Experte: „Ewigen Chemikalien entkommt man nicht“
Umweltmediziner Hans-Peter Hutter erklärt, warum sogenannte PFAS-Verbindungen neben Trinkwasser auch in Blut und Muttermilch gefunden wurden und welche davon krebserregend sind.
Sie sind praktisch überall enthalten: die sogenannten Ewigkeitschemikalien – abgekürzt PFAS (englisch: per- and polyfluoroalkyl substances, deutsch: per- und polyfluorierte Alkylverbindungen). Im Monatstakt gingen zuletzt Meldungen ein, in welchen Stoffen und Produkten diese gesundheitsgefährdenden Chemikalien enthalten sind. Die Palette reicht von WC-Papier über E-Zigaretten, Obst und Gemüse bis zur Muttermilch und zum Blut. Jüngster Aufreger ist eine Studie, wonach PFAS in vielen Trinkwasserproben in Deutschland nachgewiesen wurden. Zeit, um bei dem Umweltmediziner Hans-Peter Hutter, stv. Leiter der Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin an der MedUni Wien, nachzufragen.
SN: In Deutschland wurden PFAS nun im Trinkwasser nachgewiesen – aber mit Niveaus unter den Grenzwerten. Ist auch in Österreich Trinkwasser mit PFAS kontaminiert?
Hans-Peter Hutter: Es konnten auch bei uns in Trinkwasserproben diverse PFAS nachgewiesen werden. Derzeit gibt es in Österreich keinen rechtlich verbindlichen PFAS-Grenzwert für Trinkwasser, nur die EU-Empfehlung von 0,1 Mikrogramm für die Summe PFAS pro Liter. Aber es gibt Tausende verschiedene PFAS. Zu den meisten wissen wir nur wenig über die gesundheitlichen Auswirkungen. Auf dieses Chemikalienproblem weisen wir als Umweltmediziner schon lange hin. PFAS sind Verbindungen, die tolle technische Eigenschaften haben; sie sind physikalisch und chemisch äußerst stabil. Daher werden sie auch in so vielen Bereichen eingesetzt – von Textilien über Kosmetik bis zu Beschichtungen. Allerdings sind sie aufgrund ihrer schweren Zerstörbarkeit auch in der Umwelt nur langsam abbaubar.
SN: Was richten die PFAS im menschlichen Körper an? Sie werden ja auch mit Krebs und Fruchtbarkeitsproblemen in Verbindung gebracht. Es gibt eine positive Nachricht: Akut sind PFAS nur sehr gering toxisch. Akute Effekte treten vor allem an Arbeitsplätzen auf, wo PFAS verarbeitet werden. Problematisch sind chronische Auswirkungen, wenn man PFAS im Niedrigdosisbereich über längere Zeit ausgesetzt ist. Tierexperimentelle Belege zeigen negative Auswirkungen auf Leber und Niere und auch auf die Entwicklung der Tiere. Auf den Menschen bezogen wissen wir, dass es zumindest drei wichtige Aspekte gibt. Erstens: Auswirkungen auf den Fettstoffwechsel; PFAS steigern etwa den Cholesterinspiegel. Zweitens: Folgen für die Entwicklung von Embryonen, was sich auf das Geburtsgewicht der Neugeborenen auswirken kann. Drittens: Sie können Immunreaktionen hemmen. So wurde bei Kindern beobachtet, dass nach einer Standardimpfung die gewünschte Antikörperbildung reduziert war.
Verursachen oder begünstigen die PFAS konkrete Krankheiten – wie etwa Krebs?
SN:
Es gibt dazu Einschätzungen der Internationalen Agentur für Krebsforschung der WHO. PFOS (eine Gruppe der PFAS, Anm.) wurden als möglicherweise krebserregend für den Menschen eingestuft. Der zweite wichtige PFAS-Leitparameter
Wünschen Sie sich für Österreich einen eigenen PFAS-Grenzwert für das Trinkwasser?
Ja, aber der kommt sowieso, denn der wird über die EU ab 2026 verbindlich sein. Zudem erwarte ich, dass der empfohlene Grenzwert von 0,1 Mikrogramm für 20 ausgewählte PFAS pro Liter in der Zukunft wohl noch weiter herabgesetzt werden wird. Es gibt einige Länder wie Schweden oder Dänemark, die jetzt schon strengere Orientierungswerte als die derzeitige EU-Vorgabe haben.
Global 2000 betont, dass österreichisches Obst und Gemüse bei der PFAS-Belastung – verursacht durch Pestizide – EUweit im negativen Spitzenfeld liegt. Soll man Pestizide mit PFAS verbieten?
Es geht da doch grundsätzlich um den Pestizideinsatz, der ja zweifellos per se zu hinterfragen ist. Immerhin geht es hier primär schon um Pestizide, die aus gesundheitlicher Sicht und aus Gründen der Biodiversität mehr als bedenklich sind. Umso mehr bedenklich natürlich, wenn Pestizide gemeinsam mit PFAS ausgebracht werden. Das ist ein weiteres Argument, warum es in der kommerziellen Landwirtschaft ein Umdenken braucht.
Laut Global 2000 ist besorgniserregend, dass 2010 bis 2012 nahezu ein Drittel der untersuchten Mütter in Österreich, deren Daten in einer Studie vom Umweltbundesamt ausgewertet wurden,
SN:
SN:
PFOA wurde als nachweislich krebserregend für den Menschen eingestuft.
PFAS-Werte über den gesundheitsbezogenen Richtwerten im Blut aufwies.
Diese Untersuchung des Umweltbundesamts kenne ich. Aber das verwundert mich nicht, dass es einen PFAS-Nachweis im Blut und auch in der Muttermilch gibt, weil die Chemikalien ja praktisch überall vorkommen und es zig Aufnahmequellen gibt. Besonders die orale Aufnahme spielt hier eine dominante Rolle, beginnend beim Trinkwasser über den Konsum von Fisch, Meerestieren bis hin zu Fleisch oder Eiern.
SN: Wie kann man sich als Konsument vor PFAS schützen?
Im Prinzip sind uns die Hände gebunden. Diese sogenannten Ewigkeitschemikalien können in Dutzenden Alltagsgegenständen wie Outdoorjacken oder Bratpfannen oder auch in beschichteten Pizzakartons enthalten sein. Es ist schwer bis unmöglich für Konsumenten, sich dem gänzlich zu entziehen. Man entkommt den PFAS nicht. Daher braucht es ausgedehntere Regulierungen seitens der Politik, damit Produktion und Quellen weiter eingedämmt werden. Die schon genannte Untergruppe PFOS ist bereits seit 2010 streng beschränkt. Bisher hat sich die Industrie aber Regulierungen gekonnt entzogen, indem sie neue Varianten auf den Markt brachte. Derzeit gibt es noch weitere Anträge, um die PFAS deutlich einzudämmen. Diese werden in der EU noch diskutiert.
Sollte Österreich vorpreschen und die PFAS in unserem Land im Alleingang verbieten?
SN:
Ich kann mir so eine Beschränkung für Österreich allein nur sehr schwer vorstellen. Es kann hier nur eine gemeinschaftliche, übernationale Lösung geben. Aber wichtig ist, sich dem Thema intensiv zu widmen. Man muss Hotspots identifizieren und den Konsumenten Hilfestellungen geben, wie sie PFAS möglichst vermeiden können. Damit wäre schon viel gewonnen.