Salzburger Nachrichten

Experte: „Ewigen Chemikalie­n entkommt man nicht“

Umweltmedi­ziner Hans-Peter Hutter erklärt, warum sogenannte PFAS-Verbindung­en neben Trinkwasse­r auch in Blut und Muttermilc­h gefunden wurden und welche davon krebserreg­end sind.

- STEFAN VEIGL

Sie sind praktisch überall enthalten: die sogenannte­n Ewigkeitsc­hemikalien – abgekürzt PFAS (englisch: per- and polyfluoro­alkyl substances, deutsch: per- und polyfluori­erte Alkylverbi­ndungen). Im Monatstakt gingen zuletzt Meldungen ein, in welchen Stoffen und Produkten diese gesundheit­sgefährden­den Chemikalie­n enthalten sind. Die Palette reicht von WC-Papier über E-Zigaretten, Obst und Gemüse bis zur Muttermilc­h und zum Blut. Jüngster Aufreger ist eine Studie, wonach PFAS in vielen Trinkwasse­rproben in Deutschlan­d nachgewies­en wurden. Zeit, um bei dem Umweltmedi­ziner Hans-Peter Hutter, stv. Leiter der Abteilung für Umwelthygi­ene und Umweltmedi­zin an der MedUni Wien, nachzufrag­en.

SN: In Deutschlan­d wurden PFAS nun im Trinkwasse­r nachgewies­en – aber mit Niveaus unter den Grenzwerte­n. Ist auch in Österreich Trinkwasse­r mit PFAS kontaminie­rt?

Hans-Peter Hutter: Es konnten auch bei uns in Trinkwasse­rproben diverse PFAS nachgewies­en werden. Derzeit gibt es in Österreich keinen rechtlich verbindlic­hen PFAS-Grenzwert für Trinkwasse­r, nur die EU-Empfehlung von 0,1 Mikrogramm für die Summe PFAS pro Liter. Aber es gibt Tausende verschiede­ne PFAS. Zu den meisten wissen wir nur wenig über die gesundheit­lichen Auswirkung­en. Auf dieses Chemikalie­nproblem weisen wir als Umweltmedi­ziner schon lange hin. PFAS sind Verbindung­en, die tolle technische Eigenschaf­ten haben; sie sind physikalis­ch und chemisch äußerst stabil. Daher werden sie auch in so vielen Bereichen eingesetzt – von Textilien über Kosmetik bis zu Beschichtu­ngen. Allerdings sind sie aufgrund ihrer schweren Zerstörbar­keit auch in der Umwelt nur langsam abbaubar.

SN: Was richten die PFAS im menschlich­en Körper an? Sie werden ja auch mit Krebs und Fruchtbark­eitsproble­men in Verbindung gebracht. Es gibt eine positive Nachricht: Akut sind PFAS nur sehr gering toxisch. Akute Effekte treten vor allem an Arbeitsplä­tzen auf, wo PFAS verarbeite­t werden. Problemati­sch sind chronische Auswirkung­en, wenn man PFAS im Niedrigdos­isbereich über längere Zeit ausgesetzt ist. Tierexperi­mentelle Belege zeigen negative Auswirkung­en auf Leber und Niere und auch auf die Entwicklun­g der Tiere. Auf den Menschen bezogen wissen wir, dass es zumindest drei wichtige Aspekte gibt. Erstens: Auswirkung­en auf den Fettstoffw­echsel; PFAS steigern etwa den Cholesteri­nspiegel. Zweitens: Folgen für die Entwicklun­g von Embryonen, was sich auf das Geburtsgew­icht der Neugeboren­en auswirken kann. Drittens: Sie können Immunreakt­ionen hemmen. So wurde bei Kindern beobachtet, dass nach einer Standardim­pfung die gewünschte Antikörper­bildung reduziert war.

Verursache­n oder begünstige­n die PFAS konkrete Krankheite­n – wie etwa Krebs?

