Schweinebetriebe gelten nur noch als Geruchsbelästigung
Im Tullnerfeld leben seit Jahrhunderten Landwirte mit ihren Tieren mitten im Ort. Seit dort viele Wohneinheiten für Zugezogene errichtet werden, ist die Tierhaltung nicht mehr so willkommen.
TULLN. Die Widmungsart wird als Bauland-Agrargebiet bezeichnet. Sprich mitten in Niederösterreichs Dörfern stehen sogenannte Haken- und Streckhöfe. Straßenseitig das Wohnhaus, dahinter seitlich die Stallungen für die Nutztiere. Jahrhundertelang wurde traditionell so gebaut – auch im Tullnerfeld, wo es noch zahlreiche Schweinemastbetriebe gibt.
Doch seit gut einem Jahrzehnt verändert sich der Charakter der Dörfer radikal, und zwar seit 2012 der Bahnhof Tullnerfeld eröffnet wurde. Mit der attraktiven Schnellbahnanbindung nach Wien wie nach St. Pölten haben auch Bauträger und Wohnbaugenossenschaften die gottverlassene Gegend für sich entdeckt. Wo einst Äcker und Grünflächen waren, entstanden zum Teil fünfstöckige Wohnblöcke.
Das beste Beispiel dafür ist die Ortschaft Pixendorf in der Gemeinde Michelhausen (Bezirk Tulln): Christian und Susanne Fallbacher haben ihren Erbhof im alten Dorf an der Hauptstraße. Umgeben sind sie von anderen Bauernhöfen beziehungsweise aufgelassenen Betrieben, die heute nur mehr als Wohnhäuser dienen. Rund 200 Meter Luftlinie entfernt entstand „NeuPixendorf“– insgesamt 600 Wohnungen in acht Blöcken und 200 Wohneinheiten in Häusern.
2016 hat die Familie Fallbacher den Betrieb auf Bio umgestellt. Und zwar auch bei der Schweinemast. Der alte Stall mit Vollspaltenboden, der bei Tierschützern ohnehin schwer in der Kritik steht, soll durch einen offenen Stall mit rutschfestem Beton ersetzt werden. Doch seit viereinhalb Jahren kämpfen die Fallbachers vergeblich um eine Genehmigung. Auf Basis von Sachverständigengutachten hat die Gemeinde einen negativen Bescheid erlassen. „Ich habe niemals gedacht,
dass uns solche Prügel vor die Beine geworfen werden, wenn wir auf einen modernen Biobetrieb umstellen wollen“, erzählt Christian Fallbacher.
Die Gutachter stoßen sich an der nicht einschätzbaren Geruchsbelästigung durch das neuartige Projekt. „Das Projekt mit 329 Mastschweineplätzen weicht von dieser im Siedlungsgebiet üblichen Bauweise vollständig ab“, hält der Sachverständige fest. Und: „Die eingeschränkte Durchlüftung im dicht verbauten Siedlungsgebiet über der Stallfläche lässt massiv mit Geruchsstoffen angereicherte Luftmassen entstehen, die unverdünnt und auf kurzem, direktem Weg auf die Nachbargrundstücke gelangen.“
Der Gutachter schreibt, dass „größere Schweinemastbetriebe überhaupt in letzter Zeit vermehrt weiter entfernt vom Siedlungsgebiet im Grünland errichtet wurden“. Fallbacher dazu: „Jetzt sind wir am eigenen Hof nicht mehr willkommen. Wir sollen drei Kilometer
entfernt auf Grünland einen Stall bauen und zusätzlichen Boden versiegeln.“Das Landesverwaltungsgericht hielt das Gutachten für nicht stichhältig und hob den negativen Bescheid auf. Jetzt heißt es zurück an den Start. Dabei hätte Familie Fallbacher große Pläne: Das Ehepaar zeigt dem SN-Redakteur eine Schauküche im Innenhof. Bei Kochkursen soll die Zubereitung biologischer Lebensmittel nähergebracht werden. Durch ein Fenster können Besucher von der Küche aus direkt in den Schweinestall schauen.
Szenenwechsel ins nördliche Tullnerfeld: Im Dorf Winkl (Gemeinde Kirchberg/Wagram) gibt es viel mehr Schweine als Menschen – das Verhältnis lautet 1500 zu 180. Der Schweinemäster Thomas Riedl ist einer von fünf verbliebenen Bauern. Wie lange er sich noch seiner 680 Sauen erfreuen kann, ist die Frage. Denn am Nachbargrundstück plant ein großer Wohnbauträger insgesamt 16 Reihenhäuser.
Riedl ärgert sich, dass Bauland
Agrargebiet für ein derartiges Projekt geopfert wird: „Man will möglichst regionale Lebensmittel, lässt dann aber keinen Platz mehr für Tierhaltung.“Streit mit künftigen Bewohnern hält der 51-Jährige wegen der Lärm- und Geruchsbelästigung für programmiert. „Ich halte das die nächsten zehn Jahre noch aus, aber ob sich das meine Kinder als Betriebsnachfolger antun wollen, ist fraglich“, sagt Riedl.
Über Wohnbauträger angesiedelte Menschen, die zu Tierhaltung keinen Bezug haben, hätten in einer so kleinen Ortschaft ohne jegliche Infrastruktur keinen Sinn – „so billig kann das Gebäude gar nicht sein“, kritisiert Riedl. Auch die Integration der Neuankömmlinge funktioniere nicht. Als einzige Chance sieht der Schweinemäster, zum Protest mit einem Transparent vor seinem Haus künftige Nachbarn zu warnen: „Hier füttern wir Wagramer Strohschweine!“