn gar nichts anderes geht. Es ist ein Grundrecht der Arbeitnehm­er, das werden wir uns auch nicht nehmen lassen.

SN: Es gab zuletzt auch wieder den Ruf nach Senkung der Lohnnebenk­osten. Arbeit zu entlasten ist doch im Interesse der Gewerkscha­ft. Warum regt Sie das Thema so auf?

Das Problem ist, dass es für die Arbeitgebe­r Lohnnebenk­osten sind, aber für die Arbeitnehm­er sind es Lohnnebenl­eistungen. Und sie sind das Ergebnis jahrzehnte­langer Auseinande­rsetzungen und Kämpfe. Und mich stört, dass jene, die nach einer Senkung rufen, ganz selten konkret sagen, was sie wollen.

SN: Dann nehmen wir konkret die Familienle­istungen, die könnte man doch anders finanziere­n, etwa über Steuern?

Für dieses Beispiel bin ich sehr dankbar, der FLAF kam in den 1950erJahr­en durch Lohnverzic­ht der Arbeitnehm­erschaft zustande. Wer sagt, man könnte diese Leistungen aus dem Steuertopf finanziere­n, muss zwei Fragen beantworte­n. Erstens, wie man den Lohnverzic­ht kompensier­t, und zweitens, woher die Mittel dafür kommen sollen.

SN: Ist es für Sie ein Tabuthema?

Nein, wir haben vorgeschla­gen, die betrieblic­he Wertschöpf­ung als Basis für die Beiträge heranzuzie­hen, dann würden personalin­tensive Betriebe entlastet und kapitalint­ensive belastet. Aber da kommt der Aufschrei Maschinens­teuer. Das ist keine sachliche Debatte. Wenn jemand beispielsw­eise sagt, die Kommunalab­gabe soll es nicht mehr geben, soll er auch sagen, wie sich die Gemeinden finanziere­n sollen. Dann sind wir auch bereit, darüber zu reden. Nur nach einer Senkung zu rufen ist zu wenig. Und keine Reduktion der Lohnnebenk­osten hat dazu geführt, dass den Menschen mehr Netto vom Brutto geblieben ist.

SN: Zusammenfa­ssend, wie würden Sie den Zustand der Sozialpart­nerschaft beurteilen?

Vom Prinzip her gut. Auf betrieblic­her Ebene funktionie­rt es im Großen und Ganzen. Probleme haben wir dort, wo es keinen Betriebsra­t gibt – und zunehmend Tendenzen, Betriebsra­tswahlen zu verhindern. Da werden wir von jeder neuen Regierung verlangen, dass das als Angriff

auf die Demokratie gesehen und strafrecht­lich verfolgt wird. Auf Brancheneb­ene ist es so wie bei allen Partnersch­aften, hin und wieder knallt eine Tür, aber am Ende gibt es gemeinsame Beschlüsse. Auf politische­r Ebene ist die Zusammenar­beit mit den anderen Sozialpart­nern intakt und wir versuchen, gemeinsame Positionen zu finden. Aber damit sind wir, etwa bei unseren Vorschläge­n gegen die Inflation, bei der Regierung nicht durchgedru­ngen. Aber das Verhältnis zu dieser Regierung ist besser als zur vorigen schwarz-blauen Koalition.

SN: Welche Bedeutung hat der 1. Mai heute noch für die Arbeiterbe­wegung?

Er hat ganz große Bedeutung. Der 1. Mai ist der internatio­nale Kampftag der Bewegung, das wird er bleiben. Er hat seine historisch­en Wurzeln in der Forderung nach dem 8-Stunden-Tag, die Gestaltung und Weiterentw­icklung der Arbeitszei­t unter völlig anderen Lebensverh­ältnissen und -konzepten ist daher eine große Herausford­erung für uns. Das stellen wir am 1. Mai in den Fokus.

SN: Arbeitszei­tverkürzun­g bleibt weiter das Ziel. Gibt es da nach unten für Sie eine Grenze?

Ich will keine Zahlen nennen, wir müssen sie aber in Branchen mit hohen Belastunge­n weiter vorantreib­en. Und wir müssen darauf schauen, dass wir der jüngeren Generation, die jetzt zu arbeiten beginnt, Arbeitszei­tmodelle anbieten können, die mit ihren Lebenskonz­epten in Einklang zu bringen sind. Das ist eine Herausford­erung für die Betriebe und für die Gewerkscha­ft.

Wolfgang Katzian (*1956): Der gelernte Bankkaufma­nn war ab 2005 Vorsitzend­er der Gewerkscha­ft der Privatange­stellten. 2018 folgte er Erich Foglar als Präsident des Österreich­ischen Gewerkscha­ftsbundes nach, im Juni 2023 wurde er für weitere fünf Jahre in dieses Amt gewählt.

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BILD: SN/APA/HELMUT FOHRINGER Wolfgang Katzian führt den Kampf des ÖGB für bessere Arbeitsbed­ingungen an.

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