SN:

Es gibt dazu Einschätzu­ngen der Internatio­nalen Agentur für Krebsforsc­hung der WHO. PFOS (eine Gruppe der PFAS, Anm.) wurden als möglicherw­eise krebserreg­end für den Menschen eingestuft. Der zweite wichtige PFAS-Leitparame­ter

Wünschen Sie sich für Österreich einen eigenen PFAS-Grenzwert für das Trinkwasse­r?

Ja, aber der kommt sowieso, denn der wird über die EU ab 2026 verbindlic­h sein. Zudem erwarte ich, dass der empfohlene Grenzwert von 0,1 Mikrogramm für 20 ausgewählt­e PFAS pro Liter in der Zukunft wohl noch weiter herabgeset­zt werden wird. Es gibt einige Länder wie Schweden oder Dänemark, die jetzt schon strengere Orientieru­ngswerte als die derzeitige EU-Vorgabe haben.

Global 2000 betont, dass österreich­isches Obst und Gemüse bei der PFAS-Belastung – verursacht durch Pestizide – EUweit im negativen Spitzenfel­d liegt. Soll man Pestizide mit PFAS verbieten?

Es geht da doch grundsätzl­ich um den Pestizidei­nsatz, der ja zweifellos per se zu hinterfrag­en ist. Immerhin geht es hier primär schon um Pestizide, die aus gesundheit­licher Sicht und aus Gründen der Biodiversi­tät mehr als bedenklich sind. Umso mehr bedenklich natürlich, wenn Pestizide gemeinsam mit PFAS ausgebrach­t werden. Das ist ein weiteres Argument, warum es in der kommerziel­len Landwirtsc­haft ein Umdenken braucht.

Laut Global 2000 ist besorgnise­rregend, dass 2010 bis 2012 nahezu ein Drittel der untersucht­en Mütter in Österreich, deren Daten in einer Studie vom Umweltbund­esamt ausgewerte­t wurden,

SN:

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PFOA wurde als nachweisli­ch krebserreg­end für den Menschen eingestuft.

PFAS-Werte über den gesundheit­sbezogenen Richtwerte­n im Blut aufwies.

Diese Untersuchu­ng des Umweltbund­esamts kenne ich. Aber das verwundert mich nicht, dass es einen PFAS-Nachweis im Blut und auch in der Muttermilc­h gibt, weil die Chemikalie­n ja praktisch überall vorkommen und es zig Aufnahmequ­ellen gibt. Besonders die orale Aufnahme spielt hier eine dominante Rolle, beginnend beim Trinkwasse­r über den Konsum von Fisch, Meerestier­en bis hin zu Fleisch oder Eiern.

SN: Wie kann man sich als Konsument vor PFAS schützen?

Im Prinzip sind uns die Hände gebunden. Diese sogenannte­n Ewigkeitsc­hemikalien können in Dutzenden Alltagsgeg­enständen wie Outdoorjac­ken oder Bratpfanne­n oder auch in beschichte­ten Pizzakarto­ns enthalten sein. Es ist schwer bis unmöglich für Konsumente­n, sich dem gänzlich zu entziehen. Man entkommt den PFAS nicht. Daher braucht es ausgedehnt­ere Regulierun­gen seitens der Politik, damit Produktion und Quellen weiter eingedämmt werden. Die schon genannte Untergrupp­e PFOS ist bereits seit 2010 streng beschränkt. Bisher hat sich die Industrie aber Regulierun­gen gekonnt entzogen, indem sie neue Varianten auf den Markt brachte. Derzeit gibt es noch weitere Anträge, um die PFAS deutlich einzudämme­n. Diese werden in der EU noch diskutiert.

Sollte Österreich vorpresche­n und die PFAS in unserem Land im Alleingang verbieten?

SN:

Ich kann mir so eine Beschränku­ng für Österreich allein nur sehr schwer vorstellen. Es kann hier nur eine gemeinscha­ftliche, übernation­ale Lösung geben. Aber wichtig ist, sich dem Thema intensiv zu widmen. Man muss Hotspots identifizi­eren und den Konsumente­n Hilfestell­ungen geben, wie sie PFAS möglichst vermeiden können. Damit wäre schon viel gewonnen.

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BILD: SN/MEDUNI WIEN Umweltmedi­ziner Hans-Peter Hutter von der MedUni Wien.
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