Song Contest im Zeichen des Kriegs
Eurovision war schon immer politisch, aber nie war die Diskussion so laut wie heuer. Sie entzündet sich vor allem an Israels Beitrag.
Wer den Eurovision Song Contest lange verfolgt, gerät leicht in Versuchung, sich nach überschaubaren alten Zeiten zurückzusehnen. Abba starteten vor 50 Jahren mit „Waterloo“in bunten Kostümen in Richtung Weltkarriere, vor 34 Jahren siegte Toto Cutugno (er starb im Vorjahr) mit seinem optimistischen Europäische-EinheitsLied „Insieme“(„Zusammen“); und für Österreich sang 1994 Petra Frey den Schlager „Für den Frieden der Welt“. Und heuer?
In Malmö gilt ein hohes Sicherheitsaufgebot wegen Drohungen gegen die israelische Teilnehmerin; Fans üben online Druck auf andere Teilnehmende aus, sich zum Nahostkonflikt zu positionieren. Und Russland und Belarus sind als Kriegstreiber längst ausgeschlossen. Noch nie stand die Frage so im Raum, ob der ESC zu einer Schaubühne der internationalen Politik verkommt.
Israels Sängerin musste den Text ändern
Im Mittelpunkt dieser Debatte steht Eden Golan, eine in Israel und Russland aufgewachsene 20-jährige Nachwuchssängerin, die das israelische Ticket für Malmö in einer Castingshow gewonnen hat.
Ihr Song für Malmö sollte ursprünglich „October Rain“heißen, eine wenig subtile Anspielung auf den Hamas-Terrorfeldzug am 7. Oktober und auf die emotionalen Folgen für ihre Landsleute. Weil die Europäische Rundfunkunion EBU allzu politische Statements in ihrem Reglement verbietet, mussten die Autoren den Beitrag noch einmal umdichten. Nun kann jeder für sich entscheiden, ob nicht doch auch eine schlichte Liebesbotschaft gemeint ist, wenn Golan singt: „Jeden Tag verlier’ ich den Verstand, halte mich fest während dieser mysteriösen Achterbahnfahrt. Baby, versprich mir, dass du mich wieder in den Armen hältst, ich bin immer noch gebrochen von diesem Hurrikan“lautet die deutsche Übersetzung des Textes.
Der European Broadcasting Union hat die Änderung genügt. Der Verband argumentierte zudem, dass anders als beim seit 2022 wegen des Ukraine-Angriffs ausgeschlossenen Russland der israelische TV-Sender deutlich kooperativer sei.
Mit solchen Feinheiten halten sich viele Fans nicht auf. Sie fordern wegen Israels aggressivem Angriff auf Gaza den Ausschluss. In Schweden hält man es für möglich, dass einige propalästinensische Extreme aus der großen arabischen Community in Malmö eine Gefahr darstellen. Golan ist daher in dieser Woche nicht Teil der vielen Vorpartys überall in der Stadt. Als am Sonntag alle Acts bei einem Auftaktempfang den Beginn der ESC-Woche feierten, blieb sie fern – auch, weil der Abend in Israel als HolocaustGedenktag gewürdigt wird. Golan war bei einer Feier der jüdischen Community der Stadt.
Gegner eines Ausschlusses argumentieren zudem, dass Israels Beteiligung in Ordnung gehe, weil der Contest eben immer auch politisch war. Schon die Gründung des westeuropäischen Wettbewerbs Mitte der 1950er-Jahre sollte dem Ostblock signalisieren, dass man sich in Richtung britischen und amerikanischen Pops orientiert. Später nutzten die baltischen Staaten
Siege in den frühen 00er-Jahren, um mit der reibungslosen Ausrichtung des Wettbewerbs zu unterstreichen, dass sie generell EU-geeignet seien. Zuletzt war der Sieg der Ukraine 2022 ein deutliches Zeichen der europäischen Solidarität mit dem Land.
Eher unbehelligt von diesen Diskussionen tritt Österreich auf. Die 29-jährige Sängerin, Tänzerin und Choreografin Kaleen aus Oberösterreich singt „We Will Rave“, ein EurodanceStück im 90er-Jahre-Stil, das an DJ Bobo und La Bouche erinnert. Sie muss wie auch Israel am Donnerstag im zweiten Semifinale unter sechzehn Teilnehmenden einen von zehn Plätzen ergattern, um im Finale singen zu dürfen. Die Beobachter, die in den Wettbüros Geld auf den ESC setzen, halten Israels Einzug ins Finale für nahezu sicher, bei Österreich sind sie unsicher.