„Marcel könnte sogar eine neue Ära einleiten“
Marc Girardelli, der alle Erfolge für Luxemburg einfuhr, über den Nationenwechsel Marcel Hirschers und seine Zeit als Fahnenflüchtiger.
Marc Girardelli, gebürtiger Vorarlberger, gehört mit unter anderem fünf Gesamtweltcupsiegen zu den erfolgreichsten Skirennfahrern aller Zeiten. Erst Marcel Hirscher mit acht Kristallkugeln löste den nun 60-Jährigen an der Spitze der Bestenliste ab. Schon als Zwölfjähriger verließ Girardelli den ÖSV Richtung Luxemburg, weil sein Vater zu wenig Unterstützung und Freiheiten vom Verband kritisierte. Wenngleich Hirschers Nationenwechsel ganz anders motiviert ist, erklärt die Skilegende im SN-Interview, warum Hirschers Comeback als Niederländer nicht nur erfolgreich sein wird, sondern Privatteams die Zukunft im Skisport sein könnten.
SN: Hat Sie der Nationenwechsel Ihre gesamte Karriere begleitet?
Marc Girardelli: Natürlich bin ich immer wieder darauf angesprochen worden. Das Thema wurde zu Beginn meiner Karriere am intensivsten diskutiert, es war aber immer präsent. Wenn ich gut war, war ich der Österreicher, der für Luxemburg fährt, und wenn ich schlecht war, war ich nur der Luxemburger.
SN: Was haben Sie positiv und negativ in Erinnerung?
Natürlich wurde ich ein paar Mal als Vaterlandsverräter hingestellt. Insgesamt überwiegen für mich persönlich aber ganz klar die positiven Erinnerungen.
Mit dem Satz „Skirennen sind persönliche und keine nationalen Anliegen“haben
Sie damals für Aufsehen gesorgt. Da hat sich meine Meinung auch
SN:
nicht geändert. Ich bin immer für mich und sonst niemanden gefahren. Es ist ein Individualsport, auch wenn man mehr als Mannschaft auftritt, je größer die Nation ist.
Gilt das auch für die WM im Februar 2025 in Saalbach, wenn Marcel Hirscher im orangen Rennanzug gegen Manuel Feller um Gold fährt?
SN:
Das ist jetzt noch schwer zu beurteilen. Man muss sehen, wie die Fans drauf reagieren.
Die Mehrheit hat in ersten Umfragen seinen Nationenwechsel nicht gutgeheißen.
SN:
Wenn die Mehrheit sagt, er soll es nicht machen, dann hat er die richtige Entscheidung getroffen (lacht). Ich glaube, dass er die Fans, die er hatte, auch weiter haben wird, weil es seine Fans und nicht in erster Linie Österreich-Fans sind. Ich glaube nicht, dass sie auf die Barrikaden steigen werden.
SN: Der Nationenwechsel kann also nichts an seinem Legendenstatus ändern?
Marcel wird durch seinen Sponsor (Red Bull, Anm.) in einem Privatteam antreten und ich denke, dass sich da etwa mit Lucas Braathen oder anderen Athleten seiner Skimarke (VanDeer) ein Team bilden kann. Es kann sogar sein, dass Marcel damit eine neue Ära einleitet.
SN: Inwiefern?
Dass ähnlich wie in der Formel 1 nicht die Nation an erster Stelle steht, sondern eben das Team, das über die Nation hinausgeht. Das wäre ein Versuch, den Skisport nach vorn zu bringen.
SN:
Dass er sehr schnell wieder in die Top 15 aufrückt. Wenn es gut läuft, kann er im Jänner wieder vorn dabei sein. Ich habe Videos von ihm gesehen, die mich in dieser Annahme bestärken. Ob es wieder für Siege reicht, ist eine andere Frage. Nach fünf Jahren ohne Rennsport wird das schon eine sehr große Herausforderung. Das kann ich aus eigener Erfahrung sagen, wenngleich Marcel natürlich von größeren Verletzungen verschont geblieben ist. Er ist eine absolute Ausnahme. Es hat nur sehr wenige gegeben, die über einen so langen Zeitraum an der Spitze waren. Daher ist ihm alles zuzutrauen.
Was trauen Sie ihm zu? SN: Dass seine Rückkehr die beste Werbung für den Skisport allgemein ist, darüber gibt es wohl keine zwei Meinungen.
Es ist das Allerallerbeste, was dem Skiweltcup passieren kann. Das hat der Skisport nach zuletzt zähen Jahren gebraucht. Es wird eine unglaubliche Werbung.